Es ist eine außergewöhnliche Landmaschine, die sich an diesem Vormittag langsam über das Feld bewegt. In Wippingen im nördlichen Emsland wird heute Faserhanf geerntet. Mit insgesamt 480 ha liegt hier das größte zusammenhängende Anbaugebiet in Deutschland.
Bislang wurde der Faserhanf mit einem Maishäcksler in 60 cm lange Abschnitte zerteilt und in Schwaden gelegt. Damit die Faser sich unter dem Einfluss von Luft, Sonne und Feuchtigkeit vom holzartigen Teil des Stängels löst, muss das Stroh für etwa drei Wochen noch auf dem Feld verbleiben. Rösten wird dieser Prozess genannt. Zur Unterstützung wird der Hanf in dieser Zeit zwei- bis dreimal gewendet.
Ernte mit Eigenkonstruktion
Neu ist die separate Ernte der Blütenblätter. Dies erfolgt versuchsweise auf etwa einem Drittel der Gesamtfläche. Dafür wurde über dem Maisgebiss noch eine Haspel eingebaut. Diese kann die Blütenstände der bis zu 4 m hohen Hanfpflanze ernten, während der Stängel geschnitten wird.
Die Maschine ist ein Eigenbau des niederländischen Unternehmens HempFlax, welche das Hanfstroh aller 36 Landwirte im Emsland abnimmt. Sitz des Unternehmens HempFlax ist Oude Pekela und liegt etwa 10 km hinter der Grenze zum Emsland. In den Niederlanden hat das Unternehmen1600 ha Hanf unter Vertrag. Die Saatgutvermehrung erfolgt auf 150 ha in Ostdeutschland.
Mitte August läuft die Hanfernte auf Hochtouren. „Wir mähen gerade, wenden und pressen bereits auf den ersten Flächen das Stroh“, sagt Geschäftsführer Mark Reinders, der heute selbst auf dem Drescher sitzt. „Hanf ist in der Ernte eine problematische Frucht“, sagt er. Während Reinders von oben einen guten Überblick über die Blütenstände hat und die Haspel immer wieder in der Höhe anpasst, kann er das Maisgebiss über einen Monitor kontrollieren. Bei einem zu hohen Stängelanteil der Blüten verstopft die Dreschtrommel, zudem können die reißfesten Hanffasern die Technik behindern. Generell hat der Hanf die diesjährige Trockenheit gut überstanden. Teilweise sind die Hanfpflanzen jedoch unterschiedlich hoch gewachsen.
Der Anbau von Hanf ist relativ simpel. Mitarbeiter des Beratungsringes Aschendorf sind seit 1996 Ansprechpartner für den Verarbeiter und interessierte Landwirte. Was die Bodenbearbeitung und Einsaat betrifft, sei Hanf vergleichbar mit Raps, erklärt Berater Christopher Konen. Die Flächen sollten mit Pflug und Packer bearbeitet werden. Anschließend erfolgt ab Mitte April die Feinsaat in 2 bis 3 cm Bodentiefe. Wichtig ist, dass der Boden frostfrei bleibt. Der Verarbeiter bestimmt die anzubauende Sorte und verkauft diese an die Landwirte. Düngung kann durch Geflügelmist, Gülle oder Gärreste erfolgen. Hinzu kommt eine Mineraldüngung mit Stickstoff zum Start.
Strohgewicht entscheidend
Danach ist die Arbeit der Landwirte auch schon getan. Durch das schnelle Jugendwachstum der Pflanze werden Unkräuter unterdrückt, Pflanzenschutzmaßnahmen sind deshalb nicht erforderlich. Die Ernte und das erforderliche Wenden des Hanfstrohes übernimmt der Verarbeiter zusammen mit darauf spezialisierten Lohnunternehmern.
„Die Landwirte nutzen Faserhanf neben Mais und Getreide gerne als dritte Kultur“, erklärt Konen. Vorteil sei der geringe Arbeitsaufwand in Kombination mit einem ähnlich hohen Deckungsbeitrag wie bei Getreide. Positiv wirkt auch die Pfahlwurzel der Hanfpflanze, wodurch eine gute Vorfruchtwirkung erzielt wird.
„Die Fläche, die HempFlax benötigt, können wir immer erfüllen“, sagt Konen. Mehr noch, es gibt sogar eine Warteliste für Interessenten. Dabei dürfen Landwirte, die den Hanf bereits einmal angebaut haben, dies im kommenden Jahr erneut tun. Sie schließen mit dem Verarbeiter jeweils einen einjährigen Vertrag. Bezahlt wird das Gewicht des Hanfstrohes. Die Summe ist vertraglich festgelegt.
Unkomplizierte Pflanze
Johannes Frericks, auf dessen Feld heute geerntet wird, ist bereits im vierten Jahr dabei. Er schätzt den unkomplizierten Anbau. Nässe im Herbst kann jedoch die Ernte behindern und zu Ertragseinbußen führen. Wie vor zwei Jahren, als sich das Rösten der Hanfschwaden deshalb verzögerte.
Wenn das Stroh nach dem Rösten aufgepresst werde, könnten auf dem Feld verbleibende Hanffasern die anschließende Bodenbearbeitung manchmal behindern, merkt Konen an. Frericks hat das bislang aber noch nicht erlebt. „Das Stroh wird sehr sauber aufgenommen“, sagt er.
Doch so weit ist es heute bei ihm noch nicht. Die feinen Blütenblätter werden so weit wie möglich von den noch unreifen Samen getrennt und auf einen angehängten Wagen überladen. Nach der Trocknung in einer Biogasanlage erfolgt die Extraktion der chemischen Substanz Cannabidiol (CBD). Das ist eines von 113 identifizierten aktiven Cannabinoiden, die in der Cannabispflanze gefunden wurden. CBD löst im Gegensatz zum Tetrahydrocannabinol (THC) kein „High“-Gefühl aus, soll aber entzündungshemmend und schmerzlindernd wirken. In der alternativen Medizin wird es beispielsweise bei Parkinson oder Krebs eingesetzt.
Mark Reinders, der auf 1300 ha in Rumänien bereits seit Längerem die Blütenblätter separat erntet, will auch in Deutschland versuchen, einen Extra-Ertrag für die hiesigen Landwirte zu generieren.
Angebaut werden dürfen nur Sorten, die von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) freigegeben sind. Jede zweite Anbaufläche wird auf den Gehalt an Tetrahydrocannabinol (THC) beprobt. Diese psychoaktive Substanz ist der Stoff, nach dem Kiffer süchtig sind. Faserhanf darf 0,2 % THC aufweisen. Für gewöhnlich liegen die Gehalte aber weit darunter. „Wer Industriehanf kiffen will, benötigt eine 8-kg-Zigarette“, schmunzelt Reinders.
Hingeschaut wird dennoch ganz genau. Die Landwirte müssen den Anbau von Nutzhanf bei der BLE anzeigen und auch melden, wenn dieser blüht. Das ist etwa Mitte Juli der Fall. Dann kommen Mitarbeiter zur Beprobung raus. Sollte bereits die Ernte laufen, müssen in einem bestimmten Abstand und Muster Pflanzen für die Probenehmer stehen bleiben. Auch gegenüber der Landwirtschaftskammer muss der Landwirt eine Anbauerklärung abgeben.
Hanf ersetzt Glasfasern
Die Erntemenge an Stroh schätzt Reinders in diesem Jahr auf 7 bis 8 t/ha ein. Gepresst wird bei einem TS-Gehalt von etwa 85 %. Johannes Frericks ist zufrieden, er will auch im kommenden Jahr wieder Hanf anbauen. Die extrem reißfesten Fasern von seinem Feld werden später in der Dämmung von Autotüren oder Hauswänden zu finden sein. Hier ersetzt der Naturstoff Glasfasern. Der verholzte Teil der Hanfpflanze ist vor allem als Einstreu beliebt.
Anbautelegramm für Faserhanf
Faserhanf verlangt ein gut abgesetztes Saatbett. Die Aussaat erfolgt ab Mitte April mit 35 kg/ha Saatstärke. Die Saattiefe beträgt 2 bis 3 cm. 120 bis 140 kg/ha Stickstoff, 60 bis 70 kg/ha Phosphor sowie 120 bis 140 kg/ha Kali sind zur Düngung erforderlich.
Ernte: Zuerst wird der Hanf gemäht und in 60 cm langen Abschnitten dachziegelartig ins Schwad gelegt. Neu ist die separate Gewinnung der Blütenblätter vorab. Im Schwad erfolgt unter der Einwirkung von Luft, Sonne und Feuchtigkeit das sogenannte Rösten des Hanfstrohes. Dabei beginnt die Faser sich vom Stängel zu lösen. Für das optimale Rösten wird das Stroh innerhalb von drei Wochen zwei- bis dreimal gewendet. Ist das Stroh schließlich ausreichend getrocknet, erfolgen das Pressen und die Aufbereitung in den Niederlanden.