Kommentar

Weltretter im Glashaus

Handelsvertreter verramschen Lebensmittel und belehren Bauern bei Tierwohl und Nachhaltigkeit. Bürger möchten nicht auf Steingärten und Billigflüge verzichten – und drücken den Arten- und Klimaschutz den Landwirten aufs Auge.

Wieder ging es nach Ostdeutschland. Wieder ging es um Wandel und Veränderung. Und doch waren die Töne andere: Beim diesjährigen Bauerntag in Sachsen haben die Landwirte gezeigt, dass sie Verantwortung für das Klima, den Artenschutz und das Tierwohl übernehmen. Das Motto „Wandel braucht Verlässlichkeit“ mag ähnlich geklungen haben wie „Veränderung gestalten“ in Erfurt 2015. Der Geist war ein anderer.

Vor vier Jahren noch sprach die Verbandsspitze auf großer Bühne davon, Verantwortung zu übernehmen – und suchte die Schuld vorrangig bei anderen. Delegierte pfiffen kritische Äußerungen, wie die der SPD-Politikerin Ute Vogt oder des „Zeit“-Redakteurs Andreas Sentker, einfach nieder. Man legte Themen auf den runden Tisch. Und schob sie anschließend umso gleichgültiger auf die lange Bank.

Das ist heute anders. Kritiker können Bauernpräsident Joachim Rukwied vorhalten, dass es dauert, bis sich ein Tanker wie der Deutsche Bauernverband in Bewegung setzt. Auch sind Fragen erlaubt, warum es erst Vorstöße wie die Offensive Nachhaltigkeit in Westfalen oder die Erschütterungen der Europawahl bedurfte, um den Handlungsbedarf zu erkennen. Fest steht aber, der Berufsstand packt die Themen an und treibt sie in die richtige Richtung.

Den Umweltverbänden, die diese Bemühungen jetzt reflexhaft als Lippenbekenntnisse abtun, sei ein Blick auf mehr als 200. 000 km Blühstreifen geraten oder die Millionen Tiere, die im Rahmen der Initiative Tierwohl von höheren Standards profitieren. Die Kritiker wären gut beraten, das inzwischen mit Preisen überhäufte „F.R.A.N.Z.-Projekt“ oder die verabschiedete Resolution zum Artenschutz zu würdigen. Oder sie könnten einfach mal überlegen, wo bei ihnen und anderen gesellschaftlichen Gruppen Anspruch und Wirklichkeit auseinanderdriften.

An Weltrettern im Glashaus besteht derzeit wahrlich kein Mangel. Handelsvertreter verramschen Lebensmittel zum Schleuderpreis und belehren die Bauern bei Tierwohl und Nachhaltigkeit. Bürger tun sich schwer, auf ihren schmucklosen Steingarten und den Billigflug nach Mallorca zu verzichten – und drücken den Arten- und Klimaschutz den Landwirten aufs Auge. Und das Umweltministerium rechnet vor, dass weltweit immer mehr Menschen auf immer weniger Fläche versorgt werden müssen – und empfiehlt den Ackerbauern gleichzeitig auf Pflanzenschutz, moderne Züchtungsmethoden und die nötigen Düngegaben zu verzichten.

Auf die Spitze getrieben wird das Feuerwerk der Doppelmoral im Rahmen des nun ausgehandelten Mercosur-Abkommens. Dem Klima- und Artenschutz dient es wohl kaum, dass bald Steaks und Feldfrüchte aus Südamerika auf die europäischen Märkte gespült werden, die zu genau den Niedrigstandards produziert werden, die hierzulande verteufelt werden. Den Exportinteressen der deutschen Automobilindustrie schon eher.

Man darf gespannt sein, wie Handel, Bürger und Politik sich in dieser und anderen Fragen verhalten werden. Nicht nur den Landwirten steht es gut zu Gesicht, Reden und Handeln in Einklang zu bringen.