Wenn nicht bald ein „Wunder“ geschieht, gibt es im Landkreis Waldeck-Frankenberg in Kürze keinen aktiven Schlachthof mehr. Für den dauerhaften Weiterbetrieb der Schlachtstätte in Bad Arolsen-Mengeringhausen müsste die Landwirtschaftliche Vieh- und Fleischvermarktung Nordhessen eG (LVF) als Eigentümerin dort nämlich insgesamt zwischen 3 und 4 Mio. € investieren. Das ist nach eingehender Prüfung und Kalkulation durch den Genossenschaftsverband wirtschaftlich nicht darstellbar. Daher haben die LVF-Mitglieder in der vergangenen Woche schweren Herzens beschlossen, die Modernisierung und Teilsanierung nicht in Angriff zu nehmen.
Aus für die Regionalität
Das ist auch deshalb bitter, weil die Schlachtung und Zerlegung von Schweinen und Rindern in Mengeringhausen bislang erfolgreich lief. Lieferanten und Kunden waren zufrieden, auch oder gerade, weil dort keine Massen bewegt wurden. Im vergangenen Jahr 2020 schlachtete die LVF hier beispielsweise wöchentlich gut 250 Schweine und 15 Stück Großvieh. Etwa 40 % davon wurden im Lohn für Metzger und Direktvermarkter aus dem Umland geschlachtet und aufbereitet. Diese Dienstleistung fällt künftig weg: Ein harter Schlag für die Regionalvermarktung!Dabei wollten die Verantwortlichen aus LVF-Vorstand und Aufsichtsrat um die Vorsitzenden Roelof Dingel bzw. Volker Lux den Schlachtbetrieb eigentlich nur mit überschaubarem Aufwand modernisieren und ertüchtigen. Schließlich hatten sich seit dem Ausfall des Schlachthofes in Bad Wildungen im Sommer 2019 die zu bewältigenden Tierzahlen bzw. Fleischmengen durch Umleitung der Warenströme spürbar erhöht. Rund 300 000 € sollte die Teilsanierung kosten, erklärte LVF-Geschäftsführer Dirk Blettenberg den Landwirten in Bad Arolsen.
Die Auflagen-Lawine rollt
Doch dann geriet eine Lawine ins Rollen, wie es der Geschäftsführer ausdrückte: Die auf die geplanten Umbaumaßnahmen angesprochenen Aufsichtsbehörden beim Landkreis Waldeck-Frankenberg und Regierungspräsidium Kassel nahmen den Schlachthof bei mehreren Begehungen ganz genau unter die Lupe. Sie erstellten anschließend eine Liste mit zu erfüllenden Vorgaben für den Weiterbetrieb. Unter anderem forderten die Behörden eine neue Viehwartehalle nach aktuellen Tierschutzstandards, die Modernisierung der Betäubungstechnik und eine Sanierung des Fußbodens gemäß der heute geltenden Hygienevorgaben. Das alles ergibt sich aus den einschlägigen Rechtsvorgaben, denn der 1977 errichtete LVF-Betrieb gilt nach EU-Norm als Großschlachthof: „Wir werden bei den Anforderungen in einen Topf mit den Großen der Branche geworfen, obwohl wir von den Tierzahlen und von den Stückkosten her in einer ganz anderen Liga spielen“, so Blettenberg.
Um zu prüfen, ob eine Modernisierung des Schlachthofes dennoch umsetzbar wäre, hat die LVF-Führung ein Architekturbüro und den Genossenschaftsverband hinzugezogen. Das Ergebnis war jedoch ernüchternd: Auch bei einer Ausweitung der Produktion rechnet sich eine Investition dieser Größenordnung vorne und hinten nicht.In der Konsequenz wird die Genossenschaft deshalb auf die Schlachthofmodernisierung verzichten. Wie lange in Mengeringhausen noch geschlachtet werden kann, ist ungewiss. Etliche Politiker im Landkreis möchten den Schlachthof erhalten. Aber wer soll die Investition stemmen?
Wie weiter im Viehhandel?
Mit dem absehbaren Wegfall der Unternehmenssparte „Schlachten“ braucht die LVF zudem eine geänderte Zukunftsstrategie. Im Viehhandelsgeschäft wurden zuletzt jährlich knapp 41 000 Schlachtschweine, 27 000 Ferkel, 3300 Schlachtrinder und ebenso viele Kälber/Fresser für die landwirtschaftlichen Mitglieder vermarktet. Wie viele andere in der Branche spürte die LVF jedoch den Strukturwandel und den Rückgang der Tierhaltung deutlich. Der Erfassungsaufwand ist hoch und die Viehvermarktung ein Zuschussgeschäft. Die Verluste konnten bislang häufig durch die positiven Erträge aus der Schlachtung in Mengeringhausen sowie durch diverse Pacht- und Mieteinkünfte ausgeglichen werden. „Wenn der Schlachthof demnächst wegfällt, müssen wir aber überlegen, wie es mit dem Viehhandel weitergeht“, so Geschäftsführer Blettenberg. Deshalb wolle man nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit anderen Branchenbeteiligten suchen. Die Tiere der Mitglieder sollen schließlich auch weiterhin möglichst gut vermarktet werden.
Wir meinen: Wo bleibt das Augenmaß?
Das ist schon bitter: Eine bäuerliche Genossenschaft will ihren kleinen Regionalschlachthof modernisieren, an dem auch zahlreiche Metzger und Direktvermarkter ihre Tiere im Lohn schlachten lassen. Ziel ist es, die leicht steigenden Tierzahlen besser bewältigen zu können.Auch die Aufsichtsbehörden sind grundsätzlich dafür. Der Kreis Waldeck-Frankenberg hat dem Vernehmen nach sogar 500 000 € an Fördermitteln in Aussicht gestellt. Mit Verweis auf die Rechtsvorgaben knüpfen Landkreis und Regierungspräsidium an den Weiterbetrieb allerdings umfangreiche Bedingungen. Daraus resultieren Umbaukosten in Millionenhöhe, die eine Modernisierung trotz Förderung für die Genossenschaft zum unkalkulierbarem Risiko machen. Dass sich die Versammlung gegen die Investition entschieden hat, ist daher verständlich.
Dem Tierschutz und der Regionalvermarktung wird damit ein Bärendienst erwiesen. Die Schlachtschweine und Rinder in Nordhessen müssen demnächst wohl deutlich weiter transportiert werden – auch weil die Behörden eine neue Viehwartehalle für rund 1 Mio. € fordern, obwohl die Tiere bislang nur rund 20 m von der Sammelstelle zum Schlachthaus zurücklegen müssen. Wo bleibt da das Augenmaß?
Das Problem liegt jedoch nicht allein im Verwaltungsbereich. Es reicht eben nicht, wenn Politiker in (Wahlkampf-)Reden regelmäßig das hohe Lied der regionalen Strukturen und Vermarktung singen, sie aber gleichzeitig die einschlägigen Rechtsvorgaben und Gesetze bei jeder Überarbeitung verschärfen. Es wird Zeit, die steile Aufwärtsspirale zum Beispiel beim Tierschutz- oder Baurecht zu unterbrechen. Sonst gibt es vielerorts bald nichts mehr zu schützen und zu stärken.
Heinz Georg Waldeyer