Olympia: Pferde-Drama mit Folgen?

Tierquälerei, unhaltbare Zustände – das Olympia-Drama um Fünfkämpferin Annika Schleu und das Pferd Saint Boy hat eine Tierwohl-Debatte ausgelöst. Und lenkt den Blick auch auf den Reitsport insgesamt.

Vor dem Wochenende wussten wahrscheinlich die wenigsten, dass zum „Modernen Fünfkampf“ die Disziplin Springreiten gehört. Das hat sich seit dem Drama um die deutsche Fünfkämpferin Annika Schleu und das Pferd Saint Boy bei der Olympiade in Tokio geändert.

Die Bilder von der hilflosen, weinenden Reiterin im Sattel, der es trotz des Einsatzes von Gerte und Sporen nicht gelang, das sich komplett verweigernde Pferd durch den Parcours zu bringen, sind um die Welt gegangen – und wirken nachhaltig. Selbst Nicht-Pferdeleute diskutieren nun, wie es sein kann, dass den Sportlern die Pferde zugelost werden und gerade mal 20 Minuten Vorbereitungszeit verbleiben.

Tierwohl-Debatte in Gange

Das Pferd sei von der vorherigen Reiterin, die mit Saint Boy drei Verweigerungen erlebte, „zerritten“ worden, kommentierte ein Sportmoderator. Doch wie kann es sein, dass es erst vier Verweigerungen bedarf, bevor ein Pferd getauscht wird? Tierquälerei, unhaltbare Zustände – das Drama um Annika Schleu hat eine Tierwohl-Debatte ausgelöst. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) als Fachverband für den Pferdesport teilte mit, sie sehe die Reiterei im Modernen Fünfkampf kritisch. Die Zuständigkeit für das Regelwerk läge jedoch beim Weltverband für Modernen Fünfkampf. Die FN sei hier ebenso wie der Weltreiterverband in keiner Weise beteiligt. Wie kann das sein – es geht doch um Pferde?

Pferde als Transportmittel

Auch erfolgreiche Pferdesportler wie die mehrfache Dressur-Olympiasiegerin Isabel Werth ­übten scharfe Kritik. Fünfkampf habe nichts mit Reiten zu tun. Die Pferde seien ein Transportmittel, zu denen die Athleten keinerlei Bezug hätten. Ihnen könne man auch ein Fahrrad oder einen Roller geben. Doch unterscheidet die Öffentlichkeit hier überhaupt? Vermutlich eher nicht.

Das zeigt unser schon vor Monaten geplanter Einblick „Pferdehaltung“ (siehe unten), der durch das Drama in Tokio hochaktuell geworden ist. „Allen Beteiligten sollte klar werden, dass die Haltung von Pferden und vor allem ihre Nutzung zum ,Spaß‘ der Menschen nicht gegen Kritik immun ist“, sagt dort Peter Kunzmann, Professor für Angewandte Ethik in der Tiermedizin. Auch diejenigen, die „gar nichts gegen das Reiten hätten“, würden den Reitern nicht beistehen, wenn diese angegriffen würden.

Georg Fink, Sachverständiger für Reitanlagen und Stallbau in der Pferdehaltung, fordert, das Pferd wieder Pferd sein zu lassen. Ein Tier, das 23 Stunden im Stall stehe, könne keine Leistung bringen. Ist die Einzelbox also ein Auslaufmodell? Wie sieht eine pferdegerechte Haltung aus? Die entsprechenden Leitlinien werden gerade überarbeitet. Währenddessen bemühen sich viele Praktiker schon jetzt um mehr Tierwohl. „Wir sitzen in der ersten Reihe und müssen ein Musterbeispiel sein“, stellte kürzlich der Leiter eines Reitbetriebes am Niederrhein fest. Wie wahr!

Die Beiträge unserer "Einblickes" finden Sie hier:

Welche Bedürfnisse haben Pferde? Welche Anforderungen ergeben sich für die tiergerechte Haltung? Was müssen Pferdehalter wissen? Was ist nicht tiergerecht? Gibt es Gesetze? Was sagen die...

Pferdehaltung

Ethik in der Pferdehaltung

von Prof. Dr. Peter Kunzmann und Wiebke-Rebekka Gerdts, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

In der Vergangenheit waren Pferde Nutztiere. In der öffentlichen Wahrnehmung werden sie mehr als Begleiter des Menschen gesehen. Entsprechend kritischer werden Reiterei und Pferdehaltung...

Tiergerechte Haltung rückt immer mehr in den Fokus – auch bei Pferden. Anforderungen von Pferde­besitzern und Amtsveterinären wachsen. Auf was müssen sich Stallbetreiber künftig einstellen?

Die Wünsche der Pferdebesitzer wandeln sich, unabhängig von Leitlinien, die scheinbar keiner kennt. Der Markt entscheidet, was geht – das weiß auch Heinz Sandschulte aus Warendorf.