Kalb- und Rindfleisch haben im Vergleich zum Schweine- oder Geflügelfleisch ein großes Problem: Beide leben vom Außer-Haus-Verzehr. Aber Kantinen und Restaurants sind seit Wochen geschlossen. Das Ostergeschäft ist komplett weggefallen.
Kalb: Rasanter Preissturz
Besonders hart betroffen von der Corona-Krise ist der Kälbersektor. Kalb ist ein saisonales Produkt für die gehobene Gastronomie. Hauptabsatzzeit ist die Spargelsaison. „Die Notierung für Kalbfleisch ist seit Beginn der Corona-Kontaktsperre um 1 €/kg Schlachtgewicht abgestürzt. Das sind mehr als 20 %“, sagt Dr. Albert Hortmann-Scholten, Geschäftsführer der Erzeugergemeinschaften für Vieh und Fleisch (VEZG) und Abteilungsleiter für Betriebswirtschaft und Markt bei der niedersächsischen Landwirtschaftskammer. „Die günstigen Stücke vom Kalb werden für Dönerspieße genutzt, aber auch die werden nicht gebraucht“, erklärt Dr. Bernhard Schlindwein, stellvertretender Hauptgeschäftsführer beim Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband (WLV). Die Preise für Kalbfleisch sind etwa 60 Cent niedriger als im vergangenen Jahr zu dieser Zeit.
Das zweite Problem: Der Markt für das wertvolle Kälberfell ist komplett weggebrochen. „In der Regel werden die Felle nach Italien in die Lederindustrie verkauft. Aber die Grenze ist zu“, so Schlindwein. In Deutschland stallen Kälbermäster trotz der schlechten Preise noch Kälber ein. „In der Regel haben sie Verträge mit ihren Vermarktern. Kälber werden dann nach Kopf bezahlt“, erklärt der WLV-Mitarbeiter. Auch Hortmann-Scholten geht davon aus, dass Kälbermäster spätestens in ein paar Wochen wieder einstallen, um das Weihnachtsgeschäft mitzunehmen. Gute Kälber kosten den Kälbermästern aktuell 70 bis 80 €. „Das bedeutet aber auch, dass Milchviehhalter nur bis zu 40 € für ihre schwarzbunten Bullenkälber bekommen“, sorgt sich Schlindwein. Trotzdem seien Kälber momentan knapp. „Teilweise holen Kälberabnehmer keine Kälber mehr ab“, sagt Dr. Frank Greshake von der Landwirtschaftskammer NRW.
Private Lagerhaltung
Für Kalbfleisch würden die Marktexperten eine private Lagerhaltung gutheißen. „Die Absatzkanäle sind so weit verstopft, dass das Fleisch vom Markt muss“, so Greshake. Schlindwein stimmt zu: „Eine Bezuschussung würde Unternehmen und damit auch Landwirte entlasten.“ Mäster können Kälber höchstens acht Monate im Stall halten. „Die kontinuierliche Vermarktung muss bezuschusst werden.“
Hortmann-Scholten befürwortet die private Lagerhaltung ebenfalls: „Die Saisongeschäfte für Kalbfleisch sind Ostern und die Spargelzeit, danach gibt es marktbedingt bis Weihnachten kaum noch Nachfrage. Genau diese Zeit ist aber vom Preisverfall betroffen.“
Anders beurteilen die Experten die private Lagerhaltung für Fleisch vom Jungbullen. Beim Rind lassen sich nur Hälften und Viertel einfrieren. „Edelteile dürfen nicht eingefroren werden. Kommen die Edelteile später auf den Markt, stören sie nur eine positive Marktentwicklung. Wenn sollte nur Verarbeitungsware eingefroren werden “, betont Schlindwein. Ebenso spricht sich der Geschäftsführer der VEZG gegen die Lagerhaltung von Jungbullenfleisch aus: „Ich halte nichts von Intervention oder privater Lagerhaltung von Rindfleisch. Das sind keine geeigneten Marktinstrumente.“
Greshake hält es für denkbar, Verarbeitungsware ins Lager zu geben. Allerdings stellt er die kritische Frage: „Warum bekommen die Iren es hin, Rinderhalter direkt finanziell mit einer sogenanntenKopfprämie pro geschlachtetes Rind zu unterstützen und andere EU-Länder nicht?!“
Rentabilität in Gefahr
Aktuell behalten viele Bullenmäster ihre Tiere länger im Stall und warten auf höhere Preise. „Deshalb ist der Markt mit Bulle trotz Corona-Geschehen etwas knapp versorgt“, erklärt Schlindwein. Greshake spricht sogar von einem Lieferboykott der Landwirte. Doch sobald Landwirte wieder Bullen verkaufen, fallen die Preise. „Das ist ein gegenseitiges Abtasten der Marktakteure“, so Schlindwein.
Der Preis für Jungbullen ist seit Beginn der Corona-Krise um etwa 35 bis 40 Cent gesunken, für Kühe etwa um 35 Cent. Die aktuelle VEZG-Notierung für O3-Kühe und R3-Bullen ist aber um einen Cent gestiegen. Trotzdem sei noch nicht von einer Trendwende zu sprechen, sagt der Geschäftsführer der VEZG, Hortmann-Scholten. Allerdings gebe es mit dem Weideaustrieb der Kühe in Süddeutschland eine etwas bessere Marktentwicklung: „Die Futtersituation der Landwirte verbessert sich und sie müssen dort die Tiere nicht mehr zu schlechten Preisen verkaufen.“ Eine Marktfestigung bei den Bullen hängt davon ab, ob Gastronomien Anfang Mai wieder öffnen dürfen und die Kontaktsperre gelockert wird.
Greshake setzt keine große Hoffnung auf steigende Jungbullen-Preise: „Seit mehr als einem Jahr haben wir keine guten Preise mehr gehabt.“
Für Hortmann-Scholten gibt es ein weiteres schwerwiegendes Problem: „In der Bullenmast ist die Rentabilität sehr kritisch. Das Grundfutter ist nach den beiden Dürrejahren teuer und knapp. Dazu kommen hohe Pachtpreise und die neue Düngeverordnung.“ Der Fachmann befürchtet, dass die Corona-Krise dazu führt, dass noch mehr Bullenmäster aussteigen und sich der Strukturwandel beschleunigt.
Auch die vielen Mutterkuhhalter im Nebenerwerb stehen vor einem massiven Problem: Sie werden ihre Absetzer nicht los. „Ihnen kann nur noch eine Kopfprämie helfen“, so Greshake.
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