Traktoren sind seit Jahrzehnten das Markenzeichen der Landwirtschaft schlechthin. Da fällt es schwer, sich in eine Zeit hineinzuversetzen, die den Traktor noch nicht kannte und die nicht einmal ein Wort für die neue Maschine hatte. Die einen redeten von „Motorpflügen“, andere von fahrbaren Motoren – und die Pionierfirma Heinrich Lanz in Mannheim brachte mit ihrem allerersten auf deutschem Boden gefertigten Traktor gleich auch ein neues Wort ins Spiel: den „Bulldog“.
Kann der „Motorpflug“ alles?
Diese Typenbezeichnung wurde bald zur allgemeinen Bezeichnung für alle Traktoren, zumindest südlich der Mainlinie war das so. In Westfalen blieb es zunächst beim „Motorpflug“. So fragte das Wochenblatt im Sommer 1924:
„Bei welcher Betriebsgröße lohnt sich die Anschaffung eines Motorpfluges?“ Was damit gemeint war, musste der Autor des Beitrages, Dr. Karl Gerland von der Landwirtschaftskammer in Münster, den Lesern erst einmal erklären. Es sei, so schrieb er, eines der „modernen Geräte, die nicht nur pflügen, sondern auch die Dreschmaschine und sonstige Maschinen antreiben, für andere Ackergeräte sowie Binde- mäher usw. als Trecker dienen und schließlich noch infolge einer Seilwindevorrichtung sich bei der Abfuhr schwerer Lasten vom Acker, auch im Walde und sonst wo nützlich machen können.“
Gemeint also waren: Traktoren. Sie tauchten damals, kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges, zum ersten Mal in der Landwirtschaft Westfalens auf. Fabriziert wurden die ersten schon früher, etwa seit der Jahrhundertwende. In kleinen Stückzahlen hatte etwa die Firma Deutz in Köln erste „fahrbare Motoren“ für die Landwirtschaft entwickelt. Diese Fabrikate und auch die frühen Konstruktionen anderer Pionierhersteller wie etwa Sendling, Stock oder Pöhl sahen allerdings eher nach einer Lokomotive aus. Andere Hersteller wie etwa die „Hannoversche Maschinenbaugesellschaft“ – kurz: Hanomag – experimentierte mit Raupenschleppern, die auf Ketten liefen.
Kleinere Modelle kommen
Solche schweren und auch teuren Maschinen hatte Gerland im Blick, als er im Wochenblatt schrieb:
„Gemeinhin begegnet man der Auffassung, dass solche Universal-Kraftmaschinen nur für den Großbetrieb in Betracht kämen, weil ihre Arbeit sich in den mittleren und kleineren Betrieben zu teuer stellen würde.“ Inzwischen aber bringe die Industrie auch Motorpflüge kleineren Kalibers an den Markt – „und zwar in einer Ausführung, dass man sie geradezu als ,Mädchen für alles‘ im landwirtschaftlichen Betriebe bezeichnen möchte.“
Diese Feststellung bezog sich vor allem auf zwei Fabrikate:
- Zum einen machte kurz nach Kriegsende 1918 der Fordson-Traktor Schlagzeilen. Er war ein Import aus den USA und wurde in Detroit am Fließband gefertigt – es war wie der Traktor eine Erfindung des legendären Ingenieurs und Autobauers Henry Ford. Er, der Sohn eines Landwirts, hatte seinen Traktor in rahmenloser Blockbauweise konstruieren lassen. Benzin-Motor, Getriebe und Hinterachse waren kompakt und ohne schweren Rahmen zusammengeschraubt. Der Motor brachte es bei 1000 U/Min. auf eine Geschwindigkeit von etwa 11 km/h. Der Traktor war wendig, leicht und um ein Mehrfaches günstiger als die hiesigen frühen Fabrikate.
- Zum anderen fand der in Mannheim bei Heinrich Lanz gefertigte „Bulldog“ seine ersten Abnehmer. Der Prototyp dieses Rohölschleppers mit dem legendären Glühkopfmotor war 1921 auf der Landwirtschaftsmesse in Leipzig vorgestellt worden. Der Zweitakter brachte es bei 420 U/min auf 12 PS. In Erinnerung blieb vor allem der dumpf donnernde Rhythmus des Ein-Zylinder-Motors. Der Bulldog diente als fahrende Zugmaschine und als ortsfeste Antriebsmaschine. Über Schwungrad und Lederriemen wurden Sägen, Dreschkästen, Strohgebläse und andere Gerätschaften angetrieben.
Spinnt der Kammermann?
Aber lohnte sich das alles? War der Kauf solch eines Traktors auch rentabel? Das rechnete Karl Gerland im Wochenblatt am Beispiel eines damals mittelgroßen Hofes mit 20 ha Ackerland vor. Er schloss mit dem Satz: Wirtschaftlich am günstigsten sei es, „wenn man dafür die bisher zur Ackerarbeit herangezogenen Pferde einsparen, also abschaffen könnte“.
Den meisten Bauern, die das vor gut hundert Jahren im Wochenblatt lasen, mussten die Sätze wie eine ferne Utopie, ja, wie die Spinnerei eines praxisfernen Kammerbeamten vorgekommen sein. Landwirtschaft völlig ohne Pferdekraft und ohne jede andere tierische Zugkraft?
Dass dies möglich sein könnte, konnte sich damals kaum jemand vorstellen. Und doch kam es so. Wirtschaftskrisen, Weltkrieg und Hungerjahre verzögerten die Entwicklung, die erst eine Generation später Wirklichkeit werden sollte.