Herr Dr. Hemme, Sie fahren täglich raus auf Geflügelbetriebe. Müssen diese aus Schutz vor dem Coronavirus zusätzliche Hygienemaßnahmen durchführen?
Nein, das ist im Augenblick noch nicht erforderlich. Nach aktuellem Kenntnisstand ist Geflügel nicht durch dieses Coronavirus bedroht, um die Tiere mache ich mir keine Sorgen. Die Hygiene auf Geflügelbetrieben ist ohnehin schon hervorragend. Gefährlich ist dieses Coronavirus aber für Menschen, da müssen wir aufpassen.
Welche Maßnahmen haben Sie in ihrem Praxisalltag ergriffen, damit Sie die Infektionsgefahr für alle möglichst gering halten?
Wir haben sowohl für das Labor als auch für das Büropersonal zwei Teams gebildet, die täglich versetzt arbeiten. Wir Tierärzte kommen zu unterschiedlichen Zeiten zur Praxis, um Proben abzugeben oder Materialien wie Schutzkleidung oder Arzneimittel abzuholen. Die Kommunikation erfolgt nur noch digital. Büroarbeiten erledigen wir im Homeoffice. Unsere Kunden oder Zulieferer dürfen die Praxis nicht mehr betreten. So wollen wir möglichst lange gesund bleiben und unsere Arbeitsfähigkeit erhalten. Die Tiere müssen schließlich weiterhin gut versorgt werden.
Und wie läuft der Kontakt mit den Landwirten auf den Betrieben nun genau ab?
Ich kündige meinen Besuch vorher telefonisch an und der Landwirt schließt mir dann seinen Stall auf. Ein gemeinsamer Stallrundgang findet nicht mehr statt. Ich gehe alleine durch den Bestand und rufe den Landwirt danach an, um alles zu besprechen. Wir Tierärzte können die Bestandsbetreuung ganz gut organisieren, was wir jedoch schon spüren ist, dass beispielsweise Impfkolonnen fehlen.
Weil viele Mitarbeiter dieser Kolonnen aus Polen oder Rumänien stammen?
Genau, diese Mitarbeiter kommen nicht mehr über die Grenze. Dasselbe Problem betrifft auch die Waschkolonnen, die eigentlich nach der Ausstallung anrücken. Das Drumherum um die landwirtschaftlichen Betriebe ist gerade viel schwieriger zu organisieren.
Wie sieht es denn mit Ihrer Schutzkleidung aus, haben Sie genügend vorrätig?
Ja, wir sind ausreichend ausgestattet. Schon als wir erstmals von der Corona-Problematik in China erfahren haben, haben wir genügend bestellt. Das Problem ist ja, dass kaum noch irgendwo Vorratshaltung betrieben wird. Wir bemühen uns jetzt, nicht zu viel Material zu verbrauchen, um auch langfristig ausgestattet zu sein. Ich lasse beispielsweise meine Atemschutzmaske in einer Plastiktüte im Vorraum des Geflügelstalles hängen. Wenn ich dann in zwei Wochen wiederkomme, benutze ich diese Maske wieder.
Wie beurteilen Sie als Geflügeltierarzt die aktuell ergriffenen Maßnahmen, die zu einer Eindämmung des Virus führen sollen?
Im Falle einer Geflügelpest reagieren wir anders. Seuchenhygienisch ist das eine Katastrophe. Wir brauchen den kompletten Stillstand und müssen uns komplett voneinander isolieren. Es halten sich immer noch zu wenig Menschen an das Gebot, sich von anderen fernzuhalten.
Coronaviren richten auch im Geflügelbereich Schaden an. Worin besteht der Unterschied zum jetzt beim Menschen zirkulierenden Stamm SARS-CoV-2?
Coronaviren beim Geflügel sind von den Erregern der schweren respiratorischen Erkrankungen des Menschen deutlich abzugrenzen. Die infektiöse Bronchitis (IB) beim Geflügel ist ein Coronavirus, welches bei Hühnern zu einer Erkrankung führt. IB-Viren gehören zur Gattung der Gammacoronaviren, wobei die SARS-CoV-2 zur Gattung der Betacoronaviren zählen. IB-Viren führen beim Menschen nicht zu einer Erkrankung. Beim SARS-CoV-2 ist momentan nicht davon auszugehen, dass Geflügel für dieses Virus empfänglich ist.
Geflügelhalter können aber vorläufig davon ausgehen, dass ihre Tiere geschützt sind?
In Bezug auf SARS-CoV-2 ja. Bei der IB gibt es alle paar Jahre einen neuen Stamm, gegen den erst wieder ein neuer Impfstoff entwickelt werden muss. Seit 2018 zirkuliert jedoch ein erstmals in den Niederlanden nachgewiesener Stamm. Für diesen gibt es bis heute keinen Impfstoff. Jeder Coronastamm ist anders. Und wenn zwei verschiedene Coronaviren von zwei verschiedenen Artenzusammenkommen, kann das durchaus unüberschaubare Folgen haben.
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