Kommentar

Fleischkonsum: Zurück zum Sonntagsbraten

Der Appetit auf Fleisch bleibt. Trotzdem werden Fleischersatzprodukte immer beliebter - nicht nur bei Vegetariern und Veganern. Wie passt das zusammen?

Deutschland ist ein Land der Fleischesser. Und Deutschland bleibt ein Land der Fleischesser. Trotzdem stecken wir mitten in einem rasanten Wandel des Fleischkonsums. Großer Gewinner: die Fleischersatzprodukte.

Rekord-Wachstumsrate

Werfen wir dazu einen Blick in den Markt. Als vor nicht einmal zehn Jahren die Rügenwalder Mühle 2014 mit ihrer fleischlosen Schiene startete, wurde das Unternehmen von vielen be­lächelt. Heute haben Alternativen zu Wurst und Fleisch längst ihren festen Platz im Kühlregal. Ihr Produktionswert in Deutschland kann mit knapp 540 Mio. € (2022) längst nicht mit dem des Riesen Fleisch (42 Mrd. €) mithalten. Doch die Wachstumszahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Um satte 97 % konnten Fleischersatzprodukte zwischen 2019 und 2022 zulegen. Und noch eine Zahl passt ins Bild: 2022 sank der Fleischkonsum der Deutschen auf ein Rekordtief seit Aufzeichnungsbeginn 1989.

Mehr Flexitarier

Das mag man nun begrüßen oder beklagen – die Entwicklung bleibt dieselbe. Nicht zielführend ist in jedem Fall, Vegetarier und Veganer als ihre Treiber zu brandmarken. Denn das sind sie nicht. Auch dazu ein Blick in die Zahlen: Nur 8 % der Deutschen leben komplett fleischfrei. Dieser ­Anteil wird sich vermutlich nicht substanziell erhöhen. Darin sind sich die Experten, mit denen wir für unseren Schwerpunkt zum Fleischkonsum gesprochen haben, einig. Einig sind sie sich aber auch in Folgendem: Die Fleisch­esser essen Fleisch nicht mehr regelmäßig, die Gruppe der sogenannten „Flexitarier“ wächst. Das sind Menschen, die seltener, aber bewusster Fleisch essen.

Etablierte Unternehmen und junge Start-ups ­haben die Flexitarier längst als Zielgruppe entdeckt. Vegetarier und Veganer sind für sie eher Beifang. Der hohe Preis oder fragwürdige Geschmack von Fleischersatzprodukten mag jetzt noch Kunden vom Kauf abschrecken. Doch die Unternehmen sehen die Zeit auf ihrer Seite. Mehr Konkurrenz und technischer Fortschritt werden die Stellschraube „Preis“ nach unten, die Stellschraube „Geschmack“ nach oben drehen.

Haben Hybridprodukte Potential?

Einige Experten gehen sogar einen Schritt weiter: Für „Redefine Meat“, ein Start-up, das vegane Steaks im 3-D-Drucker produziert, verlieren Kategorien wie vegan, vegetarisch oder carnivor an Bedeutung. Das junge Unternehmen sieht großes Potenzial in sogenannten Hybridprodukten, die Fleisch und pflanzliche Proteine kombinieren. Sie enthalten gerade so viel Fleisch, wie die Konsumenten benötigen, damit sich ihre Erwartung an Geschmack und Textur erfüllt. Ob das Fleisch dabei vom Tier kommt oder „nur“ aus tierischen Zellen im Labor gezüchtet wurde, ist den Unternehmern von „Redefine Meat“ im Grunde egal. Hauptsache, der Geschmack stimmt.

Ja, Deutschland ist ein Land der Fleischesser. Und ja, Deutschland bleibt ein Land der Fleischesser. Aber es deutet sich eine Verschiebung an. Fleischersatz- und Hybridprodukte könnten das werden, was Fleisch bis dato noch ist: ein Massen­produkt. Fleisch wird auch weiter von der Mehrheit der Bevölkerung gegessen werden. Nicht mehr jeden Tag, sondern wieder mehr als Sonntagsbraten.

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