„Sprecht mit uns.“ Diese Forderung des landwirtschaftlichen Berufsstandes an die Gesellschaft und ihre Kritiker wurde auf dem Kreisverbandstag des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Soest am Mittwoch vergangener Woche aktiv gelebt. Kreisverbandsvorsitzender Josef Lehmenkühler hatte – erstmalig in der Geschichte des Verbandes – mit Mona Neubaur, Vorsitzende der Grünen in NRW, eine Kritikerin der konventionellen Landwirtschaft eingeladen. Das Themenspektrum war breit: Von Düngeverordnung, Tierschutz, Klimadebatte bis hin zum Agrarpaket mit dem Aktionsprogramm Insektenschutz, welches der Vorsitzende als blinden Aktionismus bewertete, war alles dabei. Das „Experiment“ ist aufgegangen: Die unterschiedlichen Standpunkte wurden intensiv, aber fair diskutiert.
Zukunftssorgen in der Praxis
Bevor die Politikerin ihre Standpunkte darlegte, skizzierten die 20-jährigen Pia Sommer, Junglandwirtin aus Anröchte-Waltringhausen, und Markus Westerfeld (40), Landwirt aus Bad Westernkotten, ihre Zukunftssorgen: „Wir haben Angst, dass unser Hof nicht mehr zukunftsfähig ist, weil ein Teil des Ackerlandes im Vogelschutzgebiet Hellwegbörde liegt“, erläuterte Westerfeld. Dabei würden schon jetzt viele Landwirte sich mit zahlreichen Maßnahmen wie Uferrand- oder Blühstreifen im aktiven Vertragsnaturschutz engagieren. Dies bestätigte Pia Sommer: „Wir haben schon immer mit großer Leidenschaft sowohl Natur- als auch Tierschutz betrieben. Durch das zukünftige Agrarpaket und die neue Düngeverordnung sehe ich die Zukunft auf unserem Hof nicht grün, sondern schwarz“.
Erdbeben in der Börde
Zu einem „Erdbeben in der Börde“ hat nach den Worten von Burkhard Schröder das Agrarpaket mit dem Insektenschutzprogramm geführt. Der Kreis Soest sei extrem betroffen. Denn fast 55 % der Ackerfläche liege in Vogelschutz- und Naturschutzgebieten, fast 70 % des Ackers, der in NRW in Vogelschutzgebieten liegt, befinde sich im Kreis Soest. In dieser Region mit den sehr guten Böden, den Einsatz von Insektiziden und Herbiziden zu verbieten, sei verantwortungslos. Dies bestätigte auch Eva Irrgang, Landrätin des Kreises, in ihren Grußworten: „Ein Verbot ist nicht zielführend, bei Verzicht auf Herbiziden wird mehr gestriegelt, was alle Bodenbrüter zerstört.“Die Wut und Aufgeregtheit der Landwirte ist nachvollziehbar, antwortete die Grünen-Politikerin. Denn die Landwirtschaft sei nicht allein schuld am Artenverlust, gleichwohl müsse sie aber einen Teil der Verantwortung übernehmen. Hier seien die Grünen für einen Dialog bereit. Bewirtschaftungsauflagen seien zum Schutz der Natur notwendig, müssten aber durch eine „qualifizierte Umverteilung“ der Direktzahlungen ausgeglichen werden. Denn der Gesellschaft sei nicht zu erklären, dass Steuergelder nur nach Fläche verteilt werden.
Klasse statt Masse
Zu begrüßen seien die Initiative Tierwohl und die Nutztierhaltungsverordnung. „Halten Sie weniger Tiere und geben Sie diesen mehr Platz im Stall, schwenken sie um auf Klasse statt Masse“, forderte die Politikerin. Sie machte aber auch klar, dass dabei der Landwirt das gleiche Geld verdienen müsse. Dafür müsse sich die Gesellschaft beteiligen. Lebensmittel müssten teurer werden und mehr Wertschätzung erfahren. Neubaur: „Der Verbraucher fordert Fleisch in Bioqualität, kauft aber an der Ladentheke etwas anderes. Der Kunde ist scheinbar ein anderer Mensch als der Verbraucher.“ Falsch sei es dagegen, wie etwa bei der Initiative Tierwohl, nur auf Freiwilligkeit zu setzen. „Wir brauchen eine gesetzlich geregelte Haltungskennzeichnung, nur mit freiwilligen Maßnahmen kommen wir nicht weiter.
„Wir sind aufgewacht“
In seinem Schlusswort brachte Dirk Schulze-Gabrechten die Sorgen der Landwirte auf den Punkt. Der Druck sei unerträglich geworden, viele Vorschriften seien nicht mehr zu ertragen und würden die Existenz der Betriebe gefährden. Zu begrüßen sei das derzeit hohe Engagement: Die Landwirte sind aufgewacht, jetzt ist es wichtig, dass die Interessen einheitlich vertreten werden und die Landwirtschaft mit einer Stimme spricht.“