Es ist Zeit zu reden: Das fand der Rheinische Landwirtschaftsverband (RLV) und lud seine Mitglieder zu einem außerordentlichen „Bauerntag“ nach Wesel ein. Am gestrigen Montag musste RLV-Präsident Bernhard Conzen vor den rund 600 anwesenden Landwirten die Gründe für diesen Bauerntag nicht erst aufzählen: Düngeverordnung, Insektenpaket, Tierschutzvorschriften, Preisdruck seitens des Lebensmittelhandels – diese Themen prägten die gut dreistündige Diskussion, bei denen sich Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, und Ursula-Heinen-Esser, Landwirtschafts- und Umweltministerin in NRW, den Fragen der Landwirte stellten.
Digitale Schlagkraft
Zeit zu reden – das bezog sich aber auch auf die Frage, wie die Öffentlichkeitsarbeit der Landwirtschaft und seiner berufsständischen Vertretung verbessert und ausgebaut werden könne. In den zurückliegenden Wochen und Monaten seien die Bauern vor allem auf die Straße gegangen, weil sie sich nicht respektiert fühlten und eine mangelnde Wertschätzung beklagten, hob Conzen hervor. „Land schafft Verbindung“ (LsV) habe gezeigt, wie man auf modernen Kommunikationswegen Schlagkraft entwickeln und unkonventionell Bauern mobilisieren könne.
Selbstkritisch räumte der RLV-Präsident ein: „Lange Zeit haben wir uns darauf beschränkt, unsere Kritik mit den herkömmlichen Mitteln vorzubringen.“ LsV habe als „schnelle Eingreiftruppe“, ohne institutionelle Hemmnisse den Protest auf die Straße gebracht. Dieses enorme Potential könne der Verband mit seinem Netzwerk, festen Strukturen und seinen Erfahrungen auf dem politischen Parkett ergänzen.
Die dort erzielten Erfolge der berufsständischen Interessenvertretung hingegen gingen im Alltag häufig unter. Als Beispiel führte Conzen die in der Milchkrise 2016 erstrittene steuerliche Gewinnglättung in der Landwirtschaft an, die einen Steuervorteil von 450 Mio. € bringe.
Ärger über das Schlagwort "Bauernmilliarde"
Verärgert zeigte sich der RLV-Präsident über die kürzlich von der Großen Koalition beschlossene „Bauernmilliarde“. Dieses Schlagwort habe ihm „die Zornesröte ins Gesicht getrieben“, so Conzen unter starkem Applaus seiner Zuhörer. „Keiner käme auf die Idee, den durch enorme Finanzmittel des Bundes unterstützten Umbau der Energiewirtschaft in NRW als ,RWE-Milliarden‘ zu verunglimpfen!“
Die Bundesmittel für die Landwirtschaft könnten nur der zweite Schritt sein, hob Contzen hervor. „Vor der Verteilung des Geldes stehen im ersten Schritt sachgerechte Lösungen bei den Umweltauflagen.“
Rukwied: EU-Agrarpolitik wird grüner
Ähnlich sah das DBV-Präsident Joachim Rukwied, der die Kritik am Schlagwort von der „Bauernmilliarde“ teilte. Er warnte vor einem Strukturbruch in der Landwirtschaft, wie ihn das kürzlich veröffentlichte Gutachten der DZ-Bank voraussage (vgl. S. 17 in dieser Ausgabe). Es müsse gelingen, die Weichen im Sinne einer wettbewerbsfähigen Landwirtschaft zu stellen. Grundvoraussetzung sei ein stabiles EU-Agrarbudget. Er setze darauf, dass sich die Bundesregierung in den laufenden Verhandlungen dafür uneingeschränkt einsetze. Rukwied gab aber auch zu bedenken: „Die zukünftige EU-Agrarpolitik wird grüner werden und muss auch grüner werden, weil wir sonst keinen politischen Konsens mit der Gesellschaft erzielen können – ob uns das gefällt oder nicht!“
Der Berufsstand habe sich proaktiv auf diesen Wandel einzustellen. Ähnliches gelte für die Vorschläge der Borchert-Kommission. „Wir werden die Tierhaltung verändern müssen“, erklärte der DBV-Präsident. Er wies aber auch auf etliche offenen Fragen hin, etwa zur Finanzierung und zu einer verpflichtenden Herkunftsbezeichnung. Zu klären sei auch, wie die Strategie der Borchert-Vorschläge in das europäische Umfeld passe.
Die roten Gebiete schrumpfen
„Wir müssen höllisch aufpassen, dass die Zweite Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik nicht gekürzt wird“, warnte auch die NRW-Landwirtschafts- und Umweltministerin Ursula Heinen-Esser auf dem Bauerntag. Auch sie teilt die Kritik am Schlagwort der „Bauernmilliarde“. Zur praktischen Umsetzung dieser zugesagten Finanzmittel könne sie aber nichts sagen – „wir wissen nichts darüber und warten weiterhin auf die Vorstellungen aus Berlin“, so die Ministerin wörtlich.
In puncto Düngeverordnung wies sie auf die Überprüfung des Grundwasser-Messnetzes hin. 10 % seien nicht in Ordnung und würden vom LANUV ausgetauscht, 200 zusätzliche Messestellen würden eingerichtet, so die Ministerin. Sie stellte eine „deutliche Reduzierung der roten Gebiete“ in Aussicht, ohne bereits konkretere Angaben dazu machen zu können.
Mehr Marketing betreiben
Auch das Thema der Werbung und Öffentlichkeitsarbeit bewegte die Ministerin. Sie bedauerte vor den 600 Zuhörern das Fehlen einer Organisation wie die frühere CMA. Der Landwirtschaft fehle damit ein Instrument zur Öffentlichkeitsarbeit für ihre Produkte. Heinen-Esser erinnerte daran, dass die Werbung der CMA stellenweise geschmacklos, auch frauenfeindlich gewesen sei. Aber sie habe für ein massenwirksames Marketing gesorgt und eine Verbindung zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft geschlagen.
Ein Betrag von 70 Mio. € aus der Auflösung der CMA liege derzeit bei der Rentenbank. „Ich würde es begrüßen, damit eine neue Marketinggesellschaft für Lebensmittel und Landwirtschaft aufzubauen.“