Interview

Gegenwind für Windkraft

Der neue Landesentwicklungsplan der NRW-Landesregierung wirft mit Blick auf die zukünftige Nutzung der Windkraft Fragen auf. Wir sprachen dazu mit Heinz Thier, Geschäftsführer der BBWind Projektberatungsgesellschaft mbH.

Laut Landesentwicklungsplan (LEP) sollen neue Windkraftanlagen einen Mindestabstand von 1500 m zu reinen und allgemeinen Wohngebieten aufweisen. Müssen sich die Städte und Gemeinden bei ihren Planungen stets an den Mindestabstand halten?

Heinz Thier, Geschäftsführer der BBWind Projektberatungsgesellschaft mbH. (Bildquelle: wlv)

Thier: Ganz klar nein, denn der Mindestabstand ist lediglich ein Grundsatz der Raumordnung, kann also durch Gemeinden, die etwas in Sachen Klimaschutz bewegen möchten, abgeändert werden. Auch ist der Mindestabstand nur auf reine und allgemeine Wohngebiete bezogen und nicht auf Wohnstellen im Außenbereich. Nicht zuletzt gibt es massive planungsrechtliche Bedenken am Mindestabstand, sodass Kommunen derzeit gut beraten sind, die im LEP geforderten 1500  m nicht blind zu übernehmen. Dies sieht übrigens auch der Städte- und Gemeindebund so.

Insgesamt verspricht die schwarz- gelbe Landesregierung mit dieser handwerklich schlecht gemachten, juristisch zweifelhaften und für den Klimaschutz kontraproduktiven LEP-Änderung dem Bürger etwas, was sie in der Praxis nicht flächendeckend halten kann. Wir bedauern diese Abkehr der Landesregierung von bereits gesteckten Klimaschutzzielen, die ohne zügigen und steten Ausbau von Windenergie in NRW nicht erreicht werden können. Windenergie ist und bleibt die zentrale Säule der regenerativen Strom­erzeugung in NRW.

Viele NRW-Kommunen haben in den zurückliegenden Jahren Windvorrangzonen ausgewiesen. Die dort stehenden Anlagen erzeugen Strom, der das Klima nicht belastet. Wie sieht es aus, wenn etwa mehrere Altanlagen gegen neue, höhere Windkraftwerke ausgetauscht (repowert) werden sollen? Genießen auch sie Bestandsschutz?

Die Regelung zum Mindestabstand im neuen LEP gilt ausdrücklich nicht für Repowering-Standorte. Eine klare Definition zum Repo­wering-Begriff fehlt im LEP allerdings, hier wird es Diskussionsbedarf geben.

Insgesamt ist es unglaubwürdig, wenn die Landesregierung das Potenzial der Windenergie in NRW fast ausschließlich im Repowering sieht. Klar, Repowering wird immer wichtiger werden und wir prüfen seitens BBWind Altstandorte intensiv auf Eignung. Dennoch ist es unrealistisch, dass mehr als 50  % der heutigen Alt­anlagenstandorte repoweringfähig sind, was unter anderem an veränderten Rahmenbedingungen im Immissions- und Artenschutz liegt. Kurz, ohne neue Standorte auf der grünen Wiese wird es auch zukünftig nicht gehen.

Nach Bundesrecht dürfen Windkraftanlagen im Außenbereich privilegiert errichtet werden (§ 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB). Und nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichtes Münster muss jede Kommune der Windkraft substanziellen Raum einräumen ...

Das ist genau der Pferdefuß am neuen LEP mit seiner dubiosen Mindestabstandsregelung. Nach außen hin kommuniziert die Landesregierung den LEP als Werkzeug, um den Kommunen in Sachen Windenergie wieder mehr Planungshoheit zu geben. Gleichzeitig müssen die Kommunen aber so planen, dass im Ergebnis auch ausreichend Raum für Windenergie herauskommt. Ist dies nicht der Fall, kann ein kommunaler Flächennutzungsplan für Windenergie vor Gericht gekippt werden, was in den vergangenen Jahren in vielen Städten und Gemeinden passiert ist. Die planenden Kommunen müssen jetzt aufpassen, dass Sie die politisch motivierten Grundsätze des LEP sorgsam abwägen und ihre Potenzialflächen entsprechend der aktuellen Rechtsprechung ausweisen, sonst drohen die Planungen vor Gericht zu scheitern.

Im Prinzip lässt die Politik mit dem neuen LEP die Kommunen im Regen stehen und macht es ihnen jetzt noch schwerer, rechtssichere Flächennutzungsplanungen für Windenergie erfolgreich umzusetzen. Dies haben der Städte- und Gemeindebund sowie zahlreiche Kommunen bereits begriffen und ebenfalls kritisiert.

Der LEP sieht auch Änderungen vor, was die Windkraftnutzung im Wald betrifft. Welche Grundsätze müssen hier Planungsfirmen bzw. Investoren berücksichtigen?

Auch das Thema „Windenergie im Wald“ wird durch den neuen LEP verkompliziert. Im alten LEP gab es eine Regelfallvermutung, dass Windenergieanlagen auf Nadelwaldmonokulturen und Kyrill-­Schadensflächen errichtet werden können, wenn „wesentliche Funktionen des Waldes nicht erheblich beeinträchtigt werden“. Selbstverständlich war immer eine detaillierte Einzelfallprüfung notwendig. Diese Annahme wird im neuen LEP umgekehrt, nun sind Windenergieanlagen in Wirtschaftswäldern nur noch im Ausnahmefall zulässig, falls im übrigen Gemeindegebiet nachweislich keine ausreichenden Alternativstandorte verfügbar sind. Waldstandorte werden in NRW künftig also nicht mehr im Regel-, sondern nur noch im Ausnahmefall ermöglicht.

Dieser Ansatz ist bedauerlich, da ein erhebliches Potenzial von ökologisch unbedenklichen Waldstandorten etwa im Sauerland schlummert. Warum die Politik mit dieser neuen Rege­lung den Wald pauschal romantisiert und wertvolles Potenzial in Sachen Klimaschutz verschenkt, kann man nicht nachvollziehen. Viele Waldbauern klagen derzeit über einen starken Befall durch Borkenkäfer in ihren Nadel­wäldern, es finden aktuell großflächige Abholzungen statt, die Holzpreise sind im freien Fall. Gerade hier wäre es sinnvoll, mit der Windenergie Wertschöpfung in die Wälder zu holen. Dies würde es den Waldbauern erleichtern, in die Aufforstungen zu investieren.

Die Windbranche in Deutschland rätselt, wie es ab 2021 mit den vielen Altanlagen weitergeht, die dann aus der staatlich garantierten Einspeisevergütung fallen. Wird es eine Anschlussregelung für die Altanlagen geben?

Da kommt in der Tat ein riesiges Problem auf uns alle zu. Derzeit ist der durchschnittliche Börsenmarktpreis für Windstrom so niedrig, dass er für viele Altanlagenbetreiber schlichtweg unattraktiv für einen Weiterbetrieb wäre. Wenn nun aber mittelfristig Tausende von Windenergieanlagen, die eigentlich noch technisch in Ordnung sind, aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen vom Netz gehen und gleichzeitig ja bekanntlich der Ausbau der Windenergie in Deutschland zunehmend stockt, dann wäre das ein Desaster für Volkswirtschaft und Klimaschutz. Es könnte sogar passieren, dass dann unterm Strich ein Rückgang der in Deutschland installierten Wind­energieleistung eintritt. Das kann nicht im Sinne der vereinbarten Energiewende sein.

Mit unserer Firma prüfen wir zahlreiche Altstandorte und haben auch schon Workshops zu dem Thema organisiert. Der Königsweg heißt natürlich Repowering, das ist aber an vielen Standorten nicht möglich. In diesem Fall berechnen wir genau, ob ein Weiterbetrieb wirtschaftlich sinnvoll erscheint oder nicht.

Ich sehe bei diesem Thema dringenden Handlungsbedarf des Gesetzgebers, vielleicht über eine Art Klimabonus in Höhe von 2 bis 3 Cent je kWh für den Weiterbetrieb betagter Anlagen, die aus dem EEG fallen und ohne Zulage sonst abgebaut würden. Bislang vermisse ich hier leider ein klares Signal der Bundesregierung, dass es eine vernünftige Anschlussregelung für die Altanlagen geben wird.