Wer seine Lebensmittelversorgung auch in schwierigen Zeiten sichern will, braucht eine Erzeugung im eigenen Land – darin waren sich vermutlich alle der mehr als 400 Besucher der Landwirtschaftlichen Woche Nordhessen einig. Wie das am besten gelingen kann, und wie diese heimische Erzeugung ausgerichtet sein sollte, darüber gibt es sicherlich unterschiedliche Meinungen.
Aber dass das Thema Ernährungssicherheit in großen Teilen der Gesellschaft überhaupt diskutiert wird, ist eine gute Entwicklung, erklärte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Landwirtschaftliche Woche und Präsident des Hessischen Bauernverbandes, Karsten Schmal, am Montag in Baunatal: Allein im politischen Berlin scheine die Herausforderung noch nicht wirklich angekommen zu sein.
Wie sonst seien die zahlreichen Hürden zu erklären, mit denen die Landwirte in ihrer Arbeit behindert werden, findet der Milcherzeuger aus Waldeck und Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes.
Immer mehr Auflagen
Als Beispiele nannte Schmal die Düngeverordnung und großflächige Ausweisung von roten Gebieten, die geplante Halbierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes in „sensiblen Gebieten“ und die fehlende Finanzierungsbereitschaft beim Umbau der Tierhaltung. Das alles gefährde die Zukunft der Betriebe.
Pauschale Produktionsbeschränkungen bedeuten zudem einen deutlichen Rückgang der Ernteerträge und eine wachsende Abhängigkeit von Importen mit teils zweifelhafter Herkunft.
Das gilt auch für die Tierhaltung, um die sich der HBV-Präsident große Sorgen macht. Besonders arg trifft es derzeit die Schweinehalter. Täglich steigen hier Betriebe aus. Kaum jemand investiert noch in neue Ställe.
Das hat im vergangenen Jahr zum niedrigsten Schweinebestand Deutschlands seit der Wiedervereinigung geführt. In ganz Hessen gab es 2022 insgesamt nur noch etwas mehr als 400 000 Schweine. Gegenüber 2007 bedeutet das einen Rückgang um ein Drittel!
Künftig von Importen abhängig?
Doch woher sollen Fleisch und Wurst, aber auch Milch und Eier kommen, wenn die heimischen Tierhalter angesichts fehlender Perspektiven die Stalltüren für immer schließen?
Eine sichere Lebensmittelversorgung aus regionaler Erzeugung sieht anders aus. Und für die Klimabilanz ist es ebenfalls von Nachteil, wenn immer mehr Nahrungsmittel aus anderen Teilen der Welt nach Deutschland transportiert werden, weil die heimischen Erzeuger aus Mangel an Rückhalt und Unterstützung das Handtuch werfen.
Karsten Schmal formuliert es so: „Wir Bauern wollen die Ernährung sichern und das Klima schützen. Doch dafür brauchen wir verlässliche Rahmenbedingungen bzw. Zukunftsperspektiven sowie Politik und Gesellschaft als echte Partner an unserer Seite.“
Hessen will unterstützen
Diese Botschaft dürfte direkt in der Wiesbadener Staatskanzlei angekommen sein. Schließlich war Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) höchstpersönlich zum 75-jährigen Jubiläum der Landwirtschaftlichen Woche angereist, um den Landwirten zu versichern, wie wichtig ihm deren Arbeit ist.
Die Landwirte seien Nahversorger sowie lokaler Klima- und Umweltschützer. Die Landesregierung wisse um die schwierigen Bedingungen und wolle ihnen das Wirtschaften so einfach, effizient und ertragreich wie möglich machen: „Schließlich sind die Bauern unsere Lebensversicherung – in Krisenzeiten mehr denn je.“
Tradition seit 75 Jahren
Die Landwirtschaftliche Woche Nordhessen wird in diesem Jahr zum 75. Mal ausgerichtet. Die darin eingebundenen Kasseler Gartenbautage „feiern“ ihr 30-jähriges Bestehen. Die Anfänge der Traditionsveranstaltung gehen auf die winterlichen Fortbildungsveranstaltungen der damaligen Landwirtschaftskammer Kurhessen in den Jahren 1947 bis 1951 zurück. Später wurde eine spezielle Arbeitsgemeinschaft für die Landwirtschaftliche Woche gegründet, welche noch heute für die Veranstaltung verantwortlich zeichnet. Das Prinzip des Meinungsaustausches und der Weiterbildung zum Jahresbeginn hat indessen Jahrzehnte überdauert. Der Blick über den Tellerrand sei eben zeitlos wichtig, erklärte der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft und Direktor des Landesbetriebes Landwirtschaft Hessen (LLH), Andreas Sandhäger.
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