Gute Ernte, teure Transporte
Trotz des russischen Überfalls ist die Ernte 2022 relativ gut ausgefallen, besser als zunächst befürchtet. Die ukrainischen Landwirte haben zur Ernte 2022 mit 29,4 Mio. t Weizen etwa 2,6 Mio. t und mit 3,1 Mio. t Rapssaat 300.000 t mehr als im Vorjahr geerntet. Etwa 60% des Getreides und 90% der Ölsaaten gehen in den Export – die Ukraine ist eben die „Kornkammer Europas bzw. der Welt“.
Bei den Acker- und Erntearbeiten gab es teils unvorstellbare Bilder: Auf den Feldern waren die Spuren des Krieges mit zerstörtem Militärequipment oder eingeschlagenen Raketen zu sehen. Manchmal mussten Landwirte sogar Schutzausrüstung auf ihren Treckern tragen, weil das Kriegsgeschehen so nah war.
Zu schaffen macht den Ukrainern, dass die Russen viele große Getreidelager und Silos zerstört haben, vermutlich ganz gezielt. Und sie haben große Teile der Verkehrsinfrastruktur zerbombt. In der Ukraine laufen etwa 75% der Getreidelogistik per Schiff und 25% über Straße bzw. Schiene. Gerade Schienen und Straßen sind zerstört. Das verteuert die Transportkosten exorbitant. So kosten 100 km Getreidetransport in der Ukraine aktuell zwischen 150 und 170 €/t – in Deutschland sind es 15 €/t.
Russland stärkt Weltmarkt-Position, China spekuliert
Russland nutzt ganz strategisch „Getreide als Waffe“: Mit dem Angriff auf die „Kornkammer“, mit der gezielten Zerstörung von nötiger Infrastruktur und mit dem Diebstahl von Getreide und landwirtschaftlichen Fahrzeugen.
Es ist korrekt, als Sanktion darauf auf fossile Energie aus Russland zu verzichten. Klar ist allerdings auch: Die Welt kann nicht auf russisches Getreide verzichten!
Russland exportiert rund 47 Mio. t Getreide. Es gibt rund 15 Käufer-Länder, die das Getreide an weitere Länder verkaufen. Durch den Angriffskrieg will Russland seine Machtstellung auf dem globalen Getreidemarkt festigen und ausbauen.
China könnte ähnliche Ambitionen haben. Die Chinesen haben bereits 2019/20 mit mehr als 50 Mio. t Weizen und Mais große Mengen Weizen auf dem Weltmarkt zugekauft. Analysten vermuten, dass etwa die Hälfte der weltweiten Weizenvorräte in chinesischen Bunkern liegen.
Hinzu kommt: Weil Russland neue Abnehmer für sein Gas und Öl sucht, könnte das die Beziehung von Russland mit China zusätzlich stärken.
Exporte laufen, globale Versorgung (vorerst) gesichert
Auch wenn Straßen zerstört und Umwege nötig sind, Getreide und Ölsaaten gelangen zum wichtigsten ukrainischen Hafen Odessa. Und der Export läuft. In den vergangenen vier Monaten haben rund 500 volle Schiffe den Hafen verlassen.
Hinzu kommt: Russland hat 2022 mit knapp 93 Mio. t Weizen (Vorjahr 88 Mio. t) eine Rekord-Getreideernte eingefahren. Und liefert davon viel auf den Weltmarkt. Gut 1 Mio. t Weizen dürfte Russland im Donbass-Gebiet von den ukrainischen Betrieben annektiert und über die Verladehäfen der Krim exportiert haben. So verladen die Russen an ihren beiden Häfen Noworossijsk und Rostov am Don aktuell pro Monat gut 4 Mio. t Getreide – das ist wohlgemerkt so viel, wie die beiden deutschen Häfen Hamburg und Rostock pro Jahr verschiffen.
Deshalb hat sich der globale Getreidemarkt nach den Turbulenzen in den ersten Kriegsmonaten beruhigt. Die Preise haben deutlich nachgegeben, beispielsweise kostet Brotweizen mit 12,5% Protein derzeit gut 305 US-Dollar/t fob Seehafen – in der Spitze waren es Mitte Mai vergangenen Jahres 420 US-Dollar/t.
Es gibt aktuell keine Versorgungsängste, die Versorgung mit Getreide ist vorerst weltweit gesichert. Das zeigt sich gerade in Regionen, die stark auf Importe angewiesen sind. So hatten Länder im nordafrikanischen Raum im vergangenen Jahr nur Getreidevorräte für rund sechs Wochen, nun aber für mehrere Monate. Und: Entgegen russischer Aussagen haben sich die weltweiten Warenströme und Lieferbeziehungen seit Kriegsbeginn nicht verändert.
Felder vermint, Weizenanbau bricht ein
Die aktuell gute Versorgungslage mit Getreide weltweit könnte im kommenden Wirtschaftsjahr 2023/24 aber kippen. Denn: In der wichtigen ukrainischen Anbauregion Donbass ist rund ein Drittel der Ackerfläche vermint. Die Russen nutzen Minenwerfer, die bis zu 15 km fliegen können und dann mit einem Fallschirm landen. Zwar räumen das ukrainische Militär und auch Landwirte diese Minen, trotzdem ließen sich im Herbst und lassen sich im Frühjahr riesige Flächen nicht bestellen. Erschwerend fehlen weiter Mitarbeiter und landwirtschaftliche Fahrzeuge, die im Kriegseinsatz sind.
Gleichzeitig haben die Ukrainer aufgrund der fallenden Weizenpreise bei höheren Produktionskosten die Anbauplanung verändert. Sie haben deutlich weniger Weizen angebaut, dafür mehr Raps und planen mehr Sonnenblumen. Das hat zur Folge, dass die Ernteprognose für Weizen in der Ukraine für dieses Jahr von 33 Mio. t auf 21 Mio. t im Jahr 2023/24 gesunken ist; bei Mais von 42 Mio. t auf 27 Mio. t.
Zudem waren und sind die Aussaatbedingungen in Russland wegen fehlendem Personal, fehlenden Betriebsmitteln, fehlender Ersatzteile für die westlichen Landmaschinen und der Witterung schwierig. Somit sind auch dort niedrigere Erntemengen zu erwarten. Das ist bedeutend, weil auf Russland und die Ukraine etwa ein Drittel der weltweiten Weizenexporte fällt. Das amerikanische Landwirtschaftsministerium USDA geht davon aus, dass die Weltendbestände bei Weizen im kommenden Wirtschaftsjahr 2023/24 um rund 10 Mio. t auf 266,4 Mio. t fallen. Perspektivisch dürften die Getreidepreise am Weltmarkt daher wieder steigen.
Bei Ölsaaten sieht das etwas anders aus. In Südamerika dürfte es eine sehr hohe Sojaernte geben. Zwar erwartet Argentinien eine etwas geringere Ernte (–4,1 Mio. t auf 45,4 Mio. t), Brasilien dafür eine Rekordernte von 153 Mio. t Soja (Vorjahr: 129,5 Mio. t). Raps kommt gerade sehr umfangreich vor allem aus Australien. Daher dürfte der Preisdruck auf dem Soja- und Rapsmarkt im Frühjahr steigen.
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