Vernetzt oder verheddert – wie steht es um die zukunftsorientierte Digitalisierung in der Milchviehhaltung?“ Das war die einleitende Frage von Andreas Pelzer am Mittwoch vergangener Woche in Bad Sassendorf. Der Mitarbeiter des Berufs- und Bildungszentrums Haus Düsse erklärte im Rahmen des Milchviehforums, dass Milchviehbetriebe seit 30 Jahren mit Kraftfutterstationen oder Herdenmanagementprogrammen arbeiten. Trotzdem gibt es bisher keine einheitliche, lösungsorientierte Vernetzung der gewonnenen Daten.
Prozesssteuerung
Elektronische Geräte, wie beispielsweise die Melktechnik, arbeiten mit Sensoren. Ihre Messwerte dienen als Datengrundlage zur Umsetzung von Prozessen. Sensoren für die Bestimmung von Temperatur, Zeit, Aktivität, Wiederkauschlägen oder pH-Wert im Pansen liefern die Informationen für die Prozesssteuerung. „Leider fehlt es aber an standardisierten, offenen Schnittstellen, um die Daten verschiedener Hersteller zu verbinden“, so Pelzer. Es gibt meist nur firmenspezifische Netzwerke. Für die Prozesssteuerung zur Milchgewinnung gibt es mehrere unterschiedliche Systeme, wie das Steuergerät Melkstand oder das Steuergerät Kühlen oder das Steuergerät Melkanlagenreinigung. Das macht die Arbeit nicht leichter, berichtete der Düsse-Mitarbeiter.
Datenkompetenz schulen
Viele Milcherzeuger nutzen die gesammelten Daten noch viel zu wenig und binden die gewonnenen Informationen nicht in die Produktionsprozesse und Entscheidungen ein, erklärte Pelzer. Viele Entscheidungen würden immer noch intuitiv oder aus Tradition getroffen. Auf der anderen Seite gibt es auch Landwirte, die das Tier aus dem Auge verlieren und nur noch auf die Nutzung digitaler Daten fokussiert sind.
„Landwirte müssen sich im Rahmen ihres Managements Gedanken machen, inwieweit sie in Sensoren investieren wollen und welchen praktischen Nutzwert diese für sie haben“, betonte der Fachmann.
Für einen erfolgreichen Einsatz sollten die gewonnenen Daten strukturiert werden. „Nicht alle Daten sind zur Bewertung notwendig“, mahnte Pelzer. Es gibt Daten, die vor allem für die Dokumentation genutzt werden, zum Beispiel Informationen aus der HIT-Datenbank. Andere Daten dienen als Grundlage von Entscheidungen, dazu gehören Daten, die das Fütterungsmanagement oder die Zuchtauswahl betreffen. Eine dritte Gruppe von Daten dient der Steuerung von Maßnahmen. So kann der Melkroboter entscheiden, ob eine Kuh gemolken wird oder nicht.
„Landwirte müssen eine eigene digitale Kompetenz aufbauen.“ Sie müssten lernen, die für ihre Entscheidungen wichtigen Daten von den unwichtigen zu unterscheiden, erklärte Pelzer.
Blackbox: Algorithmen
In der automatisierten Datenerfassung mit Sensoren hinterlegen Firmen Algorithmen, die die erfassten Daten auswerten und interpretieren. Diese Interpretationen sind für den Außenstehenden schwer bis gar nicht nachvollziehbar. Laut Pelzer ist ungewiss, wer die Auswertungen der Algorithmen programmiert und definiert. Transparente Algorithmen würden helfen, Prozesse effizienter zu gestalten.
Abschließend sagte er: „Die Chancen durch die Digitalisierung in der Milchviehhaltung sind groß, aber die Risiken nicht zu unterschätzen.“ Und weiter: „Landwirte müssen agieren statt reagieren und alle Stellschrauben permanent überblicken, dann sind sie für die kommende Digitalisierung gewappnet.“
Milchviehhaltung 4.0
Auch Uwe Mohr von der Landwirtschaftlichen Lehranstalt in Triesdorf ist der Meinung, dass die ersten Schritte zur Milchviehhaltung 4.0 getan sind. Das digitale Informationssystem rund um die Kuh ist groß. So liefern Sensoren Informationen in Echtzeit. Für den Fachmann ist die Nutzung von Apps zum Herdenmanagement, zur Bullenauswahl oder Qualitätskontrolle nicht mehr aus der Milcherzeugung wegzudenken. Besonders wertvoll findet er das Gesundheits- und Brunstmonitoring über die Wiederkau- und Aktivitätsmessung der Tiere.
Neu auf dem Markt ist ein vom Unternehmen SmaXtec entwickelter Bolus mit Sensoren. Dieser wird den Kühen in den Pansen eingesetzt. Er kann die Körpertemperatur, die Bewegungsaktivität, den pH-Wert und das Trinkverhalten der Tiere messen. Die erfassten Daten werden von einem Programm ausgewertet. Brünstige Kühe oder Tiere direkt vor der Abkalbung können in Echtzeit erkannt werden. Durch die Bestimmung der Temperatur kann der Landwirt außerdem Auskunft über den Gesundheitszustand bekommen. Mithilfe des pH-Wertes können Schlüsse über das Futtermanagement gezogen werden. Diese Boli könnten laut Mohr „zukünftige Allrounder“ im Stall werden.
Was ist mit der Datensicherheit?
Ein weiteres wichtiges Thema ist für den Fachmann der Umgang mit den Daten. Die Datensicherheit muss gegeben sein. „Jeder muss sich überlegen, wie weit er mit seinen Daten gehen will.“ Für Mohr gibt es vier wichtige Kriterien für den Kauf eines Sensors. Er muss leicht verständlich sein, in der Praxis erprobt, es muss eine Handlungsempfehlung geben. Und ganz wichtig: Sensoren dürfen nicht zu Insellösungen führen.