Keine Lust mehr auf Europa?

Bei der Europawahl haben die etablierten Parteien viele Sitze im Brüsseler Parlament verloren. Was beunruhigt: Die Zahl der Fundamentalkritiker und Europaverweigerer im Abgeordnetenhaus ist gestiegen.

Auf den ersten Blick ist alles nicht so schlimm. Klar, bei der Europawahl haben die etablierten Parteien viele Sitze im Brüsseler Parlament verloren. Aber mit neuen Gruppierungen und Gesichtern wird die Europäische Union doch bunter, lebendiger und vielleicht kreativer. Wenn beispielsweise Deutschland nun Repräsentanten von einem Dutzend Parteien entsendet statt von einer Handvoll: Was ist daran bedenklich?

Bedenklich ist nicht die große Zahl der Parteien. Sorgen bereiten einige ihrer politischen Ziele. Nachdem jetzt die Detailergebnisse aus allen Ländern vorliegen, ist klar: Vor allem die Zahl der Fundamentalkritiker und Europaverweigerer im Abgeordnetenhaus ist gestiegen. In Deutschland gehört die „Alternative für Deutschland“ zu diesem Lager.

Noch schlimmer: die Parteien vom ganz rechten Rand des politischen Spektrums. Bei uns die NPD, in Frankreich der „Front National“. Mit einfachen Wahrheiten, Neiddebatten und kaum verhohlenem Rassismus sind sie auf Stimmenfang gegangen. So erfolgreich, dass die Front-Vorsitzende Marine Le Pen vor einer „Explosion“ Europas warnt. Für die Union der 28 Staaten ein verheerendes Signal. Und die Bühne des Europäischen Parlaments bietet nun radikalen Elementen eine Plattform für ihre „Weisheiten“.

Bestürzend ist schon die schlechte Wahlbeteiligung. In anderen Ländern waren es zum Teil weniger als 20 %, im Mittel 43 %. Bei der ersten Europawahl waren es mehr als 60 %! Vielen Wählern ist Europa offenbar egal. Da haben es die Gegner der EU leicht, sich in Szene zu setzen.

Dass jetzt auch ein deutscher Tierrechtler als EU-Abgeordneter gegen jede Form der Nutztierhaltung wettern darf und merkwürdige Theorien verbreiten wird („Milch ist auch sehr ungesund“), mag als Randproblem gelten. Aber was bedeutet es, wenn „Die Partei“ des Satirikers Martin Sonneborn ohne jedes Programm und nur mit dummen Sprüchen 180.000 Stimmen holt? Sind deren Wähler alles Satire-begeisterte Intellektuelle, die ihre Stimme bewusst wegwerfen? Oder gibt es genügend Dummköpfe in unserem Land, die „Für Europa – gegen Europa“ als Leitbild einer Partei ernst nehmen?

Vergessen wir nicht: Die Landwirtschaft ist immer noch das einzige vollständig von Brüssel aus regierte Politikfeld. Das darf man nicht Europagegnern, Radikalen und Spaßvögeln überlassen.