Hast du keinen Bruder?

Ob sie denn keinen Bruder hat, der den Betrieb an ihrer Stelle hätte übernehmen können, sollte man Christina besser nicht fragen. „Das ist ’ne bescheuerte Frage und wirklich gemein! Ich gebe mir so viel Mühe, damit hier alles läuft und dann kommen solche Kommentare!“

Die 29-Jährige hat jedes Recht, entrüstet zu sein. Schließlich bewirtschaftet sie bereits seit mehreren Jahren erfolgreich ihren Betrieb mit Ackerbau, Schweinemast und Ferkelaufzucht. Neben der Arbeit im Schweinestall kommt ein großer Teil Büroarbeit hinzu. Außerdem hat sie eine kleine Tochter.

Ich bin Chef, Thema durch

Die Eltern von Christina arbeiten momentan noch auf dem Betrieb mit, ihr Vater übernimmt einen Großteil der ackerbaulichen Arbeiten, während ihre Mutter sie bei der Buchführung unterstützt. Hin und wieder springt außerdem der Mann von Christina ein. Christina ist nicht auf seine Mithilfe angewiesen, arbeitet aber gerne mit ihm zusammen. Obwohl er in seinem Beruf nicht mit Landwirtschaft in Berührung kommt, interessiert er sich für den Hof. „Ich habe den Betrieb schon übernommen, als ich meinen Mann noch nicht kannte. Aber es ist schön, wenn es passt.“

Hast du keinen Bruder? Porträts selbstständiger Landwirtinnen – von Talea Becker, Grummet Verlag, ISBN 978-3-9817285-0-7, 117 Seiten, ohne Bilder, 10 €. Frauen, die einen Hof leiten, sind noch immer eher Ausnahme statt Regel. Elf von ihnen stellt die Agrar­wissenschaftlerin Talea Becker anonym vor. Die Frauen erzählen, wie sie zur Betriebsleiterin wurden und wie sie mit der Skepsis von Nachbarn und Mitarbeitern umgehen. Das Heft lässt sich über die ISBN im Buchhandel bestellen oder direkt bei
Talea Becker unter Tel. (01 57) 52 66 36 40.
www.hastdukeinenbruder.de

Die Verantwortung für den Hof liegt allein bei Christina, sie hat die Leitung früh übernommen und trifft letztlich die Entscheidungen: „Ich höre mir an, was mein Vater will und was meine Mutter will und was mein Mann will und dann mache ich, was ich will! Das geht nicht anders.“ Wenn ihr Vater die ackerbaulichen Arbeiten nicht mehr übernehmen kann, macht Christina weiter. Dann wird sie wahrscheinlich zusätzlich jemanden einstellen. Sie hat bereits Erfahrungen mit einem Lehrling und Praktikanten gemacht und hatte, während sie mit ihrer Tochter schwanger war, einen Betriebshelfer. Dass sie als Frau das Sagen hat, sollte dabei klar sein: „Wem es nicht passt, oder wer mich nicht respektiert, der soll nach Hause gehen. Ich bin Chef, Thema durch.“

Der Berufswunsch „Landwirtin“ stand bei Christina schon sehr früh fest, auch wenn es da zunächst einen anderen Wunsch gab, wie sie augenzwinkernd erzählt: „Als ich klein war, wollte ich Wurstverkäuferin werden. Doch dann bin ich letztlich doch sozusagen auf die Produktion umgestiegen.“
Schon als Kind begleitete die junge Landwirtin ihren Vater oft bei den Arbeiten auf dem Hof. Später übernahm sie mehr und schwierigere Aufgaben im Betrieb. Ihren Eltern war es dabei wichtig, ihr und ihren Geschwistern die wesentlichen Arbeiten wie den Umgang mit den Tieren, das Schlepperfahren oder das Anbauen von Maschinen beizubringen. Wenn ihr Vater mit seinen Lehrlingen auf den Acker ging, um etwas zu erklären, kam Christina oft mit und passte auf. Für ihren Vater hatte die Ausbildung des aktuellen Lehrlings oft Vorrang.„Dann musste ich schon mal sagen: Hier, zeig mir das jetzt auch noch mal genau!“, erinnert sich die 29-Jährige.

Männer oft irritiert

Um mehr Praxiserfahrung zu sammeln, absolvierte Christina ihr erstes landwirtschaftliches Lehrjahr im Betrieb der Eltern. Anschließend arbeitete sie in zwei Lehrbetrieben mit Putenmast, Schweinemast und Ackerbau. Nach der Lehre besuchte sie die Fachschule und ist nun staatlich geprüfte Betriebswirtin. So gerüstet übernahm sie 2007 den Betrieb, ihr Vater ging in Rente. „Ich sollte, wenn ich zu Hause weitermache, gleich etwas Eigenes haben und nicht bloß Mitarbeiter sein.“ Bedenken hatten ihre Eltern dabei nicht. „Das wäre ja wohl noch schöner!“

In ihrer Ausbildung fiel Christina auf, dass Mädchen, die in der Landwirtschaft arbeiten, unter stärkerer Beobachtung stehen als Jungen. „Man muss als Frau immer etwas besser sein und wissen, was man will.“ Christina hat gezeigt: Sie kann wie die Männer einen Betrieb führen. „Das hat auch nichts damit zu tun, ob ich 50 kg schwere Saatgutsäcke die Drillmaschine hochschleppen kann. Wir haben dafür ’ne Schnecke!“
Trotzdem mussten sich zunächst einige Leute an eine weibliche Betriebsleiterin gewöhnen. „Die Verhandlungspartner waren komisch und irritiert. In der ersten Zeit haben sie immer noch auf jemand anderen gewartet, der die endgültige Entscheidung trifft.“ Christina hat das so hingenommen. „Man fängt ja auch erst an und hat nicht immer gleich so eine große Klappe – und will es sich nicht mit jedem verscherzen.“

Mit der Zeit wurde es einfacher, die meisten Geschäftspartner kannten sie bald und sie fand den richtigen Ton in Situationen wie dieser: Sie hatte bei einer neuen Firma Futter bestellt, deren Fahrer sie noch nicht kannte. Als der Fahrer kam, fragte er: „Wo ist denn das Futtersilo 3?“ Nachdem Christina es ihm beschrieben hatte, sagte der Fahrer skeptisch zu ihr: „Ja, aber frag noch mal lieber deinen Papa, ob das Futter wirklich dort hin soll!“ Darauf antwortete sie schlicht und entwaffnend: „Mein Papa weiß nicht, wo das Futter hin muss. Das habe ich bestellt.“

Doch auch jetzt gibt es immer noch Leute, die ernsthaft infrage stellen, ob eine Frau einen Betrieb leiten kann. Dabei handelt es sich nach Christinas Erfahrung um Männer jeglichen Alters, die ebenfalls in der Landwirtschaft tätig sind. Dann wird sie gefragt, ob sie einen Bruder hat oder ob sie denn auch mit dem Trecker fahren kann. „Solche Sprüche nerven. Als ob ich den Betrieb nur mache, weil mein Vater niemand anderen gefunden hätte!“

Lass dir doch was zeigen!

Mit den Frauen der Landwirte aus der Nachbarschaft ergeben sich seltener Gelegenheiten zu einem Gespräch. Viele von ihnen arbeiten gar nicht auf den Höfen mit. „Einigen passt es auch nicht, dass ich viel mit ihren Männern zu tun habe“, vermutet Christina. „Oder vielleicht hätten sie zu Hause auch gerne mehr zu sagen und sind neidisch. Viele von ihnen können nicht, wie ich, die ganze Arbeit auf dem Hof erledigen und mit den Maschinen umgehen.“ Christina hat einigen auch schon geraten: „Ja, bitte doch deinen Mann, dir mal etwas zu zeigen.“ Leider bekam sie dann oft die Antwort: „Ja, aber mein Mann, der will das nicht.“ So ein Verhalten kann Christina nicht verstehen: „Ich sag doch auch nicht zu meinem Mann: ,Nee, nee, du darfst aber nicht mit der neuen Sämaschine fahren.‘ Wenn er etwas lernen will, erkläre ich ihm das natürlich. Und falls er etwas noch nicht so gut kann, gehe ich häufiger mit ihm los. Zum Beispiel das Spritzen. Er darf das und hat einen entsprechenden Schein gemacht, doch Theorie und Praxis sind eben nicht das Gleiche.“

Die momentan größte Herausforderung liegt allerdings für die junge Familie darin, die Betreuung ihrer Tochter zu organisieren. „Es ist schwierig, das auch noch unter einen Hut zu bringen. Da muss meine Mutter oft einspringen, das geht gar nicht anders.“ Außerdem ist ihr Mann für das erste Jahr nach der Geburt ihrer Tochter in Elternzeit gegangen. Zurzeit passt zudem eine Nachbarin vormittags auf die Kleine auf. Die tägliche Hausarbeit macht Christina und ihrem Mann wenig Spaß, doch sie haben sich organisiert und wechseln sich beispielsweise beim Kochen ab. Außerdem kommt einmal in der Woche eine Putzhilfe zu ihnen.

Ermunterung der Eltern

Übrigens hat Christina tatsächlich einen großen Bruder. Dieser hat in einem ganz anderen Bereich Karriere gemacht. „Nein, er wollte den Hof nicht weiterführen. Es hat ihn nicht genug interessiert. Er ist nicht so der Landwirt“, erklärt Christina. Für sie war die Ermunterung ihrer Eltern sehr wichtig. „Hätten sie mich mit Aussagen wie ‚Dein Bruder macht den Hof ja mal ...‘ ausgebremst, würde ich den Hof jetzt sicher nicht leiten.“ Andererseits haben ihre Eltern sie auch nie zur Landwirtschaft gedrängt. „Doch weil ich das immer wollte, war das für sie in Ordnung. Und wenn mein Bruder auch hätte Landwirt werden wollen, hätten meine Eltern sich sicher viel Mühe gegeben, alles ordentlich zu regeln. Dann hätten sie sich sogar darum gekümmert, irgendwo noch ’nen Betrieb für mich dazuzukriegen!“ Talea Becker, Auszug aus dem
Buch „Hast du keinen Bruder?“