Kommentar

Rote Gebiete: Politisches Armutszeugnis

Politische Unsicherheiten und Streitereien haben dazu geführt, dass in NRW eine Verdopplung der roten Gebiete droht. Das Vertrauen ist auf allen Seiten verloren.

Willkür. Dieses starke Wort fällt aktuell selbst im Düsseldorfer Landwirtschafts- und Umweltministerium, hinter vorgehaltener Hand. Aber auch offizielle Schreiben an die Bundesregierung haben es in sich. Darin prangert das CDU-geführte Ministerium an, dass das „Grundgerüst der Fachlichkeit“ verloren geht. Und dass es nur darum gehe, dass „die ausgewiesene Fläche größer sein müsse“. Der Streit um die nitratbelasteten Gebiete erreicht die nächste Eskalationsstufe.

In den roten Gebieten gelten verschärfte Düngeregeln. Damit ist die EU-Kommission einverstanden. Seit Sommer 2021 kritisiert sie aber die Gebietsausweisung. Denn die roten Gebiete haben sich in den vergangenen zwei Jahren bundesweit stark verkleinert, von etwa 4,7 auf 2,0 Mio. ha. Das liegt an der Ausweisung: Der Bund gibt mit der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift (AVV) das Grundgerüst vor. Die Umsetzung ist Ländersache. Sie müssen sich nicht ausschließlich auf die Messstellen stützen, sondern können über Binnendifferenzierung sowie Modellierung kleinere rote Gebiete ausweisen – verursachergerecht.

Verdopplung der roten Gebiete in NRW

Der Vorwurf der EU: Das seien Rechentricks. Vergangenen Freitag hat die Ampel-Regierung der EU ein Angebot gemacht: Sie will sich bei der Ausweisung der roten Gebiete künftig vor allem auf die Messstellen stützen. Konsequenz: bundesweit mindestens 30% mehr rote Gebiete. Weil NRW besonders von Binnendifferenzierung sowie Modellierung profitiert, könnten die roten Gebiete von 163.500 auf rund 400.000 ha steigen. Das wäre mehr als eine Verdopplung!

Der Düngestreit ist ein krasses Negativbeispiel, wozu politisches Zaudern – gestützt von landwirtschaftlichen Verbänden – führt. Seit 1991 gibt es die EU-Nitratrichtlinie. Aber bis heute noch keine rechtssichere und praxisgerechte Umsetzung in Deutschland. Verantwortlich sind das Bundesumwelt- und das Bundeslandwirtschaftsministerium. In den drei Jahrzehnten führten Politiker von CDU/CSU, SPD und Grüne diese Ministerien.

Veränderungen in letzter Sekunde

Gehandelt haben sie aber nur, wenn es gar nicht anders ging: Seit 2013 gibt es Kritik an der deutschen Umsetzung der Nitrat-Richtlinie, 2018 hat der Europäische Gerichtshof Deutschland verurteilt. Als Strafzahlungen von rund 850.000€ pro Tag drohten, kam 2020 die neue Düngeverordnung. Aktuell ist es ähnlich: Die alte Bundesregierung mit Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hätte die Gebietsausweisung noch klären müssen. Doch die beiden saßen es stumpf aus. Jetzt ist das neue Grünen-Duo Cem Özdemir sowie Steffi Lemke wieder mit Strafzahlungen konfrontiert.

Streitereien schüren Misstrauen

Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind auf allen Seiten verloren: Der EU reißt der Geduldsfaden, weil Deutschland seit Jahren das Thema halbherzig anpackt. Als Retourkutsche will sie jetzt mehr rote Gebiete, heißt es aus gut informierten Kreisen. Das muss die Ampel-Regierung ausbaden. Die aber offenbar auch nicht mit letztem Herzblut verhandelt und beigibt – um die neuen Härten für die Landwirte den Vorgängerregierungen anzukreiden und für sich selbst das Abwenden der Strafzahlungen zu verbuchen. Das wiederum attackiert die CDU/CSU scharf – was nach 16 Jahren unionsgeführtem Agrarministerium aber auch nur nach typischer Oppositionsrhetorik klingt.

Verlierer sind die Landwirte. Um es unmissverständlich zu sagen: Da wo Landwirtschaft für zu hohe Nitratwerte im Grundwasser verantwortlich ist, muss es Einschränkungen geben. Aber wenn eine Kulisse allein durch politische Streitereien von rot auf grün auf rot wechselt, schürt das Misstrauen. Und führt dazu, dass Landwirte jetzt die Messstellen, von denen künftig alles abhängt, noch stärker infrage stellen. Weitere Klagen sind realistisch. Deshalb bleibt als Urteil für das politische Geschacher bei der Nitratrichtlinie auch nur ein starkes Wort: Armutszeugnis.

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