Erntedank: Ein Fest mit klarer Botschaft

Silke Niemeyer, Pfarrerin im Münsterland, schreibt In ihrem Gastkommentar: "Bei allen christlichen Festen soll man irgendetwas feiern, an das man nicht recht glauben kann. Zu Erntedank hingegen ist die Botschaft wunderbar klar."

Ein Gastkommentar von Silke Niemeyer, Pfarrerin in Lüdinghausen, Kreis Coesfeld, zum Erntedankfest

Gott sei Dank gibt es Erntedank. Bei all den anderen christlichen Festen soll man irgendetwas feiern, an das man nicht recht glauben kann: das Kind einer Jungfrau, die Auferstehung eines Toten, die Himmelfahrt eines Gottessohns, das Brausen eines Heiligen Geistes. Zu Erntedank ist die Botschaft wunderbar klar: Danke für das tägliche Brot, denn es zu haben, ist nicht selbstverständlich. Keine Glaubenssache, sondern Tatsache!

Es ist doch so schwierig, heute noch wirkliche Dankbarkeit zu empfinden, ehrliche, aufrichtige Dankbarkeit als echtes, authentisches Gefühl. Für alle, die emotionale Probleme mit der Dankbarkeit haben, gibt es gute Nachrichten: Erntedank ist keine Sache des Gefühls, sondern der Tat. Es geht nicht um Dankbarkeit, sondern um Dank.

Dank ist eine Praxis. Nach welchen Maßstäben die sich richtet, zeigen die biblischen Texte, die zu diesem Feiertag gehören. Sie lassen den Propheten Jesaja erklären, wie Dank aussieht: „Wenn du aufhörst andere zu unterdrücken, auf keinen mit dem Finger zeigst und niemanden verleumdest, dem Hungrigen dein Brot reichst und den Darbenden satt machst, dann wird Gott dich immer führen, auch im dürren Land macht er dich satt und stärkt deine Glieder.“

Das Gleichnis vom reichen Kornbauern

Das Evangelium des Erntedanktages ist das Gleichnis vom reichen Kornbauern. Darin stellt Jesus einen Getreidespekulanten vor. Nach einer großen Ernte entwickelt dieser eine Geschäftsidee: Er hält das eingefahrene Getreide zurück, statt es auf den Markt zu bringen: „Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen, und will darin all mein Korn und meine Güter sammeln. Dann werde ich zu mir sagen können: Mensch, du hast viele Güter daliegen, auf viele Jahre hin. Ruh dich aus, iss, trink und sei fröhlich!“

Unser Mann ist alles andere als ein kleiner Landmann, der auf eigener Scholle Getreide für sein tägliches Brot anbaut. Er ist ein reicher Großgrundbesitzer. Und er weiß: Das Geheimnis des Erfolgs liegt in der Knappheit. Zu viel des Guten verdirbt das Geschäft. Also lagert er seine Ernte und bringt sie nicht auf den Markt. Er wartet auf höhere Preise. Er kann sich das leisten. Es wäre zu billig, ihn habgierig zu nennen, denn nach der Logik des Marktes handelt er nur vernünftig. Die wirtschaftliche Vernunft belohnt ihn mit einem sorgenfreien Leben.

Leerkauf von Märkten – ein sehr alter Trick

Der reiche Kornbauer ist gewissermaßen das Oldtimermodell der globalen Nahrungsmittelspekulation. Heute sehen die Zahlen so aus: In den USA werden real 60 Mio. t Weizen produziert, doch 4400 Mio. t an den Börsen gehandelt. Das Spielen mit dem Essen ist schon für die Antike belegt, genau wie die Hungersnöte in ihrem Gefolge. Schon damals wendete man Tricks wie den Leerkauf von Märkten oder das Zurückhalten von Gütern an. Doch so gewitzt der biblische Kornbauer auch erscheint, am Ende steht er dumm da. Gott nämlich sagt zu ihm: „Du Narr! Diese Nacht verlangen sie dein Leben von dir; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?“

Eine Landwirtschaft, die nach den Regeln des reichen Kornbauern funktionieren soll, ist närrisch. Die Zerstörung, die sein Streben nach Bereicherung anrichtet, wird am Ende auch ihm die Lebensgrundlage entziehen. Er wird es selbst nicht überleben, wenn er eine Wirtschaft gegen die Lebensinteressen seiner Mitmenschen betreibt. Heute sehen wir, wie die Ökonomie des Kornbauern im globalen Maßstab die Erde zerstört, Land frisst und die kleinen Landwirte ruiniert. Eine Landwirtschaft, eine Wirtschaft überhaupt, die dem Prinzip der Reichtumsanhäufung hinterherläuft, schafft den Menschen keine Zukunft und hat darum selbst keine Zukunft.

Der allererste und allerletzte Sinn allen Säens und Erntens ist, dass alle ihr Brot haben. Und genau dieser Sinn ist es, warum viele Landwirte trotz vieler Probleme dankbar sind, dass sie diese Arbeit tun. Silke Niemeyer