Weihnachten 2020

Wenn die Nacht am tiefsten ist

Weihnachten 2020 ist so sehr anders als die Weihnachtsfeste früherer Jahre und Jahrzehnte. Oder doch nicht? Unser Gastautor meint: Keine Dunkelheit der Welt, auch keine Pandemie, kann das Licht der Weihnacht verdüstern.

Ich singe in einem Gospelchor. Zum Höhepunkt ­unseres Chorjahres gehört – alle Jahre wieder – das Weihnachtskonzert. Eigentlich. In diesem Jahr ist alles anders, nicht nur für Chöre. Aber eines ist sicher: Weihnachten fällt nicht aus. Es fällt nur eben anders aus.

Die Corona-Pandemie liegt wie ein Schatten über unserem alltäglichen Leben, in allen Bereichen. Sie legt sich auch auf das Weihnachtsfest. Keine vollen Kirchen, kein „O du fröhliche“ und „Stille Nacht“ gesungen in großer Gemeinde, kein großer Chor, auch kein Familientreffen in großer Runde.

Zum festen Repertoire der Weihnachtskonzerte meines Chores gehört das Lied „There’s a Light shining“ vom Oslo Gospel Choir. In dem Lied heißt es: „Schließ deine Augen. Lass dich ein und du wirst sehen: Hinter jeder dunklen Wolke wartet ein Silberstreif am Horizont. Sei gewiss, keine Nacht kann dieses Licht verbergen. Es scheint für jeden, ohne Unterschied. Lass dich ein und du wirst spüren – du bist nicht allein.“

Das ist die Botschaft von Weihnachten: Keine Dunkelheit der Welt kann das Licht der Weihnacht verdüstern, auch keine Pandemie. Denn wenn die Nacht am tiefsten ist, beginnt schon der neue Morgen. Den können wir nicht erzwingen. Der neue Morgen kommt uns entgegen – im Kind in der Krippe, in dunkler Nacht: Und in dieser einen Nacht schreibt der Stern über dem Stall von Bethlehem dem Himmel Hoffnung ins Gesicht – und das alle Jahre wieder.

Stille Nacht, heilige Nacht: Die vertrauten, bisweilen arg strapazierten Verse erhalten im Corona-Jahr eine ganz eigene Bedeutung. (Bildquelle: Foto: J. Mühlbauer/stock.adobe.com)

Manchmal glaube ich, wir Erwachsene können hier etwas von kleinen Kindern lernen. Kinder brauchen kein Lichtermeer, um zu erkennen, dass alles gut wird. Die kleinste Flamme verzaubert sie. Mit offenem Mund bestaunen sie, selbst strahlend, den Schein ­einer kleinen Kerze. Es täte uns gut, wenn wir uns ­verzaubern ließen wie ein Kind und verzaubern ließen von einem Kind.

Das Licht, das unserem Leben neuen Glanz geben will, ist das Kind in der Krippe. Und dieses Kind stellt die Welt auf den Kopf. Es wird konsequent seinen Weg gehen – in jede Dunkelheit hinein. Es wird selbst die tiefsten Ängste durchleiden – so lässt Gott seine Zusage wirklich und lebendig werden: Fürchtet euch nicht! Ich bin bei euch – alle Tage!


Weihnachten 1943 betete Dietrich Bonhoeffer:

„In mir ist es finster, aber bei Dir ist das Licht.
Ich bin einsam, aber Du verlässt mich nicht.
Ich bin kleinmütig, aber bei Dir ist Hilfe.
Ich bin unruhig, aber bei Dir ist Friede.
Ich verstehe Deine Wege nicht.
Aber Du weißt den Weg für mich.“

Gott hat sich in seiner Menschwerdung entschieden zu uns Menschen bekannt, geht all unsere Wege mit. Aus dieser Gewissheit heraus kann Dietrich Bonhoeffer in tiefster Dunkelheit, im Kellergefängnis der SS in Berlin, kurz vor Weihnachten 1944 auch schreiben:


„Von guten Mächten wunderbar geborgen,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.“

Hinter uns liegt ein Jahr, an dessen Beginn niemand von uns sich hat vorstellen können, mit welcher Turbulenz unser Alltag auf den Kopf gestellt werden würde. Nichts war plötzlich mehr ­normal. Vieles, was wir so gern taten, wurde uns von einem Virus genommen.

Eine große Herausforderung bleibt seit den ersten ­Tagen der Pandemie, dass wir uns als solidarische Gemein­schaft stützen und stärken. Und da tut es auch gut zu erinnern, dass so vieles, was unser Leben ­bereichert hat, wir nie selbst gemacht haben, so wie die Liebe. Liebe ist ein Geschenk. Weihnachten als Fest der Liebe ist ein Geschenk.

Lassen wir uns ein auf das Kind im Stall von Bethlehem, das als Licht der Weihnacht alle Dunkelheit überstrahlen wird, das uns in unserem Alltag mit all unseren Freuden, Sorgen und Befürchtungen ermutigen und trösten will. Gerade jetzt.

Gesegnete Weihnachten und ein gutes neues Jahr 2021 wünscht Ihnen

Heinrich Siefer

Dozent in der Katholischen Akademie Stapelfeld