Pressestimmen zur Westfleisch-Schließung

"Am Ende zahlen wir alle einen hohen Preis"

Die Schließung des Coesfelder Westfleisch-Schlachthofes schlägt hohe Wogen in den Kommentarspalten in den Medien.

Hohe Wogen schlägt die Schließung des Coesfelder Westfleisch-Schlachthofes in den Medien. Kaum ein Radiosender, kaum eine Tageszeitung, die das Thema nicht kommentiert. Hier eine Auswahl der Pressestimmen:

Die WESTFÄLISCHEN NACHRICHTEN aus Münster urteilen:


"Die mehr als prekären Umstände, unter denen zahlreiche Mitarbeiter in Schlachtbetrieben ihrer schweren Tätigkeit nachgehen müssen, haben durch die jetzt bekannt gewordenen Corona-Infektionen im Westfleisch-Werk von Coesfeld eine allgemein-gefährliche Relevanz erhalten. Dabei geht es nicht um die Lebensmittelsicherheit, sondern darum, dass es offenbar neue Corona-Hotspots von bisher ungeahnter Dimension geben könnte.
Einer Firmenleitung darf es moralisch und wohl auch juristisch nicht gestattet sein, Verantwortung für gefährliche und hygienisch unhaltbare Zustände in den Betrieben oder bei der Unterbringung der Mitarbeiter mit Verweis auf Subunternehmer wegzudelegieren. Auch der Verweis auf enge Margen im Handel oder das niedrigere Preisniveau gerade bei Fleisch darf für die gesamte Branche kein Argument sein, die Aufsichtspflicht zu verletzen. Dies gilt im Regel- und Normalbetrieb – aber umso klarer sollte allen diese Pflicht in Zeiten einer Pandemie sein.“

Die RHEINISCHE POST aus Düsseldorf erinnert daran, dass die schlechten Arbeitsbedingungen in der Schlachtindustrie seit Jahren bekannt seien und fährt fort:


„Doch was sich bislang abseits von hin und wieder auftretenden Lebensmittelskandalen ignorieren ließ, tritt nun offen zutage. Denn plötzlich erkauft sich die Gesellschaft ihr Wegschauen nicht mit günstigen Preisen für Hackfleisch und Hähnchenschenkel – sondern mit der persönlichen Freiheit. So wie im Kreis Coesfeld, wo die Einschränkungen des öffentlichen Lebens aufgrund der hohen Corona-Infektionszahlen in einem Betrieb verlängert werden mussten.
In der Landwirtschaftspolitik hat Deutschland vielfach weggeschaut. Die Politik hat zumindest im aktuellen Fall erkannt, dass etwas passieren muss, und kündigt ein härteres Vorgehen an. Das ist überfällig.“

Die in Mainz erscheinende ALLGEMEINE ZEITUNG weist auf die Verantwortung der Gesundheitsämter, vor allem aber auf die Verantwortung von Westfleisch in der Corona-Krise hin:


"Das Beispiel Coesfeld ist nicht gerade dazu geeignet, das Vertrauen in die Durchsetzungskraft der Gesundheitsämter zu erhöhen. Erst nach einem bundesweiten Mediengewitter wurde die Produktion bei Westfleisch gestoppt - obwohl die Ausbreitung unter den eingepferchten rumänischen Billigarbeitern bereits mehrere Tage vorher aufgeflogen war.
Warum hat eigentlich noch niemand die skandalösen Notquartiere aufgelöst und die entrechteten Arbeiter in leer stehende Hotels einquartiert, bis Westfleisch selbst für ordentliche Unterbringungen sorgt?
Die Gesundheitsämter sind Teil der staatlichen Verwaltung, deren Erfüllung den Kommunen lediglich aufgetragen ist. Das heißt, im Zweifelsfall muss die jeweilige Landesregierung eingreifen, wenn Landräte und Oberbürgermeister vor wirksamen, aber schmerzhaften Entscheidungen zurückschrecken. NRW hat sich als Lockerungsdrängler auch hier nicht mit Ruhm bekleckert."

Bereits am Freitag, wenige Stunden nach Bekanntwerden der Schlachthof-schließung in Coesfeld, hatte der WESTDEUTSCHE RUNDFUNK (WDR) auf seiner Online-Seite einen ausführlichen Kommentar veröffentlicht, in dem es unter anderem heißt:


"Die Gesellschaft hat sich nur selten großflächig empört - ist ja auch eigentlich ganz weit weg von einem selber, was für Leid in so einem Betrieb entsteht. Auch jenseits der Schlachtung. Solange die Wurst schmeckt und günstig ist. Und da kommt Corona ins Spiel. Jetzt ist es nämlich ein Problem für alle, die rund um die Industrie leben. Es ist keine Überraschung, dass ausgerechnet hier jetzt rasant anwachsende Infektionsketten entstehen. Die Werkarbeiter stecken sich in ihren engen Behausungen an. Die Betriebe haben nicht unbedingt ein großes Interesse an Aufklärung. Man ist ja schließlich ein systemrelevanter Nahrungsmittelhersteller. Da will man ja nicht unbedingt schließen und auf die Profite verzichten.
Es entsteht so der bekannte turbokapitalistische Kreislauf der Entmenschlichung. Frisch von der der geschlachteten Schweinehälfte weg. Blöd nur, wenn daraus auf einmal eine gefährliche Virenkette wird, die der ganzen Gesellschaft den nächsten Lockdown beschert."

Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG wundert sich über die plötzliche Empörung:


„Aber es war doch hinlänglich bekannt, dass das Werkvertragssystem, über das Zehntausende ausländische Arbeiter in deutsche Fabriken geschickt werden, anfällig für Missbrauch und Ausbeutung ist. Zudem war abzusehen, dass die Sammelunterkünfte in einer Pandemie hochproblematisch sind.
Es schließen sich unbequeme Fragen an: Richtet sich der Aufschrei wirklich gegen die Lebens- und Arbeitsbedingungen? Ist die Empörung nicht viel mehr der Tatsache geschuldet, dass nun in einigen Regionen härtere Corona-Maßnahmen drohen? Zuletzt: Wenn die Bedingungen jetzt für schlimm erachtet werden, warum hat sich in der Vergangenheit kaum jemand dafür interessiert? Etwa weil es sich um Ausländer handelt, die still ihre Arbeit zum Wohle und Wohlstand der Mehrheit verrichten?"


Die Zeitung NEUES DEUTSCHLAND aus Berlin nimmt die Sicht der Verbraucher kritisch in den Blick:


„Die Empörung über die Arbeitsbedingungen ist nicht Ausdruck wahren Unmuts über mangelhafte bis gar keine Schutzausrüstung, über ausbeuterische Arbeitszeiten und katastrophale Sammelunterkünfte. Nein, sie kommt im Zuge der Angst vor erneuten Einschränkungen durch eine zweite Corona-Welle. Den meisten Empörten geht es nämlich um das eigene Wohl: Darum, dass es bei den endlich gelockerten Ausgangsbeschränkungen bleibt. Und auf das Pfund Hack für 2,19 Euro wollen sie grundsätzlich auch nicht verzichten. Dabei ist es genau dieses hinter Spottpreisen stehende System, das krank macht und Menschenleben in Gefahr bringt."

Ähnlich sieht das der MANNHEIMER MORGEN:


„Das Pfund Rinderhack für weniger als 2,50 Euro, 100 Gramm Putensteak für nicht einmal 60 Cent. Bei solchen Schnäppchen greifen viele gern zu. Unter welchen Umständen die Billigst-Angebote zustande kommen, interessiert offenbar weniger bis gar nicht. Dabei ist die deutsche Fleischindustrie schon seit Jahren auch ein verlässlicher Produzent von schlechten Schlagzeilen. Mal geht es um katastrophale Arbeitsbedingungen, ein anderes Mal um massive Verstöße gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen. Die Aufregung ist regelmäßig groß. In aller Regel legt sie sich aber schnell wieder.

Die DEUTSCHE WELLE weist auf ihrer Internetseite darauf hin, dass der Skandal auch eine internationale Dimension aufweise, die weit über die osteuropäischen Arbeiter hinausreiche:

„Die deutsche Fleischindustrie produziert inzwischen so viel und so billig, dass sich sogar der Export bis nach China rechnet. Die Firmen arbeiten unter Weltmarktbedingungen und schaffen es, Weltmarktpreise zu unterbieten. Sie machen Druck auf die Erzeuger, die Bauern. Diese sind gezwungen Mastschweine auf engen Stallflächen zu halten, wo sie mit Antibiotika gemästet werden, damit sie nicht krank werden. Gefüttert werden sie mit Soja oder Mais, der billig aus in Südamerika eingekauft wird. Dort werden große Flächen Urwald gerodet, um noch mehr Futtermittel anbauen können. Was im Ergebnis das Klima schädigt und die Bodenpreise explodieren lässt.
Am Ende zahlen wir alle einen hohen Preis für das billige Fleisch. Antibiotika im Fleisch sorgen für Arzneimittel-Resistenzen beim Menschen. Die Fleischproduktion belastet das Grundwasser vor Ort, weil viel zu viel Gülle auf den Feldern landet.
Alles diese Zusammenhänge sind sowohl in der Industrie als auch in der Politik wohlbekannt. Alle wissen auch, was eigentlich dagegen getan werden müsste: kleinere, dezentralisierte Betriebe schaffen, die Klasse statt Masse produzieren. (...) Alle Umfragen belegen: Die übergroße Mehrheit der Deutschen ist für ein Umdenken in der Agrarpolitik. Es bedarf Charakterstärke, Mut und Führung, um hier Fortschritte zu machen, und keiner ,Kultur des Wegsehens'."

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