Kommentar

Ran an die Abgeordneten!

Die „Agrarier-Fraktion“ im Bundestag ist spürbar geschrumpft. Wer vertritt zukünftig die Sorgen und Interessen der Landwirte?

Die Schweinekrise steuert einen ganzen Wirtschaftszweig an den Kipppunkt, die Umsetzung des Borchert-Plans steht vor hopp oder topp, mit dem europäischen Green Deal rollt die nächste Mammutaufgabe auf die Bauern zu – und gerade einmal vier Landwirte sitzen im neuen Rekord-Bundestag mit 736 Plätzen. Zwar kommen noch landwirtschaftsnahe Abgeordnete hinzu. Insgesamt ist die „Agrarier-Fraktion“ für diese Legislatur aber spürbar geschrumpft. Viele Landwirte und Organisationen hätten sich mehr Abgeordnete mit Stall oder Scholle in der Volksvertretung gewünscht – um ihre Sorgen sowie Interessen besser zu platzieren.

Das liegt nahe. Aber: Würden sich die verhärteten Fronten zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft per se lösen, allein weil mehr Agrarier im Bundestag sitzen? Würden sich europäische Vorgaben blitzschnell entschärfen? Die Vergangenheit zeigt: vermutlich nicht. Kann es nicht sogar ein Schlüssel für eine gesellschaftlich akzeptierte sowie wirtschaftlich tragfähige Landwirtschaft sein, wenn Landwirte „normale Abgeordnete“ für sich gewinnen? Vielleicht schon, denn die Zeit dafür könnte reif zu sein.

Abgeordnete "beackern"

Ohne Zweifel, das ist harte Arbeit. Sie müsste auf zwei Ebenen laufen:

  • Die landwirtschaftlichen Verbände und Organisationen stehen in der Pflicht. Sie brauchen nicht alle einer Meinung zu sein, sollten aber mit einer gemeinsamen Vision zur künftigen Landwirtschaft in Deutschland an die Parteispitzen herantreten – wie die Zukunftskommission Landwirtschaft es gemacht hat. Zwölf Jugendverbände aus Landwirtschaft und Umweltseite rufen die Ampel-Parteien jetzt auf, diesen Weg in der Regierung umzusetzen. Weil es ein gemeinsamer Appell ist, gehen sie einen Schritt weiter als ihre „erwachsenen Verbände“, die noch auf die bewährten Allianzen setzen.
  • Westfalen-Lippe hat 69 Bundestagsabgeordnete. Jeder Landwirt darf die Abgeordneten seines Wahlkreises beackern. Denn sie müssen auch für Landwirte ein offenes Ohr haben. Je öfter, klarer und konstruktiver Landwirte sie ansprechen, desto größer ist die Verpflichtung der Abgeordneten, das Thema mit nach Berlin zu nehmen. Ein Musterbeispiel liefern die Mutterkuhhalter aus dem Hochsauerlandkreis: Sie haben über den heimischen Bundestagsabgeordneten Dirk Wiese Lobbyarbeit bis in die Hauptstadt betrieben. Bundesumweltministerin Svenja Schulze ließ kürzlich durchblicken, dass die Wiedereinführung der gekoppelten Weidetierprämie auch darauf zurückgeht.

Neue Bündnisse

Für die Landwirtschaft steht derzeit viel auf dem Spiel. Damit die Branche aber im Bundestag Gehör findet, braucht sie Bündnisse mit Gruppen, mit denen sie sich in der Vergangenheit beharkt hat. Zudem Unterstützung von Parteien, die bis vor Kurzem noch als Feinde galten. Und: Rund um die Bauernproteste haben etliche Landwirte Politiker zu Gesprächen eingeladen. Gut und weiter so: Ran an die Abgeordneten!

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