Für clevere Finanzentscheidungen: Hier liefern wir nochmal die spannendsten Fragen aus unserem Wochenblatt-Online-Finanzseminar mit fundierten Antworten von unserem Referenten Professor Hartmut Walz, unabhängiger Finanzexperte, Finanzblogger, und Autor.
Frage: Sollte man eine bereits bestehende kapitalbildende Lebens- oder Rentenversicherung (= Bestandsvertrag) zurückkaufen beziehungsweise kündigen?
Antwort (Prof. Dr. Hartmut Walz): Es kommt auf eine Vielzahl von unterschiedlichen Merkmalen und Kenngrößen an, die für "Normalsterbliche" schlecht bis überhaupt nicht zu erhalten, zu erheben oder festzustellen und zu bewerten sind. Und daher kann ich Ihnen lediglich die Gründe erläutern, warum Sie die Frage nur dann ordentlich geklärt bekommen, wenn Sie das Geld für eine Begutachtung in Ihrem Interesse in die Hand nehmen, zum Beispiel für einen Honorarberater oder Versicherungsberater – nicht jedoch, wenn Sie beim Versicherer oder beim provisionsabhängigen Mittler oder Makler nachfragen. Ohne Expertenrat haben Sie keine Chance!
Lebens- oder Rentenversicherung: Vertrag abschließen?
Wenn Ihre Frage gelautet hätte: Soll ich heute, im Jahr 2020, angesichts der bestehenden Nullzinswelt plus Coronakrise noch eine kapitalbildende Lebens- oder Rentenversicherung abschließen, wäre meine Antwort ein klares "Nein".
Sie werden bei einem solchen Vertrag kaum das eingezahlte Geld wiedersehen, da die hohen Kosten die Miniverzinsung auf den Sparanteil übertreffen werden. Beziehen Sie noch den Kaufkraftschwund durch die Inflation ein, geraten Sie "ganz sicher" ins Minus.
Versunkene Kosten manipulieren Entscheidungen
Ihre Frage nach der richtigen Entscheidung bei Bestandsverträgen ist jedoch aus zweierlei Gründen schwieriger: Erstens ist ein Teil Ihres Geldes nach dem bereits vor Jahren erfolgten Abschluss in jedem Fall verloren, das heißt, es ist weg - ganz egal ob Sie den Vertrag weiterführen oder auflösen. Dieses Geld nennt man "versunkene Kosten". Versunken sind beispielsweise die bereits angefallenen Absatz- und Vertriebskosten, ebenso die schon verrechneten Verwaltungskosten. Es ist exakt so, wie wenn Sie ein teures Essen im Feinschmeckerrestaurant bezahlen müssen, ganz unabhängig davon ob Sie den Teller nun leeressen oder das meiste zurückgehen lassen.
Die meisten Menschen lassen sich in ihren Entscheidungen durch versunkene Kosten manipulieren und führen schlechte Bestandsverträge fort. Um nochmals das Bild zu benutzen: Je teurer das Essen im Feinschmeckerrestaurant, desto eher essen die Gäste die Speise auf, auch dann wenn diese ihnen nicht schmeckt.
Zweitens teilen die Versicherer ihren Kunden nicht alle für die Entscheidung über die Fortführung oder Auflösung eines Vertrags relevanten Informationen mit. Ein leicht verständliches Beispiel: Oftmals wird behauptet, dass Sie Lebens- oder Rentenversicherungsverträge dann fortführen sollten, wenn Ihnen noch ein hoher Garantiezins, also zum Beispiel 3 bis 4 % geboten wird. Und dass Sie bei Verträgen mit nur geringem Garantiezins zum Beispiel 0,9 bis 1,25 % lieber den Vertrag auflösen sollten. Sie können die richtige Entscheidung jedoch nur treffen, wenn Sie wissen, auf welchen Nenner sich der genannte Garantiezins bezieht. Dies ist nämlich keineswegs Ihr bezahlter Versicherungsbeitrag, sondern nur der Sparanteil.
Beispielsweise zahlen Sie monatlich 100 € in den Vertrag ein, jedoch kann der Sparanteil 90 €, aber auch 80 € oder 72 € oder noch weniger betragen. Und nur auf diesen Betrag bezieht sich die garantierte Verzinsung. Wie schade, dass der Gesetzgeber die Versicherungsunternehmen nicht verpflichtet hat, Ihnen den Sparanteil zu benennen. Folglich verweigern die Versicherer diese Information. Was nützt Ihnen aber eine höhere Garantieverzinsung auf einen vielleicht katastrophal schlechten Sparanteil?
Das Bild der schiefen Ebene
Insgesamt sehen Sie, dass viele langfristige Verträge, die Sparen mit Versichern verbinden, dem Bild der schiefen Ebene entsprechen. Sobald Sie den ersten Schritt gemacht haben, rutschen Sie unaufhaltsam nach unten. Und je länger Sie auf der Ebene verbleiben, desto tiefer kommen Sie heraus. Das muss nicht zwangsläufig und immer so sein. Jedoch trifft das Bild leider in der Mehrheit der Fälle exakt die ernüchternde Wirklichkeit.
Schwach anfangen und dann stark nachlassen
Auch wenn meine Antwort Sie bislang sicher nicht erfreut hat, verstehen Sie nun, warum Ihre Frage nicht so harmlos ist, wie sie zunächst aussah. Und dass die fatale Folge der versunkenen Kosten darin besteht, dass Versicherer den starken Anreiz haben, Ihnen in der Anfangsphase möglichst viele Kosten aufzubürden, um Sie loyal zu machen (das Geld ist ja "eh" weg) und dass Sie in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft im Vertrag zu bleiben. Diese Hoffnung wird nun jedoch wegen hoher laufender Kosten (Verwaltungskosten) sowie sinkender Renditen und Überschüsse auf den Sparanteil häufig ebenfalls enttäuscht.
Konstruktive Alternativen
Die Statistik zeigt, dass viele Bestandsverträge während der Laufzeit beendet werden, um einen ganz ähnlichen - oftmals sogar noch schlechteren - Vertrag bei einem anderen Versicherer abzuschließen. Mit anderen Worten: Provisionsorientierte Vertreter oder Vermittler möchten gerne einen Neuabschluss machen. Dummerweise haben die Kunden jedoch bereits einen Bestandsvertrag und die daraus entstehende monatliche Belastung. Also wird der Bestandsvertrag schlechtgeredet und ein ähnlicher und nur angeblich besserer Vertrag mit neuen Abschluss- und Vertriebskosten "verkauft", womit die Versicherten jedoch vom Regen in die Traufe kommen. Damit ist natürlich nichts gewonnen, sondern zusätzliche versunkene Kosten sind verloren.
Sollten Sie also – hoffentlich auf Basis einer fundierten Datenlage wie Verbraucherzentrale, Versicherungsberater oder Honorarberater zum Ergebnis kommen, dass die Fortsetzung Ihres Bestandsvertrags nicht sinnvoll ist, dann muss sicher gestellt sein, dass Ihre Liquidität und Sparfähigkeit in effizientere und vor allem kostenärmere Vorsorgeprodukte gehen. Vielleicht benötigen Sie bestimmte Risikoabsicherungen nicht mehr. Oder Sie können diese Risiken preiswert über reine Risikoversicherungen ohne Sparanteil abdecken. Und wenn Sie die gewonnene Liquidität und Sparfähigkeit in transparente und kostengünstige Anlagen stecken, steht Ihrem Vorsorgeerfolg nichts mehr im Wege.
Buchtipps:
"Einfach genial entscheiden im Falle einer Finanzkrise" von Prof. Dr. Hartmut Walz. Haufe-Verlag, ISBN 978-3-648-13758-1. Weitere Infos hier.
"Ihre Finanzen fest im Griff - Erfolgreiche Geldanlage und Vorsorge in der Nullzinswelt" von Prof. Dr. Hartmut Walz. Haufe-Verlag, ISBN 978-3-648-13661-4. Zum Buch geht es hier.
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