Kommentar

Rekordinflation in Deutschland: Ein bisschen wie Roulette

Am 24. Februar jährt sich der Überfall Russlands auf die Ukraine zum ersten Mal. Deutschland spürt den Krieg an der Rekordinflation. Für Landwirte bedeutet das höhere Kosten und hektische Märkte.

Trauriger Jahrestag: Am 24. Februar jährt sich der Überfall Russlands auf die Ukraine zum ersten Mal. Seitdem herrscht Krieg in Europa. Das menschliche Leid ist unvorstellbar. Tote, Verletzte, zerbombte Städte und Millionen Menschen auf der Flucht. Trotz allem versuchen die Ukrainer alles, um zwischen Stromausfall und Luftalarm einen halbwegs normalen Alltag zu leben. Ein Landwirt berichtet, wie ihn Raketen-Zischen aufgeschreckt hat. Das geht unter die Haut.

Auswirkungen der Inflation

Deutschland spürt die Folgen des Krieges vor allem an der Rekordinflation. Alles ist teurer. Zwar sind auch die Erlöse für Landwirte vielfach deutlich gestiegen. Die Kosten aber oft stärker. Und sie katapultieren sich vermutlich dauerhaft auf ein höheres Niveau. Zwei Beispiele:

  • Schweinehalter mussten 2022 deutlich mehr für Futter und Energie berappen. So schnell kletterten die Erlöse nicht. Deshalb stiegen Landwirte aus. Die politische Ohnmacht zur Zukunft der Nutztierhaltung bestärkte das noch. Erst jetzt, wo deutlich weniger Schweine am Markt sind, ziehen die Erlöse auf mehr als 2 € an. Knackpunkt: Zur Kostendeckung in der Kette sind inzwischen mindestens 2,40 € nötig, rechnen Berater vor.
  • Bei Milcherzeugern ist es anders: Sie profitierten im vergangenen Jahr von Rekordmilchpreisen. Allerdings: Aktuell stürzt die Auszahlung in riesigen Schritten nach unten, das Deutsche Milchkontor senkt den Grundpreis für Februar um 7 auf 50 Cent/kg. Die Kosten bleiben allerdings hoch. „50 Cent sind die neuen 30 Cent“, sagte kürzlich ein Berater. Der Kipppunkt der Wirtschaftlichkeit naht gefährlich schnell.

Unberechenbare Märkte

Hinzu kommt: Die Märkte sind unberechenbar geworden. Direkt nach Kriegsausbruch gerieten die Agrar- und Energiemärkte in heftige Turbulenzen. Jede Meldung über Dürre oder neue Gaslieferanten löste starke Preisausschläge nach oben oder unten aus. Das hat sich zwar beruhigt. Doch es kann jederzeit wieder losgehen. Denn Russland nutzt Getreide als Waffe, um seine Weltmarktstellung zu stärken. Die Welt ist abhängig von Getreide aus Russland. Und Deutschland auf absehbare Zeit von Energieimporten.

Diese Kombination aus deutlich höheren Kosten und hektischen Märkten belastet die Betriebe. Der Hebel Richtung „Gewinn“ oder „Verlust“ hat sich ex­trem vergrößert. Damit auch das unternehmerische Risiko. Der Kauf von Ferkeln ist ein bisschen wie Roulette, sagte neulich eine Landwirtin. Was sie meint: Sie hat keine Gewissheit, ob sie nach fünf Monaten am Mastschwein gut verdient oder kräftig draufzahlt. Weil die Summen so hoch sind, rüttelt das direkt am Betrieb. In anderen Produktionsbereichen ist es ähnlich.

Lösungsvorschläge sind rar. Gute Nerven und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Verarbeiter sind unumgänglich. Wo möglich, können Kontrakte im Ein- und Verkauf Extremausschläge glätten. Tatsächlich sind das aber nur kleine Effekte. Die größte Wirkung dürfte ein Kriegsende haben. Das ist zuallererst den Ukrainern zu wünschen. Am Ende aber allen Menschen – damit weltweit mehr Ruhe einkehrt.

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