Meinung

Bauern werden zu Statisten

Das Urteil des Wissenschaftlichen Beirates zur Gemeinsamen Agrarpolitik der EU fällt vernichtend aus: Im Grunde läuft alles falsch, ein radikaler Wechsel muss her.

Harald Grethe ist nicht bange, die Bauern vor den Kopf zu stoßen. Vor drei Jahren hat der Professor das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik zur Nutztierhaltung in Deutschland vorgestellt und damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Jetzt gibt es ein neues Gutachten zur Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP). Auch hier ist das Urteil der Wissenschaftler vernichtend: Im Grunde läuft alles falsch, ein radikaler Wechsel muss her.

Die Neuausrichtung der GAP für die Zeit nach 2020 sollen Bundesregierung und EU nutzen, um sie – so steht es im Fazit des Gutachtens – „aus ihrer Einkommensorientierung zu lösen und konsequent gemeinwohlorientiert auszurichten“. Da scheint nur konsequent, dass die Direktzahlungen, die bisher den größten Brocken der EU-Agrarstützung ausmachen, nach dem Willen der Beitratsmitglieder abgeschafft gehören, zumindest in der bisher bekannten Form. Zwar wird nicht deren sofortige Streichung verlangt. Aber sie sollen sofort um 30 % reduziert und spätestens in zehn Jahren auf null gesetzt werden. Wenn im Agrarhaushalt Geld gespart werden muss, dann soll das grundsätzlich bei der Ersten Säule, also den Direktzahlungen, erfolgen. Zielvorstellung ist, dass nur noch ein kleiner finanzieller Beitrag für Markt­ordnungsausgaben übrig bleibt, ein etwas größerer für Moorschutz und Natura-2000-Projekte und der weit überwiegende für „Gemeinwohlleistungen“, insbesondere umwelt-, klima- und tierwohlbezogener Art.

Im Detail lässt sich der eine oder andere Kritikpunkt des Beirates nachvollziehen. Beispielsweise der, dass ein größerer Teil der Direktzahlungen gar nicht den Bewirtschaftern zugute kommt, sondern an die Flächeneigentümer weitergereicht wird. Bei einem Pachtanteil von 60 % in Deutschland ist das nicht zu vernachlässigen. Auch der Hinweis, dass der Verwaltungs- und Kontrollaufwand in Sachen Agrarhilfen völlig unangemessen ist, stimmt.

Gleichwohl gehen die Reformvorschläge insgesamt und vor allem deren Begründung in eine Richtung, die bei den meisten Bauern und ihren Familien Entsetzen auslösen wird. Direktzahlungen soll es nur noch dort geben, wo ansonsten die Flächenbewirtschaftung gefährdet wäre – aber nur, weil dann die Förderung der Biodiversitität oder der vielfältigen Kulturlandschaften ausbliebe. Das sind Gemeinwohlleistungen. An anderer Stelle lässt sich nachlesen, was nicht dazu gehört, nämlich „die Erzeugung von marktgängigen Agrarprodukten“. Dass die Landwirte in erster Linie für die Ernährungs- und Versorgungssicherheit der Bevölkerung sorgen, scheint kaum noch eine Rolle zu spielen, muss jedenfalls nicht extra „belohnt“ werden.

Was die Bundesregierung und die Europäische Union aus den Vorschlägen des Beirates machen werden, steht noch in den Sternen. Aber wer die Regeln der Europäischen Union im Sinne dieses Gutachtens revolutionieren möchte, sollte auch den Mut haben, dem Kind einen anderen Namen zu geben: Das ist keine Politik mehr im Sinne der Landwirtschaft, sondern eine Strategie, die Bauern im ländlichen Raum zu Statisten zu machen. Sie scheinen dort eher zu stören. Was für ein Widerspruch: Der Beirat für Agrarpolitik schafft die Agrarpolitik ab!