Kommentar

Ernte ohne Dank?

War etwas am ersten Oktober-Wochenende? Klar – wer sich engagiert oder interessiert, hat Erntedank gefeiert. Ein Großteil der Bevölkerung dürfte aber nichts mitbekommen haben.

War etwas am ersten Oktober-Wochenende? Klar – wer sich engagiert oder interessiert, hat Erntedank gefeiert. Ein Großteil der Bevölkerung dürfte aber nichts mitbekommen haben. Und auch nicht auf dem Schirm haben, um was es im Kern überhaupt geht: Gott und den Landwirten für die Ernte danken. Denn volle Läger vor dem Winter waren über Jahrhunderte nicht selbstverständlich.

Allerdings: In den vergangenen Jahrzehnten gab es in Deutschland keinen Mangel mehr, Lebensmittel waren immer und überall günstig zu haben. Das Erntedankfest rückt daher in den Hintergrund: In Schulen und Gottesdiensten kommt es oft nur noch sporadisch vor, manche Kommunen nutzen es vielmehr für verkaufsoffene Sonntage.

Der evangelische Pastor Michael Ellendorf aus Niedersachsen keilte dieses Jahr sogar aus: Eine industrielle Landwirtschaft komme ohne Gott aus, schrieb er bei „Kirche im NDR“ und fragte: „Wem soll ich denn da danken – dem Kunstdüngerkonzern?“ Vielleicht nur eine unangebrachte Einzelstimme. In Summe zeigt sich aber: Der eigentliche Erntedank geht verloren.

Viel Grund zur Dankbarkeit

Dabei ist es gerade in diesem Jahr an der Zeit, für die Ernte zu danken. Die Kombination aus Corona, Krieg und Trockenheit verdeutlicht, dass Versorgungssicherheit doch ein Thema ist. Und es eben nicht selbstverständlich ist, dass immer genug Lebensmittel da sind. Im Zweifel kauft das reiche Deutschland zwar aus dem Ausland zu, das verschärft dann aber den Hunger woanders auf der Welt – auch daran soll Erntedank erinnern. Doch warum gab es auch im besonderen Jahr 2022 nicht mehr Aufmerksamkeit?

Das Bild „Landwirt als Ernährer“ begeistert kaum einen deutschen Verbraucher, zeigen Analysen. Es braucht andere Bilder. Trotz gutem Besuch und hohem Engagement kommt da die Frage auf: Senden die traditionellen Erntedank-Umzüge die richtigen Botschaften? Historische Landtechnik, verkleidete Menschen und Schriftzüge wie „Die gute alte Zeit“ stehen für Nostalgie – aber nicht für den „Zukunftsbauern“, den sich die Gesell­schaft wünscht. Und auch nicht für den „Zukunftsbauern“, mit dem der Deutsche Bauernverband zurück in die Mitte der Gesellschaft will.

Mit Erntedank in die Zukunft

Dafür sind viele Schritte nötig. Einer müsste sein, das Erntedankfest aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu holen. Und die Landwirtschaft als Lösungsanbieter für aktuelle Probleme der Gesellschaft zu präsentieren – denn das ist sie: Landwirte produzieren vor Ort Lebensmittel und Energie, fördern die Artenvielfalt und helfen bei der Klimaanpassung.

Das Gute: Es gibt positive Erntedank-Beispiele. So setzten in Fröndenberg Landwirte sowie Vertreter von Tafel und Kirche die Wertschätzung für Lebensmittel in den Fokus – und demonstrier­ten mit einem Feldroboter die moderne Landwirtschaft. In Ahlen ging es bei einem Gottesdienst mit Landwirten, Landfrauen, Landjugend und Pfarrgemeinde darum, wie Landwirte den Spagat zwischen Bewahrung der Schöpfung und sicherer Lebensmittelversorgung meistern. Und in Höxter zeigten Landwirte, wie wichtig Regionalität auch für den Klimaschutz ist. Prima!

Es gibt weitere gelungene Aktionen. Und doch müssen es noch deutlich mehr werden – flächendeckend. Damit wieder mehr Menschen am ersten Oktober-Wochenende „Danke“ sagen.

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