"Eine neue ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Bielefeld und Hannover ist aus Umwelt- und Klimaschutzsicht völlig kontraproduktiv und darf nicht kommen. Wir Landwirte in Ostwestfalen-Lippe plädieren daher weiterhin für den Ausbau der bestehenden Trasse“, erklärt Hermann Dedert gegenüber dem Wochenblatt.
Zusammen mit einigen direkt und indirekt betroffenen Berufskollegen möchte der WLV-Vorsitzende des Kreisverbandes Herford-Bielefeld einer möglichst breiten Öffentlichkeit darlegen, warum sich die Bauern gegen die Neubautrasse wehren, mit der die Deutsche Bahn ihr Großprojekt „Deutschlandtakt“ realisieren will.
300 km/h gut fürs Klima?
Die Landwirte befürchten nicht nur große Flächenverluste, Arbeitserschwernisse und Wertminderungen. Gemeinsam mit vielen Menschen in der Region sehen sie auch immense Schäden auf Landschaft und Umwelt zukommen. Nicht zuletzt bezweifeln sie, dass die neue ICE-Trasse zum Klimaschutz beiträgt.
Um den Deutschlandtakt halten zu können, soll der ICE von Bielefeld bis Hannover statt der bisherigen 49 oder 50 Minuten künftig nur noch 31 Minuten Fahrzeit benötigen. Bedingung dafür sind Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 300 km/h. Das ist nach Ansicht von Dr. Friedrich-Wilhelm Hillbrand ökologisch und ökonomisch fragwürdig.
Derart schnelle Fahrten verbrauchen enorm viel Energie und erhöhen den Verschleiß beispielsweise an den Bremsen, aber auch am Streckennetz, findet der Landwirt. Außerdem treiben die Baumaßnahmen die CO2-Emissionen steil nach oben. Gleiches gilt für den Ressourcenverbrauch.
Hillbrand bewirtschaftet mit seinem Sohn Marco in Porta Westfalica (Kreis Minden-Lübbecke) einen 120-ha-Betrieb, der durch die ICE-Pläne bedroht ist und gibt Folgendes zu bedenken: „Wir diskutieren in Deutschland über ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen. Beim Bahnfahren sollen Effizienz und Klimaschutz dann aber keine Rolle spielen, obwohl das ständig als besonders nachhaltig ausgelobt wird?“
Der Landwirt vermisst in dem ganzen Verfahren zudem eine transparente Vollkostenrechnung: Die würde das ganze Vorhaben womöglich infrage stellen, vermutet er.
Alte Trasse ausbauen!
Statt einer neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke, die riesige Eingriffe in die Landschaft bedeutet, plädiert Hillbrand für eine Ertüchtigung der bestehenden Trasse. Dann wäre die Strecke Bielefeld-Hannover vermutlich in 40 Minuten zu schaffen. „Diese neun Minuten Zeitverzögerung sollten uns Umwelt und Klima wert sein“, findet der Landwirt.
Um den CO2-Ausstoß im Verkehrssektor zu verringern, wäre ein Netzausbau in der Breite indessen deutlich vielversprechender. Denn hier gibt es auf dem Land noch reichlich Nachholbedarf. „Bei der neuen ICE-Trasse geht es den Verantwortlichen jedoch ganz offensichtlich nicht um die bessere Erschließung der Region“, gibt Lippes WLV-Kreisverbandsvorsitzender Dieter Hagedorn zu bedenken: Die Neubaustrecke verschlingt viel wertvolle Fläche und zerschneidet die Landschaft, aber sie dient weder dem Personennahverkehr noch dem Güterverkehr.
Wer profitiert?
Von schnelleren Bahnverbindungen zwischen den Metropolen profitiert in erster Linie die dort wohnende städtische Bevölkerung. Für die Menschen auf dem Land bringt eine neue Hochgeschwindigkeitsverbindung keine Vorteile. Sie müssten erst nach Bielefeld oder Hannover fahren, um in den ICE zu steigen – einige Minuten Zeitgewinn fallen da kaum ins Gewicht.
Die Landwirte in Ostwestfalen wissen natürlich, dass die Frage der ICE-Trasse je nach Bevölkerungsschicht und Wohnort anders beurteilt wird: „Wer in Köln, Düsseldorf oder Essen wohnt und mit der Bahn nach Berlin möchte, für den sind unsere Bedenken und Sorgen womöglich nachrangig“, gibt Rainer Bohnenkamp zu bedenken. Aber es sei doch nicht richtig, dass der ländliche Raum stets die Belastungen trage und die Städte den Nutzen ziehen.
Regelrecht wütend werden die Landwirte um Hermann Dedert, wenn der Begriff „Planungsdialog“ bzw. „Plenum“ fällt. Lange haben sie am sogenannten Beteiligungsverfahren der Deutschen Bahn zum ICE-Projekt teilgenommen. Mittlerweile empfinden sie es als Farce: „Wir und andere Betroffene werden mit Daten, Zahlen, Statistiken und Bewertungskriterien überhäuft, aber unsere Einwände werden komplett ignoriert.
Deshalb nehmen wir wie viele andere betroffene Gruppen, Organisationen und Verbände nicht mehr am Plenum teil. Als Alibi-Beschaffer mögen wir nicht herhalten“, wird der WLV-Kreisverbandsvorsitzende deutlich.
Entscheidung in Berlin
Um die neue ICE-Strecke noch zu verhindern, benötigen die Landwirte indessen Verbündete und eine stärkere Beachtung ihrer Einwände in der Öffentlichkeit.
Deshalb sind Dedert, Hagedorn und die anderen Landwirte froh über den organisierten Widerstand der Menschen in der gesamten Region, der noch forciert werden soll. Vor Ort kämpfen beispielsweise die Initiativen „WiduLand“ und „BigTab“ gegen die geplante Hochgeschwindigkeitstrasse und für den Erhalt von Landschaft und Natur.
Auch die meisten örtlichen Politiker plädieren gegen den Neu- und für einen Ausbau der Bahnstrecken. Doch die Entscheidung wird im Berliner Bundestag fallen, weil das Vorhaben im Gesetzgebungsverfahren bearbeitet wird und nicht als Planfeststellungsbeschluss.
Dann sind die Parlamentarier sprichwörtlich am Zug. „Und bis dahin wollen wir möglichst viele von ihnen davon überzeugen, dass ein Ausbau mehr Vorteile bietet als ein Neubau der ICE-Strecke“, beschreiben die Landwirte ihre Strategie.
Das sagen die Landwirte:
Familie Hillbrand betreibt in Porta Westfalica Ackerbau mit vielfältiger Fruchtfolge. Rund 80 % der Betriebsflächen liegen im Wasserschutzgebiet. „Wenn hier die neue ICE-Trasse gebaut wird, sind deshalb nicht nur wir Landwirte betroffen“, verweist Marco Hillbrand auf die zu erwartenden, großflächigen Eingriffe in den Boden und seine Struktur. Wegen des hügeligen Geländes müssten nämlich etliche lange Brücken und tiefe Tunnel gebaut werden, um eine nahezu ebene Bahntrasse zu erreichen. „Diemit dem Bau verbundene Durchschneidung wasserführender Bodenschichten ist eine Gefahr für die unterirdischen Trinkwasserreserven und könnte vor allem in trockenen Sommern böse Folge haben“, warnt der junge Landwirt. Der Betrieb selbst würde durch die neue Bahntrasse je nach Streckenführung zwischen 50 und 80 % seiner Flächen verlieren und damit seine Produktionsgrundlage.
Wenn die neue ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecke wie geplant kommt, kann Rainer Bohnenkamp aus Herford-Elverdissen die Züge künftig ganz nah am Hof vorbeirauschen sehen und hören: Eine der potenziellen Strecken führt nur rund 50 m an seinem Betrieb mit Wohnhaus, Schweineställen und Wirtschaftsgebäuden vorbei. Nicht auszudenken, was das für die Lebensqualität bedeutet. Diese leidet ebenso wie die Flächen des Betriebes: „Die Trasse würde mindestens 1 km weit quer durch unsere Äcker führen, erklärt der Landwirt. Neben dem direkten Flächenverlust und den unweigerlichen Ausgleichsmaßnahmen sind die Äcker anschließend schwieriger zu bewirtschaften, weil aus Rechtecken zum Beispiel Dreiecke geworden sind. Auch ihre Erreichbarkeit leidet: Vorhandene Wirtschaftswege werden zu Sackgassen. Die Bauern müssen teilweise weite Umwege bis zur nächsten Bahnunterführung fahren. Und dort passen landwirtschaftliche Großmaschinen womöglich nicht durch. In der Folge können einzelne Flächen künftig mit größeren Maschinen wie Kartoffel- oder Rübenrodern nicht mehr erreicht werden.
Matthias Lampenscherf aus dem lippischen Bad Salzuflen ist zwar aktuell nicht direkt von der Trassenführung betroffen. Er gibt dennoch weitere Konsequenzen zu bedenken: Die heimischen Acker- und Grünlandflächen werden dringend zur Nahrungsmittelerzeugung benötigt. Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg haben schließlich gezeigt, was passiert, wenn man überwiegend von Importen abhängig ist. Außerdem ist Deutschland mit Blick auf den globalen Klimawandel nach wie vor ein relativer Gunststandort und trägt damit Verantwortung für die Welternährung. Der Neubau einer ICE-Trasse würde enorme Flächen verschlingen. Schätzungen gehen von 300 bis 400 ha allein in NRW für die Gleisanlagen aus. Hinzu kommen noch einmal etwa doppelt so viel Fläche als Ausgleich für den Eingriff in Natur- und Landschaft. Außerdem werden durch die Streckenführung beispielsweise in einem schmalen Streifen zwischen ICE-Trasse und Autobahn A 2 voraussichtlich Restflächen entstehen, die kaum noch sinnvoll zu nutzen sind – weder landwirtschaftlich noch im Umweltinteresse: „Ich weiß nicht, ob solche Inseln für die heimischen Wildtiere nützlich sind“, zweifelt Matthias Lampenscherf. Im Ergebnis verschwindet jedenfalls reichlich Fläche aus der Erzeugung. Diese fehlen den Landwirten zur Fortführung ihrer Produktion. Ersatzflächen sind oftmals nicht vorhanden oder mit den begrenzten Mitteln aus der Entschädigung nach Bodenrichtwert schlicht unbezahlbar. „Das alles scheint die Verantwortlichen im Bundesverkehrsministerium und bei der Bahn aber herzlich wenig zu kümmern“ ärgert sich Matthias Lampenscherf über deren Ignoranz.
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