„Branchengespräch Fleisch“: Alles auf links drehen?

Miese Bedingungen in der Schlachtindustrie, Ramschpreise für Fleisch, zahlungsunwillige Verbraucher: Corona hat Missstände aufgedeckt. Verbesserungen sind gefragt. Aber mit Maß – damit Landwirte nicht hintenüberfallen.

Einen Neustart. Nicht weniger kündigten ­Julia Klöckner, Ursula Heinen-Esser und Barbara Otte-Kinast beim „Branchengespräch Fleisch“ an. Ihre Bestandsanalyse: miserable Arbeits- und Wohnbedingungen in der Schlachtindustrie, Ramschpreise für Fleisch im Handel, Verbraucher, die viel fordern, aber wenig zahlen.

All das ist nicht neu. Aber erst Corona setzt die Themen oben auf die politische und gesellschaftliche Agenda. Die Politikerinnen haben noch keinen konkreten Fahrplan für den Neustart. Aber sie spüren viel Rückenwind, etwas zu verbessern. Das Gute: Die Debatte läuft über die gesamte Lebensmittelkette vom Stall bis zum Teller – nicht wie bisher vor allem im Stall und auf Kosten des schwächsten Kettenglieds, der Erzeuger.

Abkehr von Werkverträgen

Die Schlachtunternehmen Tönnies, Westfleisch und die PHW-Gruppe (Wiesenhof) versuchen dem Gesetzgeber zuvorzukommen: Sie wollen aus den Werkverträgen aussteigen und mehr für ihre Arbeiter tun. Ein Indiz, dass sie die Selbstverpflichtung nicht ernst genug genommen haben. Und eine Chance, dass Arbeiter in schmuddeligen Wohnungen der Vergangenheit angehören. Die EU-Kommission will das jetzt offenbar europaweit umsetzen – noch besser!

Schluss mit Lockangeboten für Lebensmittel

Endlich rückt aber auch der Lebensmittelhandel stärker in den Fokus. Julia Klöckner will die Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken jetzt zügig umsetzen. Und sie will ein Verbot von Werbung mit niedrigen Lebensmittelpreisen bzw. ein Preiswerbeverbot für Fleisch prüfen. Das ist überfällig. Mit Lockangeboten für Lebensmittel muss Schluss sein!

Allerdings schränkte sie schon ein, dass das Kartellamt Grenzen setze und Politik keine Preise mache. Trotzdem sollte die Ministerin forscher auftreten. Es war schließlich die Politik, die die Tengelmann-Übernahme durch Edeka zuließ – gegen die Empfehlung des Kartellamtes. Warum also nicht einmal anders herum und die Macht des Handels begrenzen?

Mehr an Tierwohl

Worte und Appelle allein werden nicht reichen. Tierhalter müssen sich auf höhere Anforderungen einstellen. Die Vorschläge der Borchert-Kommission dürften die Richtschnur sein: mehr Tierwohl, mehr Umweltschutz – und als Ausgleich eine Prämie vom Staat, da die Verbraucher es freiwillig nicht zahlen. Bei Schweinehaltern kommt dieser Systemwechsel unterschiedlich an. Klar ist aber: Wenn Landwirte in das geforderte Mehr an Tierwohl investieren, muss die Gegenfinanzierung gesichert sein. Das ist sie aktuell nicht.

Es ist noch fraglich, ob eine Verbrauchssteuer von 40 Cent/kg überhaupt mit dem EU-Recht vereinbar ist und was für importiertes Fleisch gilt. Zudem gibt es offene Fragen zu bestehenden Ställen, zur Übergangszeit sowie zum Baurecht. Der Veränderungsdruck auf die Landwirte ist aber schon jetzt immens. Keinesfalls darf der aktuelle Tatendrang Tierhaltern höhere Auflagen ohne Gesamtkonzept überstülpen. Deshalb: Corona hat Missstände aufgedeckt. Es ist klug, mit dem aktuellen Willen Verbesserungen in der gesamten Kette einzuleiten. Aber mit Maß – damit Landwirte nicht hintenüberfallen.

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