4,1 Mrd. € für „Soziales“

Agrarhaushalt verabschiedet

Der Etat des Bundeslandwirtschaftsministeriums wächst um 400 Mio. € auf 6,7 Mrd. € im Jahr 2020 - und erreicht damit ein Rekordniveau.

Unter dem Eindruck der Bauern­demonstration am Brandenburger Tor stand die Debatte zur Verabschiedung des Agrarhaushalts 2020 am Dienstag vergangener Woche im Bundestag. Während Redner von Union und SPD den erneuten Anstieg vom Etat des Bundeslandwirtschaftsministeriums als wichtiges Signal für die Unterstützung der Landwirtschaft bezeichneten und den Bauern „politische Veränderungen mit Augenmaß“ zusicherten, kam aus der Opposition zum Teil scharfe Kritik.

Kritik von allen Seiten

Auf der einen Seite warfen die Grünen und die Linken insbesondere der Unionsfraktion Versäumnisse und mangelnden Reformwillen vor, auf der anderen Seite monierte die FDP eine Benachteiligung der hiesigen Landwirtschaft im europäischen Wettbewerb. Auch die AfD sprach von völlig überzogenen Auflagen zulasten der deutschen Landwirtschaft.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner wies die Angriffe zurück. Den Grünen hielt sie eine arrogante Sichtweise auf die Landwirtschaft aus städtischer Perspektive, den Liberalen Populismus und Doppelzüngigkeit vor.

Mit ­einem Gesamtvolumen von annähernd 6,7 Mrd. € erreicht das Budget des Agrarressorts ein Rekordniveau. Der Haushalt 2020 liegt rund 400 Mio. € über dem von diesem Jahr und 200 Mio. € über dem Ansatz, der im Regierungsentwurf für 2020 vorgesehen war.

Sozialausgaben dominieren

Den größten Posten im Haushalt bildet traditionell die landwirtschaftliche Sozialpolitik mit rund 4,1 Mrd. €. Davon entfällt der Löwenanteil mit gut 2,4 Mrd. € auf die Alterssicherung der Landwirte (AdL). Die Erhöhung um 70 Mio. € dient der Abdeckung von Kosten, die durch die Abschaffung der Hofabgabeklausel entstehen.

Die Bundesmittel für die Landwirtschaftliche Unfallversicherung betragen erneut 177 Mio. €. Für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) stellt der Bund erstmals mehr als 1 Mrd. € zur Verfügung. Dazu zählen die Mittel aus dem Klimaschutzpaket der Bundes­regierung, die überwiegend dem Wald zugutekommen. Insgesamt beläuft sich die Summe, die der Bund in den kommenden vier Jahren für den Wald ausgeben will, auf rund 547 Mio. €.

In der GAK sind 50 Mio. € für einen Sonderrahmenplan Insektenschutz eingestellt, unter anderem für die ­Kompensation von Bewirtschaftungsauflagen. Zusammen mit Kofinan­zierungsmitteln der Länder erhöht sich die Summe auf gut 80 Mio. €.

Ähnliches gilt für das mit 70 Mio. € dotierte Bundesprogramm Nährstoffmanagement zur Förderung von Maßnahmen zur Güllelagerung, -ausbringung und -aufbereitung, das über die GAK und die geplante Ackerbaustrategie umgesetzt werden soll.

Keine blinde Enteignung

Klöckner sagte eine umfassende Beteiligung an der Umsetzung des Aktionsprogramms Insektenschutz zu. Nachdem im Programm lediglich Ziele formuliert seien, werde die Regierung „vor jedem einzelnen Schritt und jeder einzelnen Maßnahme“ im Rahmen von runden Tischen die Seite der Praktiker hören. „Sollte es zu Einkommenseinbußen kommen, werden wir ­beziffern, was das heißt“, so die Ministerin. Man werde zudem „keine blinde Enteignung“ vornehmen.

Eindringlich warnte Klöckner davor, die Augen vor den anstehenden Problemen zu verschließen. Die Landwirtschaft sei beim Insektenschutz ebenso gefordert wie beim Klimaschutz und der Verbesserung des Tierwohls. In allen Bereichen seien Lösungen notwendig, die es dem Sektor ermöglichten, aus der „Rechtfertigungsecke“ zu kommen.

Der Vorsitzende des Bundestagsernährungsausschusses, Alois Gerig, mahnte „schnelles und praxisorientiertes Handeln“ an. Es gehe um „Wertschätzung, Perspektive, Verlässlichkeit, Bürokratieabbau sowie vernünftige Lösungen zu Tierhaltung und Baurecht“. Beim Insektenschutz sei „Augenmaß“ gefordert, so der CDU-Politiker. Der agrarpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Artur Auerhammer, warf der FDP vor, sich parteipolitisch auf Kosten der ­hiesigen Landwirte zu profilieren. Zum einen wolle die Partei den Ausstieg aus der Ersten Säule, zum anderen wettere sie gegen die geringfügige Umschichtung.

Nicht wirklich einig

SPD-Fraktionsvize Dr. Matthias Miersch machte trotz des gemeinsamen Haushaltsbeschlusses keinen Hehl daraus, dass es zwischen den Koalitionsparteien in der Agrar­politik grundlegende Meinungsverschiedenheiten gibt. Dazu zählten unterschiedliche Vorstellungen über die EU-Agrarförderung. Die SPD stehe für einen Umbau der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Ansonsten würden „anonyme Agrarkonzerne“ die Oberhand bekommen. Überfällig ist laut Miersch eine breite Verständigung darüber, „wie wir in den nächsten zehn, 20 Jahren in diesem Land Tierwohl organisieren wollen“. Ähnliches gelte für den Ackerbau. Ziel müsse es sein, „Planbarkeit zu schaffen“ und das anschließend ­finanziell zu unterlegen.

Der FDP-Agrarsprecher Dr. Gero Hocker empfahl Klöckner, ihre Landwirtschaftspolitik „grundsätzlich zu überdenken“. Die Ministerin habe offenbar nicht verstanden, „um was es den Menschen da draußen tatsächlich geht“, sagte Hocker mit Blick auf die Bauernproteste der vergangenen Wochen. Beispielsweise bedeute das Direktzahlungen-Durchführungsgesetz nichts anderes, „als dass Landwirte real einen ­Einkommensverlust hinnehmen müssen“. Um das ­gleiche Ein­kommen zu erhalten, müssten sie künftig „mehr Auflagen und höhere Standards erfüllen sowie mehr arbeiten“.

6 % sind nicht genug

Für die frühere Ministerin Renate Künast sind die Bauernproteste eine direkte Folge „langjähriger Untätigkeit“ der Bundesregierung in der Agrar­politik. Die Regierung habe es versäumt, die Weichen zu stellen für den notwendigen Umbau, „weg von einem agrarindustriellen System zu einem System, das gute, gesunde Lebensmittel produziert, agrarökologisch mit Rücksicht auf Natur arbeitet und den Bauern­familien ein auskömmliches, zuverlässiges Einkommen gibt“, so die ­Grünen-Politikerin. Künast warf vor allem der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor, „am meisten zu blockieren“. Das Agrarpaket gehe nicht weit ­genug; die Umschichtung von 6 % der Direktzahlungen in die Zweite Säule sei ­unzureichend.

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