Zwei Menschen, vier Hühner und ein Ziel: „Jedes Grundschulkind in Essen soll mindestens einmal mit den Hühnern vom Oberschuirshof in Kontakt kommen“. Klingt nach einem hehren Ziel. Aktuell geben Nikolas Weber und Jenny Kraneis, etwa sieben von zehn Kindern einen Einblick in die Hühnerhaltung. Der Landwirt und die angehende Gesundheitspsychologin laden dazu nicht etwa die Kinder auf den landwirtschaftlichen Betrieb von Nikolas Weber und seiner Familie ein, sondern bringen die Tiere in die Schulen im Stadtgebiet. Sie betreiben Informationsarbeit.
Für den Psychologen Jens Lönneker reicht das nicht aus, um das Bild der Landwirtschaft in der Öffentlichkeit nachhaltig zu verbessern. Er fordert neue Ansätze für die Öffentlichkeitsarbeit von Landwirten und Verbänden, das heißt: besonders positive, „ansteckende“ Geschichten.
Betonierte Schulhöfe
Nikolas Weber ergreift lieber selbst die Initiative und schreibt mit den Miethühnern lieber seine eigene Geschichte. Die Tiere bleiben für mindestens zwei Wochen in den Schulen. Kinder und Lehrkräfte versorgen sie. Die Tiere kommen samt Mobilstall, Zaunmaterial für einen etwa 25 m2 großen, fuchssicheren Auslauf, versorgt mit Tränke und Futter. „Einzige Voraussetzung ist, dass es eine entsprechend große Grünfläche gibt“, erklärt Jenny Kraneis, die 2013 die „Pottrabauken“ gründete und seitdem Projektarbeit zu Ernährung und Gesundheit anbietet. Sie begleitet das Projekt der Schulhühner pädagogisch und auch inhaltlich. Neben Schulen mieten auch Kindergärten und Altenheime Hühner.
„Uns geht es weniger darum, kategorische Öffentlichkeitsarbeit für die Landwirtschaft zu machen“, erzählt sie, „vielmehr wollen wir Erfahrungen ermöglichen, die gespickt sind mit wertvollen Informationen.“
Selbst- versus Fremdbild
Kontakt und Berührung mit der Landwirtschaft, das scheint in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten verloren gegangen zu sein. Psychologe Jens Lönneker sagt: „Landwirte und der Rest der Gesellschaft leben nebeneinander her.“ Der Geschäftsführer des Rheingold Salons, eines Marktforschungsinstitutes in Köln, bekräftigte seine Aussage im Interview mit dem Spiegel noch und warnt davor, dass das der beste Nährboden für Vorurteile sei. Lönneker muss wissen, wovon er spricht. Denn er erhielt 2020 den Auftrag des DBVs, eine Studie zur Wahrnehmung der Landwirtschaft in der Gesellschaft durchzuführen. Er befragte Verbraucher und Landwirte und fand heraus, dass Selbst- und Fremdwahrnehmung durchaus stark voneinander abwichen. Während sich die Landwirte selbst als Ernährer und Versorger der Bevölkerung wahrnehmen, sehen die Verbraucher zuallererst Umweltverschmutzer und Tierquäler in ihnen.
Öffentlichkeitsarbeit neu denken
Grund genug für die landwirtschaftlichen Verbände, ihre bisherige Öffentlichkeitsarbeit zu überdenken. Die neue Kommunikationskampagne des „Zukunft-Bauer“ steht für ein Miteinander auf Augenhöhe, ohne erhobenen Zeigefinger. Inhaltlich soll es ein neues Narrativ prägen, das einen Gegenpunkt zur konservativ und traditionell geprägten Meinung über die Landwirtschaft formt. Der Fokus soll künftig darauf lieben, „dass die Landwirtschaft der Zukunft moderne Entwicklungen, wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt nutzt, um einerseits die erforderliche Versorgung sicherzustellen, andererseits jedoch dabei die Natur weniger schädigt“.
Zeilen, die auch Landwirt Nikolas Weber unterschreiben würde. Und dennoch braucht es für ihn mehr als ansteckende Geschichten. Er will ein realistisches Bild der Landwirtschaft und damit auch der Erzeugung von Lebensmitteln prägen – mit allen positiven aber kritischen Aspekten.
Mit allen Sinnen Emotionen wecken
„Uns ist es besonders wichtig, alle Sinne anzusprechen“, sagt Jenny Kraneis. Die Kinder gehen mit den Tieren in Interaktion. „Sie können sie anfassen, die Eier essen und sie natürlich auch riechen“, sagt Nikolas Weber schmunzelnd, „das schafft kein Plakat und kein Treckerkorso“.
Diese Wahrnehmung unterstützt auch Psychologe Lönneker. Er vergleicht Traktoren mit Wagenburgen, die die Landwirte nutzen würden, um die eigene Unsicherheit zu kaschieren. Er sagt: „Auf dem Trecker fühlen sich die Landwirte zu Hause. Aber wenn ich wissen will, wie Verbraucher ticken, muss ich vom Trecker runter.“
Landwirtschaft vermarkten
„Wir müssen auf die Menschen zu gehen“, ist sich auch Nikolas Weber sicher. Für ihn ist es unerlässlich, an der Transparenz zu arbeiten. Da kommt es nicht von ungefähr, dass die Stalltüren auf seinem Betrieb wann immer möglich offen sind. „Wir wollen, dass sich unsere Kunden vor Ort von den Haltungsbedingungen überzeugen können“, sagt er und fügt hinzu: „Das ist wertvoller als jedes Siegel oder Label“.
Nikolas Weber ist mit Kundenkontakt groß geworden. Denn bereits vor mehr als 30 Jahren stellten seine Eltern den 70 ha großen Betrieb mit Schweinemast, Gänse- und Hühnerhaltung auf Direktvermarktung um. „Da habe ich auch gelernt, dass es nicht reicht, nur die positiven Aspekte der Landwirtschaft zu betonen, wir müssen ehrlich und glaubwürdig kommunizieren“, ist er überzeugt. Dass Weber seinen Worten auch Taten folgen lässt, stellte er 2019 unter Beweis, als er im Rahmen eines Experiments der Wissenssendung „Quarks und Co.“ eine Gans in der Fußgängerzone von Köln schlachtete.
Er bricht damit bewusst mit dem Buller-Bü Klischee, wie Jens Lönneker den fast romantisch anmutenden Wunsch der Verbraucher an die Landwirtschaft in Anlehnung an Astrid Lindgren nennt.
Da kommt das Geld her
Öffentlichkeitsarbeit ist mit Aufwand verbunden. Kraneis und Weber nehmen daher Geld für ihr Tun. Dafür zapfen sie Fördertöpfe der Stadt, von gemeinnützigen Organisationen oder auch die Fördervereine der Schulen an. „Es braucht ein wenig Geschick“, erzählt Weber, „doch je mehr sich unser Ansatz rumspricht, desto leichter wird es.“ 170 € nehmen sie pauschal für die Organisation, Grundausstattung und Anfahrt. Hinzukommen 70 € Miete pro Woche für die Tiere. „Wir sind davon überzeugt, dass gute Erfahrungen und Informationen auch etwas kosten dürfen“, sagen die beiden Hühner-Vermieter. Auch wenn ihr Projekt noch keine Gewinne abwirft, wollen sie nicht von ihrer Idee lassen. „Noch haben wir nicht alles Potenzial ausgeschöpft“, denkt Kraneis. Schließlich kam ihnen beim Start die Corona-Pandemie dazwischen. Einige Schulen stornierten ihre Buchungen wegen des Homeschoolings. „Gleichzeitig hatten wir im Hofladen außerordentlich viel zu tun“, berichtet Niko, „wir waren einfach froh, dass wir die Nachfrage dort bedienen konnten“.
Daher tragen die Mobilställe bis heute keine Werbung oder einen Hinweis auf den Betrieb der Familie Weber. „Das müssen wir nun mal zeitnah angehen“, sagt der 41-Jährige, „so könnten wir noch mehr auf unsere Marke ‘Bauer Weber’ einzahlen und der Landwirtschaft ein konkretes Gesicht geben.“
Jeder prägt die Wahrnehmung
Kommunikation ist nicht jedermanns Sache. „Wir als Branche sollten genau überlegen, was wir wem wie sagen wollen“, sagt Weber, „vor allem sollten wir aber überlegen, wer es sagen sollte.“ Webers Sorge: „Wenn wir die Kommunikation gänzlich den Verbänden überlassen, dann läuft es auf allgemeingültige Öffentlichkeitsarbeit hinaus.“ Für ihn ist das zu kurz gedacht. Er appelliert: „Jeder von uns steht täglich im Blick der Gesellschaft – und genau dort müssen wir anfangen, mit den anderen Menschen ins Gespräch zu kommen.“
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