Wochenblatt: Herr Peters, seit knapp 100 Tagen wütet der Krieg in der Ukraine. Wie stark ist die ukrainische Landwirtschaft betroffen?
Sehr stark. Die Mitarbeiter verteidigen ihr Land, sie fehlen für die Frühjahrsarbeiten. Während im Westen der Ukraine noch größere Flächen an Sommergetreide bestellt wurden, stockt die Aussaat im Osten. Hinzu kommt: Diesel, Dünger, Saatgut und Pflanzenschutzmittel sind aus oder unbezahlbar.
Und: Die meisten Agrargüter müssen per Schiff über das Schwarze Meer ausgeliefert werden. Dort ist aber der Transport nicht möglich, da die Kriegsparteien Minen im Schwarzen Meer gelegt haben. Täglich wird Transportinfrastruktur zerstört, die Angriffe auf den wichtigen Umschlaghafen Odessa nehmen zu. Unterm Strich könnten sowohl die Erträge als auch die Exporte der Ukraine geringer ausfallen als erwartet.
Wochenblatt: Hat die Ukraine noch Getreide auf Lager liegen?
Ja, mehr als 20 Mio. t aus der Ernte des vergangenen Jahres. Doch es besteht die Gefahr, dass dieses Getreide im Land bleiben muss. Diese Menge fehlt dann auf dem Weltmarkt und blockiert zudem den Lagerraum für die neue Ernte.
Deshalb will zum Beispiel Rumänien die Spurweite der eigenen Eisenbahnlinien auf die der ukrainischen anpassen. Damit soll mehr Getreide per Schiene aus der Ukraine nach Galanti in Rumänien an der Donau zur dortigen Verschiffung gebracht werden.
Wochenblatt: Möchte die Ukraine denn überhaupt weiter exportieren oder das Getreide lieber im eigenen Land lassen, um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern?
Die Ukraine ist eine Kornkammer und will weiter exportieren. Aber sie fordert bei der strategisch wichtigen Getreideausfuhr Hilfe von Deutschland, den USA und den übrigen führenden Industrienationen der G7. Diese sollen alternative Transportwege für ukrainisches Getreide ausloten. Nötig sind vor allem Alternativen über den Landweg und per Schiene zu den Donauhäfen.
Denn klar ist: Ohne die ukrainischen Agrarexporte stehen weltweit Dutzende Länder in den kommenden Monaten vor einer Lebensmittelknappheit. Die festen Preise dürften wegen der Ernteausfälle und der Lieferunterbrechungen der Ukraine noch mindestens zwei Jahre anhalten.
Wochenblatt: Also lassen sich die Ausfälle weltweit nicht ausgleichen?
Wohl kaum. Für die Ukraine gehen wir momentan mit einer Weizenernte von 22,5 Mio. t gegenüber 33 Mio. t im Vorjahr aus. Kanada könnte mit 25,5 Mio. t mehr Weizen ernten (Vorjahr 21,7 Mio. t). In allen anderen Regionen rechnen wir mit niedrigeren Ernten.
Deshalb gehe ich für 2022/23 von einer weltweiten Weizenernte von 756,3 Mio. t aus, im Vorjahr waren es noch 778,5 Mio. t. Erste Prognosen beziffern das Defizit auf 30 Mio. t Getreide am Weltmarkt.
Wochenblatt: Warum gehen die Erträge weltweit zurück?
Aufgrund der Trockenheit und des fehlenden Niederschlags. In Indien, weiten Teilen der USA, aber auch in europäischen Staaten wie Frankreich herrscht Wasserknappheit. Nur Russland wird in der neuen Saison 2022/23 seine Weizenexporte steigern.
Wochenblatt: Warum exportiert ausgerechnet Russland mehr?
Trotz des Krieges setzt Russland in großen Mengen Weizen auf dem Weltmarkt ab. Den russischen Exporteuren ist es weitgehend gelungen, die vom Westen verhängten Sanktionen zu lösen, wie den eingeschränkten Zahlungsverkehr. Sie exportieren Weizen von der russischen Seite des Schwarzen Meeres und sporadisch über das Asowsche Meer.
Hinzu kommt: Die Getreidebestände sehen in Russland trotz regional fehlender Pflanzenschutzmittel gut aus. Russland rechnet mit einer Getreideernte von 130 Mio. t, davon 87 Mio. t Weizen, und davon stehen 41 Mio. t für den Export bereit. Die Frage ist nur, wer kauft weiter russischen Weizen?
Wochenblatt: Haben Sie eine Antwort darauf?
Schwierig. Mit dem schrecklichen Krieg Russlands gegen die Ukraine erleben wir einen dramatischen Angriff auf unsere Weltordnung, verbunden mit massiven Auswirkungen auf die globale Wirtschaft. Über Nacht ist die Frage der Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln und Energie an die Spitze der politischen Agenda katapultiert worden, während gleichzeitig die Kosten in nahezu allen Lebensbereichen explodieren.
Das spüren wir in Deutschland und Europa, aber noch viel stärker die Menschen in ärmeren Ländern: Weil eine seit März andauernde extreme Hitzewelle die Weizenbestände zusehends gefährdet, hat Indien Mitte Mai mit sofortiger Wirkung alle Getreideexporte eingestellt – um die Versorgung der eigenen Bevölkerung zu sichern. Sofort schnellten die globalen Getreidepreise hoch. Und diese steigenden Brotgetreidepreise haben in einigen Städten Nordafrikas bereits Proteste ausgelöst.
Wochenblatt: Bleiben die Preise hoch und die Versorgung knapp?
Davon ist auszugehen. Alle Dritte-Welt-Staaten mit einem hohen Importbedarf an Getreide befürchten für das Jahr 2022/23 massive Versorgungsengpässe. Denn die Weizenkurse bleiben auch für die neue Ernte 2022 sehr fest. Dies kann man auch an den drastisch sinkenden Lagervorräten erkennen.
Laut US-Landwirtschaftsministerium fallen die weltweiten Weizenvorräte am Ende der kommenden Saison 2022/23 auf rund 271 Mio. t. Damit sind sie niedriger als zu Saisonende 2021/22 mit 278,3 Mio. t. Auch für Mais rechnen die Branchenteilnehmer mit rückläufigen Lagerbeständen. Sie könnten von 303,7 Mio. t im Jahr 2021/22 auf nur 295 Mio. t zurückgehen.
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