Man muss aufpassen, dass die eigentliche Lehre im Alltag nicht auf der Strecke bleibt“, beschreibt Franz Reinert die Herausforderung, seinen Auszubildenden trotz des hohen Arbeitspensums weiterzubilden. Der 27-jährige Billerbecker ist seit einigen Jahren Ausbilder auf seinem Betrieb mit dem Schwerpunkt Milchviehhaltung. Diesen bewirtschaftet er zusammen mit seinem Vater Hubert und Nachbar Bernd Wasmer, die beide schon seit vielen Jahren ausbilden. So kommen auf dem Hof drei Ausbilder auf einen Lehrling.
Ausbilden kostet Zeit
„Das war auch schon anders“, erzählt Franz. „Nachdem wir unseren Betrieb 2019 mit dem von Bernd zusammengeführt haben, hatten wir erst zwei Azubis.“ Zum aktuellen Jahr haben die Landwirte sich dann entschieden, vorerst nur noch einen Landwirt pro Jahr auszubilden. Der Hauptgrund: Franz stellt als Mitglied im Prüfungsausschuss sehr hohe Ansprüche an seine Ausbildung. Mit zwei Lehrlingen hatte er das Gefühl, diesen nicht ausreichend gerecht werden zu können.
Als Ausbilder muss er sich neben der eigentlichen Arbeit auf dem Hof und im Büro Zeit nehmen, um den Berufseinsteigern Wissen zu vermitteln und sie auf die Prüfung vorzubereiten. „Das ist bei zwei Azubis nicht immer doppelt so viel Arbeit wie bei einem, aber in der Regel ist der eine doch etwas schneller als der andere, sodass man sich für jeden einzelnen Zeit nehmen muss.“
„Azubis sind mehr als eine billige Arbeitskraft“
Strohställe streuen, Kälberiglus waschen, Silos losdecken: „Wir haben viele Arbeiten, die regelmäßig abzuarbeiten sind“, beschreibt Franz. Eine Herausforderung für den Ausbilder ist es, die richtige Dosis für den Azubi zu finden: „Klar gehört das Silo losdecken dazu. Daher ist es wichtig, dass unsere Azubis das regelmäßig machen und vor allem wissen, warum diese Arbeiten so sorgfältig erledigt werden müssen.“ Schließlich bilden gerade diese unbeliebten Routinearbeiten die Grundlage für die Tiergesundheit.
„Ein Azubi ist aber nicht dazu da, um nur abzuarbeiten“, stellt Franz klar.
Auch Zusatzaufgaben wie die Kontrolle des Berichtsheftes seien nicht zu vernachlässigen. Die Zeit hierfür müssen Ausbilder oft von ihrer ohnehin knappen Freizeit abziehen, um gleichzeitig den Hofalltag zu meistern.
Gerade zum Beginn des Lehrjahres sei es eine Herausforderung, zwei neue Mitarbeiter angemessen zu beschäftigen – „ohne sie zu über- oder unterfordern“, erzählt Franz. Das ist mit langjährigen Mitarbeitern leichter: „Mit denen bespreche ich morgens nur kurz, was zu tun ist, und kann mich darauf verlassen, dass alles klappt.“
„Darum bilden wir aus“
Trotz des großen Aufwandes haben die Landwirte aber bewusst die Entscheidung getroffen, weiter auszubilden. Das Ausbildungsverhältnis bringe schließlich nicht nur den Azubi weiter, betonen Franz und Hubert. „Einer der Hauptgründe, um weiter auszubilden, ist für mich der Kontakt zu den jungen Leuten“, gibt Franz zu, dass die Entscheidung natürlich nicht ganz uneigennützig ist.
So habe die Ausbildung jährlich wechselnder Lehrlinge, mit der Hubert vor 20 Jahren anfing, dazu geführt, dass Reinerts auch in Arbeitsspitzen immer auf genügend Personal zurückgreifen können.
„Viele unserer ehemaligen Azubis sind uns auch nach ihrer Gesellenprüfung noch erhalten geblieben“, freut Hubert sich. Einige arbeiteten für mehrere Jahre regelmäßig als 520-€-Jobber auf dem Hof. Andere helfen kurzfristig in der Ernte oder in den Semesterferien aus, wenn das Personal knapp ist. „Diesen Zugang hätten wir ohne die Ausbildung nicht“, hält Hubert fest. „Und über die langjährigen Beziehungen können wir wiederum gute und motivierte Azubis für uns gewinnen“, ergänzt Franz.
Jedes Jahr ein neuer Charakter
Wer sich entscheidet, junge Menschen auszubilden, trägt viel Verantwortung. Nicht nur gegenüber den Azubis, die auf den Berufsalltag vorbereitet werden möchten, sondern auch gegenüber ihren Mitarbeitern und Familien.
Die jährlich wechselnden Lehrlinge müssen sich gut in den Betrieb integrieren, damit die Stimmung auch an langen, intensiven Tagen nicht kippt. Auch der Familienanschluss spielt auf vielen Betrieben eine große Rolle. Bei Reinerts sitzen bei den Mahlzeiten alle zusammen. Die Azubis wohnen aber nicht auf dem Hof.
„Außerdem hat jeder neue Auszubildende andere Stärken und Vorlieben“, beschreibt Hubert die Herausforderung. „Während viele unserer Azubis zum Beispiel gar nicht genug Trecker fahren konnten, musste wir andere sogar dazu motivieren.“
Natürlich lassen sich die Arbeiten zum Teil an die Vorlieben und Stärken anpassen. Trotzdem sei es wichtig, jeden Azubi in jedem Bereich zu fördern und zu fordern, betonen Reinerts: „Denn das Treckerfahren gehört auch für diejenigen zur Ausbildung, die das nicht gerne tun.“
Darüber hinaus betonen die beiden, dass die jungen Menschen viele gute Ideen und neue Gedanken mit auf den Hof bringen. Ob zu Hause, auf vorherigen Lehrbetrieben oder im Austausch mit Klassenkameraden: Die Auszubildenden schnappen von vielen Seiten gute Ideen auf, die sich auch auf den Lehrbetrieb übertragen lassen.
So ist Betriebsblindheit auf Reinerts Hof mit drei Inhabern und zwei Festangestellten kein Problem. „Als Ausbilder hinterfragt man verschiedene Abläufe immer wieder – spätestens wenn man sie erklären muss“, sagt Hubert.
Abläufe und Strukturen
Die Möglichkeit, ehemalige Auszubildende langfristig zu halten, bietet sich natürlich vor allem bei jungen Menschen, die keinen elterlichen Betrieb übernehmen. Wie Reinerts aktueller Azubi, Louis Wessels-Sickmann, sind mittlerweile rund 50 % aller angehenden Landwirte nicht auf einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen (siehe Grafik).
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Louis ist zwar auf dem Land aufgewachsen, hatte aber keine Ambitionen, den elterlichen Hof im Haupterwerb weiterzuführen: „Mein Vater hält nur hobbymäßig drei Rinder“, sagt er. Für die Erwerbslandwirtschaft habe er sich aber schon immer begeistert und daher als Kind oft bei Nachbarn geholfen. Nach dem Abitur begann der jetzt 20-Jährige dann seine Lehre. Nach der Gesellenprüfung möchte er Landwirtschaft studieren.
Wie zu Hause hatte Louis auch in seinem ersten Jahr der auf zwei Jahre verkürzten Ausbildung keinen Kontakt zu Milchkühen: „Im vergangenen Jahr war ich auf einem Schweinemastbetrieb. Da ist mir die Umstellung auf die Arbeitszeiten hier schon erst schwergefallen. Daran habe ich mich aber schnell gewöhnt.“
Diese Einschätzung teilt auch Hubert: „Grundsätzlich kann ich nicht sagen, dass die Einarbeitung von Azubis, die nicht vom Hof kommen, schwieriger ist“, denkt er an seine vielen Auszubildenden zurück. Wer schon als Kind im Melkstand gestanden habe, müsse das Melken natürlich nicht mehr lernen. „Das gleichen die meisten Azubis aber durch ihre Neugierde und Motivation aus, sodass sie schnell in den Betrieb integriert sind“, berichtet er.
Ausbildung beim Frühstück
Auch die von Louis angesprochene Arbeitszeit ist ein Thema, mit dem Reinerts sich immer wieder auseinandersetzen. „Wenn sich ein potenzieller Azubi bei uns bewirbt, kommunizieren wir ganz klar, dass die Tage auch mal länger werden können“, sagt Franz. „Wenn sich junge Menschen vorstellen, die auch in Spitzenzeiten nicht bereit sind, sich voll einzusetzen, passt das einfach nicht zu uns. Davon hätten wir nichts, aber davon hätte der Azubi selbst auch nichts. Diesen Fall haben wir aber sehr selten.“
Die meisten Azubis seien sehr motiviert – gerade in der Ernte. „Wir bekommen oft die Rückmeldung, dass sie sich gerade dann wohlfühlen und etwas lernen, wenn sie das Gefühl haben, gebraucht zu werden“, beschreibt Franz. Das funktioniere aber nur, wenn die Vorstellungen beider Seiten offen und ehrlich formuliert werden.
Damit ihre Azubis weiterhin zufrieden sind, bleiben Reinerts selbstkritisch mit ihrer Ausbildung: „Wenn ich ehrlich bin, steckt da manchmal schon noch ordentlich Potenzial drin“, spielt Franz auf arbeitsintensive Phasen an, in denen die Zeit für Wissenstransfer knapp ist. Noch mehr als ohnehin läuft dann bei der Arbeit nebenbei, „oder wir nutzen die Gelegenheit am Frühstückstisch, wenn alle zusammensitzen“, ergänzt Hubert.
Klar ist für Franz: Die Ausbildung kostet Zeit und manchmal auch Nerven. Insgesamt ist sie aber ein Gewinn für alle Beteiligten. Daher möchte er weiter ausbilden, solange es für ihn passt und auch die Azubis mit ihm zufrieden sind. Auch die Rückkehr zu zwei Lehrlingen schließt er nicht aus.
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