Landwirte und ihre Familien kennen es. Ihre Kinder kennen es aus der Schule. Fleischesser und Tierhalter kennen es aus ihrem Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis: „Du isst Fleisch? Ihr haltet Rinder? Ihr haltet Schweine? Weißt du nicht, wie schädlich das für unser Klima ist?!“
Und dann die Medien. Nur ein Beispiel: „Mit weniger Fleisch das Klima retten“. So überschrieb das ZDF im April dieses Jahres auf seiner Internetseite eine Meldung und hinterließ damit einmal mehr den Eindruck, dass Fleischesser und Tierhalter die Klimasünder Nummer eins sind.
Mit- aber nicht Haupttäter
Gerecht ist das nicht. Weltweit stammen rund drei Viertel der menschengemachten Treibhausgasemissionen aus dem Energiesektor, also aus dem Verbrennen der fossilen Energieträger Erdöl, Kohle und Erdgas. Für Strom, Wärme, Verkehr. Der Anteil von Landwirtschaft und Tierhaltung ist ungleich kleiner. Laut FAO machen die Gesamtemissionen der weltweiten Viehbestände rund 14,5 % der menschengemachten Treibhausgas (THG)-Emissionen aus. Das ist nicht wenig. Von Hauptursache ist die Viehhaltung damit aber dennoch weit entfernt.
___
___
Also alles gut? Kritik abprallen lassen und weiter so? „Nein“, sagt Ansgar Lasar, Klimabeauftragter der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, und ergänzt: „Um möglichst wenig Treibhausgas-Emissionen zu verursachen, sollte sich jeder einzelne so klimaschonend wie möglich verhalten – auch bei Ernährung und Lebensmittelproduktion.“ Dazu gehört darauf zu achten, möglichst wenig Lebensmittel wegzuschmeißen und die Lebensmittel gut auszuwählen. „Also Hände weg von Obst oder Gemüse, das womöglich mit dem Flugzeug aus Übersee zu uns kommt. Aber auch: Weniger Milchprodukte und Fleisch essen“, sagt er. Das, so seine Meinung, sollten auch Landwirte eingestehen, die von der Rinder- oder Schweinehaltung leben. „Es hat doch keinen Zweck, so zu tun, als hätte Fleisch keinen höheren CO2-Fußabdruck als Kartoffeln oder Kohl“, rät der Berater.
Gunststandort Deutschland
Falsch sei es aber, daraus den Schluss zu ziehen, dass die deutschen Bauern weniger Tiere halten müssen. „Den Zusammenhang– wenn wir Deutschen 1 kg weniger Fleisch essen, müssen unsere Bauern auch 1 kg weniger produzieren – gibt es nicht“, sagt er. Denn weltweit werde die Nachfrage nach Milch und Fleisch in den nächsten Jahren steigen. „Wenn Fleisch und Milch auf dem Weltmarkt nachgefragt werden, werden sie auch produziert. Wenn nicht bei uns, dann woanders. Und dort sind die klimaschädlichen Emissionen pro kg Fleisch dann vielleicht wesentlich höher“, meint er.
Natürlich, so Lasar, kann und muss die deutsche Landwirtschaft weiter daran arbeiten, die CO2äq-Emissionen bei der Produktion so gering wie möglich zu halten. Dazu gehört es zum Beispiel, möglichst energiesparende Technik zu verwenden, hohe Tageszunahmen zu erreichen oder auf langlebige Kühe zu setzen.
Doch: „Deutschland ist ein Gunststandort. Aufgrund unserer Lage, unserer Strukturen und klimatischen Bedingungen können wir Fleisch und Milch mit einem geringeren CO2-Fußabdruck erzeugen als viele andere Länder“, erklärt der Berater. Natürlich sei Deutschland nicht in der Lage, die ganze Welt zu ernähren. „Aber wir haben hier so gute Bedingungen, dass wir unseren Beitrag leisten sollten. Ganz im Sinne des Klimaschutzes“, schließt er.
Ein ganzes Stück, aber nicht vollständig kann sich Knut Ehlers, Agrarexperte des Umweltbundesamt (UBA), Lasars Argumentation anschließen. „Ja, es ist richtig: Deutschland ist ein Gunststandort. Aber in erster Linie für den Ackerbau und eben nicht zwangsläufig für die Tierhaltung“, sagt er. Denn Brasilien, Argentinien und die USA seien, gerade was die Eiweißfuttermittel betreffe, bessere Produzenten und wären nach dieser Logik dann wohl auch die besseren Fleischerzeuger.
Knackpunkt Konsum
Die Tierhaltung in Deutschland abzuschaffen oder vollständig auf „Bio“ umzustellen, liegt Ehlers aber fern. „Es bringt wenig, wenn allein wir hier die Produktion umstellen, unsere Lebensmittel dann aber aus dem Ausland kommen“, meint er. Deshalb sieht er im Konsum und in der Produktion zwei gleichbedeutende Stellschrauben, die gleichzeitig gedreht werden müssen. „Wir Deutschen müssen bewusst einkaufen, müssen lernen, uns umweltfreundlich zu ernähren und auch ohne Fleisch lecker zu kochen“, ergänzt er.
Ähnlicher Meinung ist Prof. Achim Spiller von der Georg-August-Universität Göttingen. Für ihn steht allerdings der Konsum im Mittelpunkt. „Für die deutsche Klimabilanz mag die Zahl der Tiere in Deutschland eine entscheidende Rolle spielen, für den tatsächlichen Klimaschutz ist der zentrale Hebel aber der Konsum“, so der Experte für Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte.
Deshalb, so Spiller, muss Fleisch teurer werden. Wohlgemerkt Fleisch, nicht aber die Tierhaltung: „Wenn wir die deutsche Produktion einseitig verteuern, sinkt nur die Wettbewerbsfähigkeit von deutschem Fleisch und die Importe steigen“, erklärt er.
In der Folge könnte genau das passieren, wovor auch die anderen beiden Experten eindringlich warnen: Die Produktion verlagert sich ins Ausland. Erfolgt sie hier mit geringerer Produktivität (also zum Beispiel mit einer schlechteren Futterverwertung und geringeren Tageszunahmen) als in Deutschland, steigen die THG-Emissionen pro kg Fleisch sogar. Deutschland müsste mit den Nachteilen – weniger Arbeitsplätze, kein Einfluss auf Tierwohl oder Umweltstandards – leben, ohne, dass die Weltgemeinschaft im Kampf gegen den Klimawandel auch nur ein Stückchen weiterkommt.
Mehr zum Thema: