Die Genossenschaftsmolkereien sind von der Corona-Krise betroffen, trotzdem sind sie strikt dagegen, dass Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner den Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung anwendet. Stattdessen wenden die Molkereien individuelle Programme an, um ihre Lage zu stabilisieren. Das sagt Peter Manderfeld im Gespräch mit dem Wochenblatt. Manderfeld ist Vorstandsvorsitzender der Molkereigenossenschaft Hochwald aus Thalfang. Seit Anfang April ist er auch Vorsitzender der Interessengemeinschaft Genossenschaftliche Milchwirtschaft (IGM), zu der sich Arla, die Bayerische Milchindustrie, das Deutsches Milchkontor, Hochwald, die Molkerei Ammerland, FrieslandCampina und Uelzena zusammengeschlossen haben.
Herr Manderfeld, wie sind die Molkereien der IGM von der Corona-Krise betroffen?
Wir haben Anfang April die Auswirkungen in einer Telefonkonferenz besprochen. Dabei zeigte sich ein sehr heterogenes Bild: Während einige der Molkereien derzeit einen hohen Milchbedarf haben, um die Versorgung der Bevölkerung mit Milchprodukten sicherzustellen, sehen sich andere mit Absatzproblemen und wegbrechenden Märkten konfrontiert.
Können Sie das konkretisieren?
Alle spüren mittlerweile, dass die Corona-Krise starke Einflüsse auf den Milchmarkt nimmt. Das weltweite Herunterfahren des öffentlichen Lebens und vieler Industriebetriebe, verbunden mit dem Wegfall des Großverbrauchergeschäftes, hat die Gewichte auf den nationalen wie internationalen Märkten erheblich verschoben. Durch das Schließen von Gastronomie und Kantinen ist der Umsatz mit diesen Großverbrauchern zum Erliegen gekommen. Auch die industrielle Weiterverarbeitung von in Molkereien hergestellten Vorprodukten ist von Grenzschließungen, Betriebsschließungen usw. betroffen. Besonders schmerzhaft ist der eingebrochene Export nach Italien. Vor allem süddeutsche Molkereien beliefern neben dem Lebensmittelhandel auch Großverbraucher in Italien oder liefern Rohmilch bzw. Vorprodukte an italienische Molkereien. Dem steht eine hohe Nachfrage des Handels gegenüber, mit einem um etwa 5 bis 10 % höheren Absatzvolumen. Auch die Exporte von Produkten für Endverbraucher bleiben zurzeit stabil.
Arbeiten die Molkereien der IGM in irgendeiner Form zusammen, um die Unterschiede, Verwerfungen und Herausforderungen auszugleichen?
Die ehrenamtlichen und hauptamtlichen Führungskräfte unserer genossenschaftlichen Molkereien tauschen sich ständig zum Umgang mit den momentanen Herausforderungen aus. Die Solidarität untereinander ist gegeben, indem wir uns z.B. bei Kapazitätsengpässen aushelfen. Weitergehende Absprachen sind aus kartellrechtlicher Sicht nicht möglich.
Die Rufe nach einer Mengenreduzierung werden lauter. Wie steht die IGM dazu?
Hier muss man zunächst einmal zwischen einer freiwilligen EU-weiten Mengenreduktion mit Bonuszahlung und einer verpflichtenden EU-weiten Mengenreduktion unterscheiden. Eine freiwillige EU-weite Mengenreduktion wäre über den Artikel 219 der GMO umsetzbar, wie im Jahr 2016 geschehen. Aber nur wenn festgestellt wird, dass die üblichen Interventionsmaßnahmen unzureichend sind, also die private Lagerhaltung (PLH) und die öffentliche Intervention. Dann reden wir allerdings von Verwertungen deutlich unter 25 Cent/kg Milch. Eine verpflichtende EU-weite Mengenreduzierung mit entschädigungsloser Beschränkung der Produktion erkennt die Gemeinsame Marktorganisation als Instrument nicht an. Hierfür müsste die GMO in einem langwierigen Prozess geändert werden. Außerdem würde dies einen erheblichen Eingriff in die wirtschaftliche Freiheit mit sich bringen. Eine Förderung der privaten Lagerhaltung von Butter, Käse und Magermilchpulver sehen wir als IGM positiv.
Beispielsweise in Österreich haben mehrere Molkereien bereits individuelle Programme aufgelegt, um ihre Milchmenge besser an die aktuelle Situation anzupassen. Wie schätzt die IGM das ein? Könnte so etwas auch eine Option sein?
Auch in Deutschland haben einige Molkereien bereits individuelle Programme gestartet, um sich der aktuellen Situation anzupassen. Die Aktivitäten reichen von Apellen zur Milchreduktion auf freiwilliger Basis mit einer Belohnung beim Milchpreis über die Nutzung der Warenterminbörse bis hin zu einer Direktzahlung als Corona-Beihilfe an die Mitgliedsbetriebe. Da die Molkereien sehr unterschiedlich betroffen sind, kann es auch nur unternehmensindividuelle Lösungen geben. Wir werden diese Aktivitäten bündeln und auswerten, um für künftige Krisen weitere Handlungsoptionen nutzen zu können.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner droht weiter mit der Anwendung des Artikels 148, was jetzt noch einmal an Aktualität gewinnen dürfte. Wie positioniert sich die IGM?
Die IGM hat sich in der Vergangenheit intensiv mit den Themen Lieferbeziehungen, Volatilität am Milchmarkt sowie dem Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung beschäftigt. Unsere Ideen und Ergebnisse sind maßgeblich in die Sektorstrategie 2030 der Milchbranche eingeflossen. Diese bietet ein breites Spektrum von Lösungsansätzen.
Eine mögliche Anwendung des Artikels 148 bedeutet hingegen nicht, dass wir in Krisen ein wirksames Werkzeug zum Gegensteuern haben. Schuldrechtliche Verträge mit jedem Einzelnen würden einen Flickenteppich hinterlassen. Dies wäre am Ende für den kleineren abgelegenen Milchviehbetrieb auf Dauer eher von Nachteil. Davon abgesehen würden mit der Anwendung des Artikels 148 keine neuen Märkte oder Produktideen geschaffen, somit würde es am Ende auch keinen Mehrwert geben. Was mehr würde, wäre ein großer Verwaltungsaufwand mit deutlich mehr Komplexität. Aus diesen Gründen lehnen wir den Artikel 148 ab. Nicht zuletzt, weil er auch einen erheblichen Eingriff in unsere basisdemokratischen Spielregeln als Genossenschaft bedeutet.
Woran arbeiten die Molkereigenossenschaften stattdessen?
Wir Milcherzeuger mit unseren Molkereien wollen ambitioniert und zielorientiert wirtschaftseigene Risikomanagementsysteme weiterentwickeln, um Preisschwankungen abzumildern. Dazu kündigen die meisten Genossenschaften bereits frühzeitig ihren Milchpreis im Voraus an, geben Marktinformationen durch das IG-Milchbarometer weiter, bieten eine Milchmengenplanung für die Milcherzeuger an, ändern die Andienungsverpflichtung oder ermöglichen Festpreismodelle beziehungsweise die Milchpreis-Absicherung über Warenterminmärkte.