Handel als streitbarer Corona-Profiteur

Gastronomie geschlossen, Feiern verboten: Der Handel profitiert von Corona, diktiert aber weiter Niedrigpreise und höhere Auflagen. Die Erzeuger bleiben auf der Strecke.

Die Bombe ließ Carsten Linnemann platzen: Starbucks bekommt vom deutschen Steuerzahler im Zuge der Corona-Hilfen für November und Dezember 2020 bis zu 75 % des In-Haus-Umsatzes vom vergangenen Jahr bezahlt. Und das, obwohl der auf Kaffeeprodukte spezialisierte internationale Konzern zuletzt durch Steueroptimierungen nur wenig Geld in die deutsche Staatskasse zahlte.

Das bestätigte der Bundestagsabgeordnete aus dem Kreis Paderborn gegenüber dem Wochenblatt. Beim normalen Steuerzahler bleibt hängen: Die Großen und Dreisten machen sich die Taschen voll, die Kleinen und Anständigen zahlen die Corona-Zeche.

Handel profitiert

Genau diesen Eindruck haben Landwirte auch bei ihrem Verhältnis zum Lebensmitteleinzelhandel. Weil die Gastronomie geschlossen und Feiern verboten sind, steigt der Absatz im Handel. Gleichzeitig liegen die Verbraucherpreise für Nahrungsmittel seit Jahresbeginn über Vorjahr. Die Erzeuger spüren davon allerdings kaum etwas. Der Handel profitiert von Corona, diktiert aber weiter Niedrigpreise und höhere Auflagen.

Als Julia Klöckner diese Machenschaften Mitte November öffentlich kritisierte, reagierten die Handelsbosse dünnhäutig, warfen ihr Diffamierung vor und schrieben einen Brief an Kanzlerin Merkel. Das wiederum quittierten die landwirtschaftlichen Verbände mit scharfer Kritik.

Um dem mehr Druck zu machen, blockierten Landwirte mehrere Lager der Handelsunternehmen. Schwerpunkt war das Lidl-Zentrallager in Cloppenburg. Die Schwarz Gruppe, zu der Lidl gehört, beriet sich daraufhin mit Händlern sowie Politik und Verbände, wie sich die Situation der Landwirte verbessern lässt. Nach diesem „Dringlichkeitsgipfel“ wollte sich die Schwarz Gruppe als Heilsbringer präsentieren und stellte 50 Mio. € für die Initiative Tierwohl in Aussicht – ohne Details zu nennen.

Es hagelte massive Kritik, weil es nach einem billigen Marketingtrick roch und keine Veränderung des Geschäftsgebarens erkennen ließ. Offenbar fürchtete auch Lidl einen Imagekratzer und schaltete in Zeitungen schnell Imageanzeigen.

Auch Aldi reagiert

Vielversprechender könnte die Reaktion von Aldi sein: Der Discounter bekennt sich zu fairen Handelspraktiken mit Lieferanten, Herstellern sowie Landwirten und unterstützt die Idee eines Verhaltenskodexes für den Handel. Zudem will sich Aldi für ein „FairTrade für die heimische Landwirtschaft“ sowie angemessene Bezahlung bei höheren Qualitätsstandards einsetzen. Schade, dass dafür erst Blockaden nötig waren.

Und noch sind es nur Worte ohne Leben. Damit es keine Lippenbekenntnisse bleiben, demons­trierten Landwirte zu Redaktionsschluss vor mehreren Aldi-Lagern. Den aktuellen Schwung sollte die Politik nutzen und endlich das Machtgefälle von Handel über Verarbeiter hin zu den Erzeugern eindämmen. Das hebelt keine Marktmechanismen aus und darf auch nicht kartellrechtswidrig sein. Aber es muss endlich Wertschätzung und Wertschöpfung für die Landwirte geben – ganz unabhängig von Corona.

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