Erdbeeren sind kleine Diven. Erst bei Sonne werden sie richtig süß und aromatisch, zu viel Strahlung quittieren sie aber mit Sonnenbrand. Wenn sie reif sind, wollen sie schnell geerntet werden, sonst werden sie empfindlich. Und wer sie nicht richtig pflückt, der produziert Druckstellen.
„Das ist wie ein blauer Fleck für die Erdbeere“, erklärt Elisabeth Aryus-Böckmann. Die 58-Jährige hat inzwischen drei Jahrzehnte Erdbeererfahrung. Sie ist Geschäftsführerin des Erdbeerhofs der Familie in Melle im Landkreis Osnabrück. In der Saison, von Ende April bis Ende August, ist sie von früh bis spät unterwegs, damit die Erdbeeren frisch zum Endverbraucher kommen. Auf rund 60 ha baut der Betrieb jedes Jahr Erdbeeren an. Bis zu 150 Pflückerinnen und Pflücker sind im Einsatz.
60 % ihrer Ernte vermarkten die Böckmanns direkt an den eigenen Verkaufsständen, auf Selbstpflückfeldern oder über den örtlichen Lebensmittelhandel. 40 % gehen an einen Großhändler aus Rheinland-Pfalz. „Export“ heißt das bei den Mitarbeitern. Die Ansage ist wichtig, denn sie hat Einfluss auf Pflückzeitpunkt und Verpackung. Erdbeeren, die vor dem Verzehr auf große Fahrt gehen, müssen vor allem eines: lange gut aussehen. Denn die Kundinnen und Kunden kaufen in erster Linie mit den Augen.
Vom Feld direkt in die Kälte
Deshalb ernten die Böckmanns die Früchte mit heller Spitze und kühlen sie in den Kühlhäusern am Hof zügig auf 2 °C Kerntemperatur herunter. „Nachröten können sie dann auf dem Weg zum Kunden“, sagt Elisabeth Aryus-Böckmann. 36 Stunden sind es in der Regel vom Feld bis zur Obsttheke in einem Supermarkt oder Discounter irgendwo in Deutschland. Noch fixer sind die Erdbeeren bei Wochenmarkt-Händlern.
Die Produktion ist aufwendig und teuer. Da liegt es in der Natur der Sache, dass Elisabeth Aryus-Böckmann versucht, die Verluste so gering wie möglich zu halten. Dafür setzt das Team um die Diplom-Ökotrophologin auf viele große und kleine Maßnahmen.
- Der Betrieb investiert in den geschützten Anbau, das heißt in diesem Fall Wander-Folientunnel. Die Rechnung: Mit Verlusten unter 5 % kalkuliert die Chefin unter Folie. Im Freiland, das bei den Böckmanns rund 85 % der Anbaufläche ausmacht, sind es deutlich mehr. Je nachdem, welche Kapriolen das Wetter dreht.
- Ist ein Feld in der Ernte, streifen die Mitarbeiter alle zwei Tage durch die Reihen – konsequent. Überreife Früchte gibt’s deshalb nicht.
Wenn die Sonne brennt
- Früchte, die zu klein, verformt oder beschädigt sind, werden ebenfalls gepflückt. Die Erntehelfer sammeln sie in kleinen, weißen Eimerchen. Den Inhalt holt der Betreiber einer nahen Biogasanlage ab. Das ist auch so, wenn mal eine „Hygienepflückung“ nötig ist. Das kann passieren, wenn ein Hagelschauer niedergegangen ist oder nach einem Unwetter die pralle Sonne die Früchte „abkocht“.
- Auf den Feldern zum Selbstpflücken bekommen die Kunden eine Reihe gezeigt. Haben Sie Schüssel oder Eimer gefüllt, markieren sie die Stelle mit einem farbigen Stab. So kann der nächste dort starten, wo die Pflanzen noch voll hängen.
- Kommen Erdbeeren abends von einem der etwa 20 eigenen Verkaufsstände zurück, gehen sie am nächsten Morgen gebündelt an einen Stand. Dort wandern sie dann kistenweise und preislich reduziert als Marmeladenerdbeeren über die Theke.
- Alle Felder sind eingezäunt, um Besuche von Hunden und Verbiss durch Rehe zu verhindern.
- Erdbeeren für den Handel werden unter Dach auf den Kühl-Lkw geladen, damit sie weder Regen noch Sonne abbekommen.
- Regelmäßig schicken Lebensmittelhändler aus der Region ihre Azubis und Mitarbeiter aus dem Bereich Obst und Gemüse zu einem „Erdbeertag“ bei Böckmanns. Sie kommen mit Fragen zum Anbau und gehen mit mehr Wertschätzung für die empfindlichen Erdbeeren.
Schwieriger Handel
Erdbeeren auf Vertrag liefern, das ist ein kompliziertes Geschäft. Schließlich lässt sich kaum kalkulieren, wann die Sonne die Früchte reifen lässt. „Wir unterschreiben keine Lieferverträge“, sagt deshalb Constantin von Laer, der in Herford auf 20 ha Erdbeeren anbaut.
Gleichwohl kann es besonders in der Hochsaison schwer werden, die komplette Ernte an den Kunden zu bringen. Manchmal übersteigt das Angebot die Nachfrage. Einkäufer des Lebensmitteleinzelhandels nutzen das aus, drücken die Preise und kaufen zusätzlich im Ausland ein. Andreas Rahmann, Landwirt aus Coesfeld, hat in der vergangenen Woche deshalb aus Protest einen Teil seiner Erdbeeren gemulcht (Seite 20).
Dass es mit dem Handel haken kann, berichtet auch Bernd Möllers. Er leitet bei der Landwirtschaftskammer NRW das Team der Berater im Obstbau. In der Hochsaison sei es in der Vergangenheit vereinzelt vorgekommen, dass Erdbeeren auf Kommission an den Großhandel gehen. „Das ist eine Katastrophe, weil nicht klar ist, ob sie überhaupt einen Abnehmer finden – und das vor dem Hintergrund der steigenden Produktionskosten.“ Manchmal würden auch bestimmte Qualitäten verweigert, zum Beispiel wenn die Früchte zu klein, nicht gleichmäßig genug oder nicht reif genug seien. In einigen Fällen werde dies nur als Vorwand für kurzfristige Stornierungen genutzt.
Dagegen steht seit einem Jahr das Verbot unlauterer Handelspraktiken. Dazu gehören auch überlange Zahlungsziele und kurzfristige Stornierungen. Beschwerden und Hinweisen geht die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung nach. Bisher ist die Bilanz allerdings überschaubar. Die Bundesanstalt selbst hat vier Ermittlungsverfahren eingeleitet.
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