Kommentar

Cem Özdemir: Was erwartet die Landwirtschaft?

Cem Özdemir soll neuer Bundeslandwirtschaftsminister werden. Der fachfremde Politiker wird sich mit vielen Konfliktthemen auseinandersetzen müssen. Dabei ist Klarheit für die Landwirtschaft gefordert.

Erst flogen intern die Fetzen, dann das: Die Grünen wollen Cem Özdemir zum neuen Bundeslandwirtschaftsminister machen. Das ist eine positive Überraschung! Verbunden mit einer hohen Erwartungshaltung – weil die Grünen nach der für viele Landwirte unliebsamen Künast-Amtszeit vor rund 20 Jahren zeigen müssen, dass sie heute mehr können als scharfe Attacken und strenges Ordnungsrecht.

Konfliktthemen gemeinsam lösen

Özdemir ist kein Agrarfachmann, aber ein erfahrener sowie geschätzter Politiker. Er gilt als Pragmatiker und jemand, der Kompromisse aushandeln sowie Menschen mitnehmen kann. Vielleicht genau die richtigen Tugenden in der extrem angespannten Situation der Landwirtschaft. Zumal ihm langjährige Weggefährten bescheinigen, dass er bei neuen Themen Fachleute einfordere und genau zuhöre. Hinzukommt: Das Bundesumweltministerium übernimmt seine Parteikollegin Steffi Lemke, eine Agraringenieurin. Konfliktthemen zwischen Landwirtschaft und Umwelt müssen die Grünen intern lösen, nicht wie die Großen Koalition im Parteienstreit. „Bauernschreck“ Anton Hofreiter sitzt nicht im künftigen Kabinett. Personell kann die Ampel somit eine Chance sein für die Landwirtschaft.

Unklarheiten im Koalitionsvertrag

Das gilt auch für viele Stellen des Koalitionsvertrages von SPD, Grünen und FDP. Die künftige Regierung will eine verpflichtende Haltungs- und Herkunftskennzeichnung einführen, Planungs- und Genehmigungsverfahren vereinfachen, für mehr Fairness in der Wertschöpfungskette sorgen, den kooperativen Naturschutz stärken, ein Bestandsmanagement der Wölfe ermöglichen, die Leistungen des Waldes honorieren und mehr Einkommensmöglichkeiten durch Erneuerbare Energien schaffen. Klingt zunächst einmal gut. Allerdings bleiben die 177 Seiten an vielen Stellen unkonkret oder reißen Zielkonflikte auf. Zwei Beispiele:

  • Die Koalitionäre wollen den Umbau der Nutztierhaltung unterstützen. Sie vermeiden aber den Begriff „Borchert-Plan“, auch die Inhalte sind nur mit gutem Interpretationswillen herauszulesen. Die Ampel setzt auf „ein durch Marktteilnehmer getragenes finanzielles System“– was auch immer das heißt. Die Finanzierung bleibt offen. Genau diese muss aber dringend her – egal über welchen Weg, Hauptsache schnell! Sonst gibt es bald kaum noch Schweinebetriebe in Deutschland, die überhaupt etwas umbauen können.
  • Der Flächenverbrauch für Siedlungs- und Verkehrszwecke soll bis 2030 auf maximal 30 ha sinken. Gleichzeitig will die künftige Regierung 400.000 neue Wohnungen pro Jahr bauen. Hier braucht es klügere Konzepte als in der Vergangenheit, um beides zu erreichen.

Klarheit für die Landwirtschaft

Die Ampel betont bei jeder Gelegenheit „Aufbruch“, „Innovation“ sowie ihren Leitspruch „Mehr Fortschritt wagen!“ Für die Landwirtschaft war und ist das gelebte Praxis. Ein entscheidendes Schlagwort fehlt in den Ampel-Plänen aber: Landwirte wollen wissen, woran sie sind. Was gewünscht ist – und was nicht. Cem Özdemir ist für klare Worte bekannt. Er darf auch in seinem neuen Amt mehr Klarheit schaffen!

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Die Parteiführung der Grünen entschied am gestrigen Donnerstagabend über die Besetzung für den Bundeslandwirtschaftsminister an Cem Özdemir. Steffi Lemke soll Bundesumweltministerin werden.

Die Ampel einigt sich auf eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung, will den Umbau der Tierhaltung aber über den Markt finanzieren. Glyphosat soll bis Ende 2023 vom Markt.

Die Ampel-Parteien haben ihre Umbaupläne für die Landwirtschaft veröffentlicht. Es gibt ein geteiltes Echo.