Eigentlich begann für Nils Rehermann das Jahr 2022 so wie für viele Azubis der Landwirtschaft im dritten Lehrjahr. Täglich wartet die Arbeit auf dem Lehrbetrieb. Am Horizont kündigen sich die Abschlussprüfungen im Sommer an. Er schmiedet Pläne für die Zeit danach.
Doch im März bekam der junge Mann aus Bad Driburg-Herste, Kreis Höxter, einen Anruf von der Landwirtschaftskammer in Münster. Er kam gerade aus dem Sauenstall seines Ausbilders Markus Pollmann in Steinheim. Angeblich hätte er für zwei Monate im zweiten Ausbildungsjahr im absoluten Beschäftigungsverbot gestanden. Diese Zeit würde seiner Ausbildung nicht angerechnet. Und plötzlich waren Nils’ Zukunftspläne bedroht.
Fehlende Untersuchung
„Das hat mir Panik gemacht“, sagt der angehende Landwirt im Rückblick. Gedankenspiele kreisten in dem 19-Jährigen: Heißt das, ich werde nicht zur Prüfung im Sommer zugelassen und muss erst auf die Termine im Januar warten? Kann ich nicht, wie geplant, zu Hause die Ernte mit einbringen und mein Gesellenjahr für die Fachschule beginnen?
Nils rief seinen ehemaligen Ausbilder Martin Rehermann an. Mit ihm ist er weder verwandt noch verschwägert. Nils hatte dort seine ersten beiden Lehrjahre verbracht. Der Gemischtbetrieb mit Milchvieh und Schweinemast liegt nur wenige Kilometer vom elterlichen Hof in Brakel-Schmechten entfernt.
Auch Ausbilder Martin Rehermann bekam im März ein Schreiben von der Landwirtschaftskammer mit dem Hinweis, dass Nils zwei Monate im Beschäftigungsverbot gestanden hätte.
Doch woher rührte dieses Verbot? Laut Jugendarbeitsschutzgesetz müssen minderjährige Auszubildende vor Beginn eines jeden Lehrjahrs, in dem sie noch minderjährig sind, eine Untersuchung beim Hausarzt nachweisen. Sie soll bescheinigen, dass die jungen Menschen körperlich in der Lage sind, zu arbeiten.
Vor Beginn seiner Ausbildung war der damals 16-Jährige daher auch beim Hausarzt. „Er hat meinen Rücken und meine Lunge kontrolliert“, erinnert sich Nils. Doch laut Landwirtschaftskammer ist die Bescheinigung darüber gemäß Jugendarbeitsschutzgesetz spätestens 14 Monate nach der ersten Untersuchung erneut vorzulegen, wenn der Lehrling weiterhin minderjährig ist und auf demselben Betrieb arbeitet.
Ansonsten darf der Jugendliche nicht weiterbeschäftigt werden. Das Ausbildungsverhältnis wird von Amts wegen gelöscht. Erst bei Vorlage der Bescheinigung oder Volljährigkeit darf die Ausbildung fortgesetzt werden.
Daher war Nils von Anfang Oktober 2020 bis zu seinem 18. Geburtstag im Dezember 2020 im Beschäftigungsverbot. So würde sich die Gesamtausbildungsdauer nach hinten verschieben.
Je nach Verspätung kann das neue Vertragsende dann auch außerhalb des regulären Prüfungszeitraumes liegen, sodass die Abschlussprüfung erst später abgelegt werden kann – sprich im Januar des Folgejahres. Das teilte die Kammer auf Anfrage des Wochenblattes mit.
Lösung gesucht
Ausbilder Martin Rehermann durchforstete seine E-Mails aus dem Jahr 2020 und fand ein Schreiben der Kammer, in der unter anderem von der Nachuntersuchung die Rede war. „Das ging im allgemeinen Trubel unter. Ich habe es vermutlich überlesen“, gesteht der langjährige Ausbilder.
Einen extra Brief dazu hatte er aber nicht erhalten. Dann hätte er Nils bestimmt noch mal zum Arzt geschickt. Er hätte sich gewünscht, dass sie früher über das Versäumnis informiert worden wären.
Nils erzählt, dass noch zwei weitere Azubis aus seiner Berufsschulklasse in diesem Jahr ein ähnliches Schreiben der Landwirtschaftskammer bekommen hätten. „Einer von ihnen ist gleich juristisch dagegen vorgegangen“, sagt der angehende Landwirt.
Die Kammermitarbeiterin, die ihn anrief, riet ihm und seinem jetzigen Ausbilder einen Antrag auf eine vorzeitige Zulassung zur Abschlussprüfung zu stellen. Doch das kam nicht infrage, da sein Ergebnis der Zwischenprüfung 2,0 oder besser hätte sein müssen.
Der für Ostwestfalen-Lippe zuständige Ausbildungsberater Falk Brunsiek und Ausbilder Martin Rehermann sprachen noch mal mit der Kammer in Münster. Aufgrund der nicht zurückgelegten Ausbildungsdauer konnte die Landwirtschaftskammer Nils nicht zulassen. So kam es zu einer Einzelfallprüfung durch den überregionalen Prüfungsausschuss. Nils wurde so doch zur schriftlichen und praktischen Prüfung im Sommer zugelassen.
Für Dr. Barbara Laubrock, Leiterin des Geschäftsbereichs Berufsbildung bei der Landwirtschaftskammer NRW, ist das aber kein Freifahrtsschein, die Nachuntersuchung zu vergessen. „Das Versäumen der Untersuchung ist kein Kavaliersdelikt. Je länger das Beschäftigungsverbot bestand, desto unwahrscheinlicher ist eine solche Entscheidung des überregionalen Prüfungsausschusses“, warnt sie. Darüber sollten sich nicht nur die Ausbilder, sondern auch die Eltern im Klaren sein.
Derartige Konflikte lassen sich im Interesse aller Beteiligten durch Vorlage aller Ausbildungsverträge vor Beginn der Ausbildung – wie es mittlerweile Vorschrift ist – bei der Kammer vermeiden. Auch Nils hätte sich so die Zitterpartie von mehreren Wochen erspart.
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