Urlaub auf dem Land boomt und Corona hat den Trend befeuert. Allerdings brachten die Lockdowns die Familienbetriebe an die Grenze. Wie geht es weiter? Bietet der Landtourismus Landwirten trotz oder gerade wegen Corona in Zukunft eine Einkommensalternative? Ist dann „Bullerbü“ die richtige Strategie?
Im Lockdown-Frust
Familie Voß im sauerländischen Schmallenberg ist startklar, nur bremst der Lockdown sie massiv aus. Das Betriebsleiterehepaar Janina und Thomas Voß betreibt eine Färsenmast, Milchviehhaltung, Forstwirtschaft und den Betriebszweig Landtourismus. Die zehn gemütlichen Wohnungen im Landhausstil sind in den Ferien regelmäßig ausgebucht. Schon die Eltern, die das Betriebsleiterpaar tatkräftig unterstützen, und Großeltern des Betriebsleiters setzten auf Gäste und Tourismus. Mit Erfolg. Doch so etwas wie Corona haben sie noch nicht erlebt.
Jeden Tag verfolgt Janina Voß die Nachrichten und wartet auf verbindliche Angaben der Bundesregierung, damit sie weiß, ob und wann die Familie wieder Gäste auf ihrem Hof beherbergen darf. Doch die Aussage von offizieller Seite wirft für die Anbieter von Urlaub auf dem Bauernhof und ebenso die Gäste mehr Fragen als Antworten auf. „Ein konkreter Zeitpunkt lässt sich momentan noch nicht bestimmen. Solange die Sieben-Tage-Inzidenz nicht dauerhaft unter 50 Fällen pro 100 000 Einwohner liegt, sind die geltenden Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung zu beachten, das gilt auch für nicht notwendige Reisen“, sagt eine Sprecherin des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, das für die Tourismuspolitik in der Bundesregierung zuständig ist.
Perspektive fehlt
Für Familie Voß ist das unbefriedigend. „Wir müssen abwarten“, sagt Janina Voß. Was den Landtourismus-Betrieben aktuell fehlt, ist Verbindlichkeit. „Eine Planung ist unmöglich, wenn die Perspektive fehlt und Verunsicherung die Runde macht, weil die Rechtslage unübersichtlich ist und niemand weiß, ob und unter welchen Bedingungen Gäste anreisen dürfen“, kritisiert Ute Mushardt. Die Landwirtin und Unternehmerin ist Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Urlaub auf dem Bauernhof und Landtourismus Deutschland (BAG), zu der 9900 landwirtschaftliche Ferienhöfe gehören.
Sie fordert schon lange eine Strategie der Bundesregierung, wie man Urlaub auf dem Bauernhof in Corona-Zeiten ermöglichen kann. Vielleicht könnte sich diese Forderung endlich erfüllen. Heute, am 10. Februar, stimmen die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder über ein Konzept zum Neustart des Deutschlandtourismus ab. Vorgelegt hat das Papier der Deutsche Tourismusverband (DTV).
Ampel mit drei Stufen
Die Strategie basiert auf einer Ampel. In der Stufe Grün bei einer Inzidenz bis maximal 35 ist Tourismus in allen Bereichen unter Beachtung der strengen Regeln möglich; oberhalb von 35 (Stufe gelb) sind spezifische Auflagen verpflichtend vorgesehen. Bei „Rot“ – über 50 – müssen touristische Angebote schließen.
Ute Mushardt hofft, dass die Betriebe Ostern öffnen können. Denn der Stillstand und die Investition in umfangreiche Hygienekonzepte kosten Geld. Und obwohl die Buchungen während der Lockerungen in den Ferien boomten, fällt die Bilanz der Saison 2020 auf den Ferienhöfen ernüchternd aus. „Es fehlen durchschnittlich 114 Belegungstage pro Betrieb“, berichtet Franziska Schmieg, Geschäftsführerin der BAG.
Diese führte im Herbst 2020 eine repräsentative Umfrage mit 868 Mitgliedsbetrieben durch. Durchschnittlich büßten die Betriebe in 2020 rund 40 240 € Umsatz ein, insgesamt 398 Mio. €. Das zehrt an der Substanz. 60 % der Ferienbetriebe geben an, dass sie Investitionen aufgeschoben haben und auch in den nächsten drei Jahren keine planen. „Ohne Modernisierungen und Innovationen könnte es sein, dass die Qualität sinkt“, befürchtet die Verbandsvorsitzende Mushardt.
Breit aufstellen in der Krise
Überbrückungshilfen nützen Landwirten in dieser Situation nichts, weil die wenigsten sie in Anspruch nehmen können. Etwa 37 % der Ferienhöfe werden steuerlich in mitgezogener Nutzung geführt, das heißt im Haupterwerb steht die Landwirtschaft und im Nebenerwerb die Beherbergung. Erst wenn der Umsatz im Gesamtbetrieb (Landwirtschaft und Beherbergung) um 30 % zurückgegangen ist, kann der Landwirt die Überbrückungshilfe III beantragen. „Die wenigsten verzeichnen so dramatische Einkommenseinbußen. Die Politik antworten uns, dass bei Einkommenskombinationen der „starke“ Betriebszweig, die Landwirtschaft, den schwachen Betriebszweig wie momentan den Landtourismus, mittragen soll“, kommentiert Franziska Schmieg und ergänzt, „grundsätzlich gilt, dass Betriebe mit mehreren Standbeinen bei Markt- und Preisrisiken stabiler dastehen als nicht-diversifizierte, dennoch braucht ein Gesamtbetrieb alle Einnahmen, um das Familieneinkommen zu sichern.“
Trend wird anhalten
Nur 1,7 % der Betriebe gibt in der Umfrage der BAG an, aufgrund der Krise aus der Beherbergung auszusteigen. Allerdings sind auch 1,6 % eingestiegen. Der Blick auf die neue Saison hebt die Stimmung. 72 % der Befragten schätzen, dass sich der Landtourismus kurzfristig von der Corona-Pandemie erholen und gestärkt aus der Krise gehen wird. „Generell wird der ländliche Raum in diesem Jahr beim Sommerurlaub eine tragende Rolle spielen“, ist Ralf Hieke, Vizepräsident des Deutschen Reiseverbandes (DRV), aus Ibbenbüren, überzeugt.
Er geht davon aus, dass der Trend zu Urlaub auf dem Bauernhof anhält. Seiner Ansicht nach werden von dem Trend auch die Regionen Deutschlands profitieren, die bisher nicht so stark nachgefragt wurden wie das Münsterland. Dass der Trend anhält, glaubt auch Thomas Kortenjan, Leiter des Vermittlungsportals Landreise.de vom Landwirtschaftsverlag Münster. „2019 erlebte der Landurlaub ein Allzeithoch. Corona hat dies befeuert.
Während der Lockerungen im Juni/Juli haben sich die Buchungen mehr als verdoppelt“, zitiert er aus der Deutschen Landurlaubsanalyse 2021 mit 2390 befragten Feriengästen. Demnach ist der Urlaub auf dem Bauernhof bei Familien mit Kindern in den Ferien beliebt (79 %). Außerhalb der Ferien buchen ihn gerne Paare ohne Kinder (53 %). Die meisten entscheiden sich für einen Landurlaub, weil sie „auf der Suche nach Ruhe“ sind (65 %). Jeder dritte legt Wert auf Nachhaltigkeit und will die Landschaft erkunden. Jeder fünfte (22 %) möchte, dass sein Kind etwas über Landwirtschaft lernt.
Nach Ansicht der Touristiker liegt hier eine große Chance für die Betriebe. Sie wünschen sich mehr Angebote, weil die Nachfrage hoch ist. Ihre empfohlene Vermarktungsstrategie ist einfach – einfach idyllisch: Auf dem Hof muss es für die Kinder Ferkel zum Streicheln und Stroh zum Spielen geben.
Zusatzeinkommen für Höfe
Moderne Landwirtschaft im Verbraucherdialog, Ernährung, Rückbesinnung und Ruhe sind Werte, die die Gesellschaft laut der Touristiker nachfragt. Ob sich diese Werte durch eine verklärte Bilderbuch-Idylle in die Köpfe der Gesellschaft transportieren lassen? Ute Mushardt ist skeptisch. Sie bezieht klare Kante für die Landwirtschaft: „Die Betriebe können dem Wunsch, der Gesellschaft zu erklären, wie moderne Landwirtschaft funktioniert, sehr gut Rechnung tragen.“ Gegen etwas „Bullerbü“ im Landtourismus sei überhaupt nichts einzuwenden. Doch eine Verniedlichung passe nicht zu dem, was dahintersteht. Das sind nämlich moderne landwirtschaftliche Betriebe. „Landtourismus ist auch in Zukunft ein lukrativer Einkommenszweig für Betriebe.
Dieser erfordert unternehmerisches Denken und Handeln der Betriebsleiter. Landtourismus ist kein Rettungsanker für aufgebende Betriebe“, betont die Verbandsvorsitzende. Sie rät Neueinsteigern, sich umfassend über Finanzierung und Förderung, Umnutzung, Baurecht im Außenbereich, Steuerrecht, Gastronomie und Beherbergung, Vertrieb und Marketing beraten zu lassen.
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