Stromversorgung

Geht bald das Licht aus?

Plötzlich ist alles dunkel, Melkanlage und Fütterung stehen still und das Telefon funktioniert auch nicht. Dieses Szenario ist wahrscheinlicher geworden, doch wie groß ist das Risiko wirklich?

Seit Wochen weisen Bundesregierung, Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, aber auch die Kreise, auf mögliche Stromausfälle im Winter hin. Meist ist vom Blackout die Rede. Doch was bedeutet Blackout überhaupt, wie wahrscheinlich ist er und warum reden wir gerade jetzt darüber?

Zuverlässiges Stromnetz

Bisher konnten sich die Verbraucher auf ein zuverlässiges Stromnetz verlassen. Rein statistisch ­betrug die Stromausfalldauer je Stromverbraucher in Deutschland im Jahr 2021 12,7 Minuten, 2020 waren es 10,7 Minuten. Ursache waren meist geplante Abschaltungen der Netzbetreiber, regionale Störungen oder „Einwirkungen Dritter“ – nichts Ernstes also.

Bei einem Blackout fallen dagegen große Teile des europäischen Stromnetzes unkontrolliert und unvorhergesehen aus. Dann ist die Stromversorgung in weiten Landesteilen und für längere Zeit unterbrochen. Die Folgen können je nach Dauer des Stromausfalls weitreichend sein.

Solche über die Grenzen hinausgehende Störungen gab es zum Beispiel im Jahr 2006, als ein Abstimmungsfehler bei der geplanten Abschaltung einer Hochspannungsleitung zu einem mehr als zweistündigen Stromausfall in ­Gebieten von Deutschland, Frankreich, Belgien, Italien, Österreich und Spanien führte.

So funktioniert das Stromnetz

Das europaweite Stromnetz stabil zu halten, ist eine echte Herausforderung, denn Stromproduktion und -verbrauch müssen ständig im Gleichgewicht sein. Taktgeber ist die Netzfrequenz von 50 Hertz. Gerät sie nur wenig aus dem Lot, droht der Zusammen­bruch. Das Problem: Das Netz selbst kann keine Energie speichern. Deshalb müssen die Kraftwerke immer genauso viel Strom erzeugen, wie von den Verbrauchern abgenommen wird. Liegt der Verbrauch über der Erzeugung, wird die Leistungsdifferenz zunächst aus der Rotationsenergie der Generatoren gedeckt. Diese werden langsamer, und die Netzfrequenz sinkt.

Der Toleranzbereich für die Frequenzschwankung ist jedoch sehr gering. Das sogenannte Totband, ­also der Bereich, innerhalb dessen keine Regelung erfolgt, liegt zwischen 49,99 Hertz und 50,01 Hertz. Für alles was darüber hinaus geht, gibt es gestaffelte Regelmechanismen:

Unterfrequenz: Um eine hohe Stromnachfrage schnell ausgleichen zu können, halten die europäischen Übertragungsnetzbetreiber die sogenannte Primärreserve bereit. Sie muss kurzfristige Laständerungen abfedern und innerhalb von 30 Sekunden für mindestens 15 Minuten voll zur Verfügung stehen.

Überfrequenz: Wird mehr Strom erzeugt, als abgenommen, schalten die Netzbetreiber zunächst Windkraft- und Photovoltaikanlagen ab.

Die aktuelle Netzfrequenz online ­ansehen? www.netzfrequenzmessung.de

Strom aus ganz Europa

Was sich 2006 negativ auf viele euro­päische Stromnetze auswirkte, sorgt im Normalbetrieb für die grundsätzlich sichere Stromversorgung in Deutschland und Europa. Denn Deutschland ist gemeinsam mit vielen mitteleuropäischen Staaten Teil des europäischen Stromverbundsystems. Damit teilen sich die Europäer quasi die Stromerzeugung und den Stromverbrauch. Steigt die Stromnachfrage in einer Region, kann diese aus dem Gesamtnetz abgedeckt werden – auch wenn das einzelne Land rein rechnerisch die benötigte Strommenge gar nicht zur Verfügung stellen könnte. Bei steigendem Stromverbrauch werden Kraftwerke europaweit zugeschaltet, bei sinkendem Verbrauch abgeschaltet, auch im Zeitraum von Augenblicken (siehe Kasten „So funktioniert das Stromnetz).

Das unterscheidet im Übrigen auch die nordamerikanische Strom­versorgung von der europäischen. Dort gibt es noch viele lokale Stromnetze. Treten Probleme auf, können andere Stromerzeuger nicht einspringen. Das führt zu deutlich häufigerem Stromausfall. So müssen Verbraucher in den USA jährlich knapp zwei Stunden ohne Strom auskommen, Kanadier sogar fast fünf Stunden (Zahlen 2014).

Veränderte Lage

Wenn das Stromnetz so stabil ist, warum sollen sich Bevölkerung und Unternehmen dann auf einen möglichen Ausfall vorbereiten?

Es sind mehrere Faktoren, die im laufenden Jahr zusammengekommen sind und besonders in einem kalten Winter zu einem knappen Stromangebot führen können.

Weniger Gas: Die russischen Gas­lieferungen sind gestoppt und ein vollständiger Ersatz ist noch nicht gefunden. Gas wird zum überwiegenden Teil für die Wärmeerzeugung in Privathaushalten eingesetzt. Aber auch gut 31 % der Energie in der Industrie stammen aus Erdgas. Nur gut 12 % Erdgas wurde im ersten Halbjahr 2022 dagegen in Deutschland verstromt. Zurzeit sind die Speicher gut gefüllt, würden sich aber bei längerer Kälte rasch leeren.

Frankreich importiert Strom: Frankreich galt in den zurückliegenden Jahren als zuverlässiger Strom­exporteur. Nicht so in diesem Jahr. Im Sommer standen mehr als die Hälfte der 56 Atommeiler still, ­einige für eine übliche jährliche Wartung, aber auch zwölf wegen Korrosion an Kühlrohren oder Verdacht auf Schäden. Wann diese wieder ans Netz gehen, ist fraglich. Frankreich wird wohl absehbar auf Stromlieferungen aus Deutschland angewiesen sein.

Niedrige Wasserstände: Darüber hinaus waren in weiteren europäischen Ländern Kraftwerksleistungen wegen niedriger Wasserstände von Flüssen (mangelnde Kühlung) und Talsperren heruntergefahren bzw. wurde weniger Strom aus Wasserkraft produziert.

In allen Fällen ist Deutschland unter anderem mit Strom aus Erdgas in die Bresche gesprungen.

Kritisch wird es, wenn der Stromverbrauch durch niedrige Außentemperaturen steigt. Besonders Frankreich heizt traditionell viel mit Strom. Auch in Deutschland könnte das passieren, wenn ein langer kalter Winter die Gasvorräte schrumpfen lässt. Dann könnten regionale Abschaltungen möglich sein. Das schließt selbst Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nicht aus. „… Wegen all dieser Risiken können wir nicht sicher darauf bauen, dass bei Netzengpässen in unseren Nachbarländern genug Kraftwerke zur Verfügung stehen, die kurz­fristig unser Stromnetz mit stabilisieren“, sagte er (siehe Kasten Stresstest).

Flüsse und Talsperren mit wenig Wasser waren in diesem Jahr Gründe für eine eingeschränkte Stromproduktion auf europäischer Ebene. (Bildquelle: Hanseat/stock.adobe.com)

Was wäre wenn?

Abgesehen vom nicht kalkulier­baren Risiko einer Cyberattacke – zum Beispiel einem Angriff auf die Steuerungssoftware überregionaler Stromversorger – scheint ein echter Blackout aufgrund der gegenwärtigen Energieversorgungslage wenig wahrscheinlich. Das schätzt auch Rolf Berlemann, Geschäfts­führer der Stadtwerke Ostmünsterland mit Sitz in Oelde, so ein. Denn bevor das Netz europaweit zusammenbricht, greifen nach und nach verschiedene Sicherungsmechanismen, erklärt er. Dazu gehört auch das Abschalten von Großverbrauchern.

Rolf Berle­mann ist Geschäfts­führer der Stadtwerke Ostmünster­land. (Bildquelle: Stadtwerke Ostmünsterland)

Im Gegensatz zum Gasbereich gibt es bei der Stromversorgung keine „geschützten Kunden“. Sollte es zu einem überregionalen Versorgungsengpass kommen, schalten die Übertragungsnetzbetreiber bzw. die regionalen Verteilernetzbetreiber für eine begrenzte Zeit „reihum“ Lasten ab.

Wenn es richtig ernst wird, übernimmt die Bundesnetzagentur. Dann greift die Elektrizitätssicherungsverordnung (EltSV). Danach dürfen zum Beispiel Gebietsabschaltungen nicht über vier Stunden hinausgehen.

Für einen Notfall sieht Berlemann sein Unternehmen gut gerüstet. Ein zertifiziertes Krisenmanagement schafft den Rahmen. „Für den Notfall liegen detaillierte Ablaufpläne vor und auch die Kommunikation ist über Satelliten­telefone sichergestellt“, sagt er. Für die Zukunft plant ein Zusammenschluss von Stromnetzbetreibern, das alte C-Netz der Telekom für Krisensituationen zu reaktivieren. Mit einer eigenen Notstromver­sorgung wären sie dann vom all­gemeinen Mobilfunknetz unabhängig.

Trotz Satellitentelefon treffen sich die Mitarbeiter jedoch zunächst an fest vereinbarten Punkten, erklärt der Geschäftsführer, „damit stellen wir sicher, dass die notwendigen Aufgaben übernommen werden.“ So besetzen die Fachleute des Stromversorgers beispielsweise Umspannwerke, um sie ebenso wie das Wasserwerk von Hand zu steuern. Eigene Notstromaggregate und manuell zu bedienende Schalttafeln stellen dort den Betrieb sicher. Damit die Mitarbeiter mobil bleiben, gibt es Verträge mit örtlichen Tankstellen. Dort sind dann Außensteckdosen für das Einspeisen von Notstrom vorhanden und die Zapfsäulen laufen auch bei Netzausfall.

Auch an die Versorgung der Mitarbeiter ist gedacht. Für sie haben die Stadtwerke Ostmünsterland Lebensmittel vorrätig.

Stresstest

Um zu prüfen, ob die Stromversorgung in Deutschland auch unter ungünstigen Bedingungen sichergestellt ist, hat das Bundeswirtschaftsministerium die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber mit einem sogenannten Stresstest beauftragt. Dabei wurde das Stromausfall­risiko für vier verschiedene Grundannahmen bewertet. Das Ergebnis:

Für die zwei ungünstigsten Annahmen kann nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass es auch in Deutschland im ­Winter 2022/23 stundenweise zu Stromausfällen kommen kann.

Selbst vorsorgen

So gut auf einen Stromausfall vorbereitet sind jedoch nicht alle Kommunen. Und im Fall der Fälle werden die regionalen Netzbe­treiber, aber auch Feuerwehr und THW, nur die ganz wichtige Infrastruktur am Laufen halten können. Wenigstens für eine Übergangszeit sollten sich landwirtschaftliche Betriebe selbst mit Strom versorgen können. Dabei hilft es nicht, sich ein Notstromaggregat mit dem Nachbarn zu teilen. Wenn der Strom weg ist, braucht jeder Ersatz. Abgesehen davon schreibt zum Beispiel die Tierschutznutztierhaltungsverordnung auch bei Stromausfall eine ausreichende Versorgung für Rinder, Schweine und Co. mit Luft, Wasser und Nahrung vor.

Zapfwellenaggregate sind eine preiswerte Möglichkeit, für einen begrenzten Zeitraum Not- bzw. Ersatzstrom für den Betrieb zu liefern. Lesen Sie in der kommenden Ausgabe des Wochenblattes, worauf bei Anschaffung, Installation und Betrieb zu achten ist.

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