Tausende kleiner Würmer schieben sich übereinander. Ihr Ziel: ein labbriges Blatt Kopfsalat. Die Szenerie erinnert eher an das Öffnen der Biotonne als an die Herstellung von Lebensmitteln. Doch genau das sollen die Würmer in Mira Iordanovas Mehlwurmfarm in Dortmund werden: Nahrungsmittel für Menschen. Die 40-Jährige gründete 2022 das Unternehmen „Broodwormfarm“. Das Besondere an ihrem Start-up: Die Würmer bekommen nur Lebensmittel aus zweiter Hand zu Fressen.
Eine zweite Chance für Salat
Rund 130 Eisenschubladen voller Mehlwürmer lagern in den Kellerräumen des Dortmunder Wohnhauses. Jeden Tag bringt einer der Mitarbeiter der Farm den Insekten Nassfutter. Durch Obst und Gemüse decken die Käfer und Würmer ihren Wasserbedarf. Neben Kopfsalat und Möhren stehen zum Beispiel Zwiebelschalen auf dem Speiseplan. Dabei verfüttert Mira Iordanova nur das, was für Menschen nicht mehr genießbar ist. Sie erhält Reste von einem nahe gelegenen Biosupermarkt und einer Biogärtnerei. Bio sollten Obst und Gemüse deshalb sein, weil Iordanova sich um ein entsprechendes Label bemühen will, sobald dies möglich ist.
„Ich möchte möglichst wenig Ressourcen beanspruchen“, sagt die hauptberufliche Gerichts-Dolmetscherin. So stellt das Unternehmen sowohl das Substrat, indem die Würmer liegen, als auch die wärmedämmenden Holzboxen selbst her. Die Bausteine: Gebrauchtes Holz von Einwegpaletten, recycelte Lehmklumpen und nicht verwertbare Schafs- und Kamelwolle.
Das Konzept für die Boxen und das Substrat-Rezept hat sie sich selbst überlegt. „Wir stehen noch am Anfang und testen vieles aus. Aber wir haben große Pläne“, sagt Iordanova strahlend. „Wir wollen die größten Insektenproduzenten in Europa werden.“
In den letzten sieben Monaten hat sie 60 kg Mehlwürmer geerntet. Bislang gehen alle lebend an Geflügeltierhalter. Aus den Mehlwürmern lässt sich allerdings eine Menge weiterer proteinreicher Produkte herstellen. So fungieren sie getrocknet als Proteinquelle in Müsliriegeln oder Nudeln.
Würmer essen – muss das überhaupt sein? Iordanova meint: Ja, zumindest in Zukunft. „Rein rechnerisch verfügen wir auf der Erde derzeit über genug Lebensmittel, um die Weltbevölkerung zu ernähren“, erklärt sie. „Das wird sich in einigen Jahrzehnten ändern. Deshalb müssen wir jetzt schon über neue Nahrungsquellen nachdenken.“
Vom Käfer zum Wurm
Doch wie funktioniert die Dortmunder Zucht überhaupt? In der ersten Station krabbeln schwarze Mehlkäfer, die sich an Substrat und Nassfutter sattfressen. Obwohl die Käfer Flügel haben, fliegt kein einziger im Keller des Start-ups herum. „Wenn sie satt sind, sind sie zu faul, um zu fliegen“, erklärt Iordanova. Deshalb bleiben die Käfer in ihren metallenen Schubladen und legen dort Eier in das Substrat.
Diese sind so klein, das sie mit bloßem Auge kaum erkennbar sind. Einmal in der Woche siebt ein Mitarbeiter den Inhalt der Käferbecken, um die Larven zu separieren. Fortan wachsen sie in eigenen Boxen. Nach zwei Wochen schlüpfen die Würmer. Geerntet werden sie bei einer Größe von 3 cm.
Während dieser zehn Wochen häuten sie sich neun bis zehn Mal. Ihre feine Haut besteht aus Chitin, das in Kosmetik und Pharmaka verwendet wird. Iordanova hofft, auch die Schale irgendwann vermarkten zu können.
Erntet sie die Würmer nicht ab, verpuppen sie sich und werden nach sieben bis zehn Tagen zu Käfern, die die nächste Generation zeugen. Jeder weibliche Käfer legt etwa 150 bis 500 Eier.
Zucht im Bunker
Noch steht die 40-Jährige ganz am Anfang. Sie will ihre Wurm-Kapazitäten aber so schnell es geht ausbauen. Dabei hat sie alte Bunker im Blick. „Ich will möglichst nur Fläche nutzen, die sonst ungenutzt ist“, sagt Iordanova. Dafür ist sie mit mehreren Städten im Gespräch. Auch hofft sie, den Kot der Tiere langfristig als Dünger vermarkten zu können. Erste Tests im eigenen Garten zeigen gute Ergebnisse. „Die Würmer haben so viel Potenzial“, zeigt sich Mira Iordanova begeistert. „Studien beweisen sogar, dass sie Styropor biologisch abbauen können.“
Ob und wann die Wunderwürmer regelmäßig in Trögen und auf Tellern landen werden, ist offen. Dafür gilt es, neben etwaiger Richtlinien, die Angst vorm großen Krabbeln zu überwinden.
Maikäfer in Butter rösten
Auch in Deutschland krabbelte es bis in die 1920er-Jahre manchmal in der Suppe. Zumindest fast. In der Maikäfersuppe befanden sich keine lebenden Insekten. „60 Maikäfer waschen und in einem Mörser zerstoßen“, heißt es in einem Rezept von 1844.
Das klingt befremdlich, ist aber logisch: Die braunen Krabbler sind, wie die meisten Insekten, sehr proteinreich und waren, im Gegensatz zu anderen Lebensmitteln, verfügbar.
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