In einer heilen Welt?

Frohe Weihnachten

Das Wochenblatt-Team wünscht allen Lesern, Inserenten und Freunden ein frohes und gesegnetes Weihnachtfest.

Weihnachten wird von nicht wenigen als „Fest der großen Harmonie“ verstanden. Genau das ist es nicht, meint unser Gastautor Ralf Meister, der als Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landes­kirche Hannovers vorsteht. Wir haben ihn um ein Wort zum Fest gebeten.

Heilige Familie heißt nicht heile Welt

Bei uns zu Hause gehört die Krippe mit der Heiligen Familie zur weihnachtlichen Grundausstattung. Grob geschnitzt, das Jesuskind in schlichtem Futtertrog, Maria kniend und Josef mit träumend-fernem Blick daneben. Die Tiere drum herum, Esel, Ochse und Schafe, dazwischen Hirte und Hund. Die drei Weisen aus dem Morgenland sind am Rand postiert.

Wenn wir die Heilige Familie genauer anschauen und Weihnachten wieder die biblische Erzählung von Maria, Josef und dem Kind in der Krippe hören, erkennen wir, wie zerbrechlich das Gefüge ist. Nichts ist perfekt. Die Mutter ist unsicher in ihrer Rolle, der Vater ist zweifelnd über seine Vaterschaft, die Umgebung ist feindselig und das Kind ist sprach- und hilflos.

Heilige Familie heißt nicht heile Welt. Vielleicht liegt darin unsere besondere Nähe zu diesem Geschehen, weil wir in der großen Sehnsucht nach einer heilen Familie immer wieder unsere Unzulänglichkeit erkennen. Was wollten wir nicht alles sein und sind es nicht geworden: liebevolle, sorgsame Väter mit viel Zeit für die Familie. Geduldige Mütter, die fröhlich die vielfältigen Anforderungen unter einen Hut bringen. Aufmerksame Partnerinnen und Partner. Artige Kinder, zumindest nicht ganz so frech, wie wir dann waren. Behutsame Begleiter unserer alt gewordenen Eltern. Eine Schwester ohne Gemeinheiten gegenüber dem Bruder. Eine Schwiegermutter, die großzügig die Eigenheiten des Schwiegersohns übersieht. Ein Großvater, der nicht ablehnt, sondern geduldig und gelassen all das Neue erlebt. Alles das sind wir oft nicht gewesen.

Die Heilige Familie zeigt Schwächen, aber auch Stärken. Denn sie hält gerade in dieser Vorläufigkeit fest, was wir sein können: Schon in der Halbheit unserer Liebe, schon im beherzten Bemühen um das Gute sind wir Gott und unserem Nächsten nah. Wir sind noch lange nicht fertig. Aber unsere Familie ist kein zufällig entstandenes Beziehungskonstrukt, sondern unsere wichtigste Lerngemeinschaft. Hier lernen wir Aushalten und Akzeptieren, was uns fremd scheint. Hier lernen wir Toleranz und Nachsicht. Hier bewahren wir unser Eigenes, um dem anderen ein Gegenüber zu sein. Hier üben wir uns über Jahre in der Liebe.

Denken wir daran, wie dieses Bild der Heiligen Familie seit Jahrzehnten unser Leben begleitet. Es stehen in vielen Adventszimmern immer noch dieselben Figuren. Sie sind nicht älter geworden. Sie sind uns treu geblieben und scheinen unverändert alles hineinzutragen in diese Nacht, was wir seit Jahrzehnten damit verbinden. In diesen Jahren ist viel passiert. Wir sind älter geworden. Familien haben sich verändert. Wir sind keine Kinder mehr, sondern halten selbst Ausschau nach einem Partner. Menschen, die uns nahe standen, sind nicht mehr bei uns oder gehen andere Wege. Kinderwünsche haben sich nicht erfüllt. Ideale von Familie und Partnerschaft mussten sich an der Wirklichkeit messen lassen und haben vielleicht keinen Bestand gehabt. Das Leben war bunt, nicht immer einfach, mit schmerzhaften Einschnitten und großen Freuden. Doch immer war das Kind, immer war diese kleine Familie dabei. Sie ist an unserer Seite geblieben.

Das Symbol der Krippe und die Bilder der Weihnachtsgeschichte sind nicht nur Dekoration, nicht nur ein kultureller Brauch, sondern sie sind ein großes Trostbild. Nicht Kunstgewerbe, sondern ein Bild für das Heil in dieser Welt durch Gott. Und in dieser Heiligen Nacht ist es auch ein Bild für das Heil in unseren Familien, in unseren Beziehungen und Freundschaften.

Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest. Friede sei in Ihrem Haus.