Morgens um sechs Uhr beginnt für Lilli- Marie Engels die Arbeit. Das heißt: Pferd putzen, bandagieren und satteln. Denn um 6.25 Uhr reiten sie und ihre Arbeitskollegen vom Rennstall Dominik Moser in Langenhagen im ersten Lot los. So heißen die Trainingsgruppen bei Rennpferden. Gesittet hintereinander her wärmen sich Reiter und Tiere im Trab in der Halle auf.
Feedback vom Ausbilder
„Du eine Runde 44. Du bis zur Gerade 44. Und Du machst Schluss für heute“, gibt Lillis Ausbilder Dominik Moser seinen Reitern Anweisungen für die anstehende Galopparbeit auf der Rennbahn. Der 48-Jährige entscheidet individuell nach Trainingszustand der Tiere über Distanz und Geschwindigkeit bei der Galopparbeit. Lilli wird heute bis zur ersten Geraden 44 km/h galoppieren. Dominik Moser überwacht das gesamte Training mit Argusaugen, um später beim Abspritzen der Pferde eine Rückmeldung zur erbrachten Leistung zu geben.
Der Pferdewirtschaftsmeister schätzt seine einzige Auszubildende. Denn eigentlich bildet er nicht mehr aus. Zu groß sei die Diskrepanz zwischen der romantischen Vorstellung der meist weiblichen Bewerberinnen und der Realität des anstrengenden Berufes des Pferdewirts. Die Bundesanstalt für Arbeit schätzt sogar, dass etwa jeder Zweite die Ausbildung zum Pferdewirt deshalb abbricht.
Doch bei Lilli scheinen Erwartung und Wirklichkeit übereinzustimmen. Als sie im Juli 2019 zur Ausbildung in den Rennstall kam hatte sie dort bereits Probegearbeitet. „Ich wollte sicher gehen, dass ich das Konzept des Trainers und seinen Umgang mit den Pferden gut finde“, fasst die selbstbewusste Amazone ihre Beweggründe zusammen. Sie hatte das Privileg, ihren Ausbildungsstall aussuchen zu können. So beschloss sie, nach ihrem Fachabitur aus ihrer Heimat, der Pferdestadt Warendorf, nach Niedersachsen zu ziehen.
Früh übt sich
Lilli sammelte bereits in Kindertagen erste Rennerfahrung. Mit ihrem Pony Max, der heute 40-jährig, noch immer bei ihren Eltern in Westfalen steht, absolvierte sie früh ihre ersten Rennen. Die Passion für den Rennsport teilt sie mit ihren Eltern, die selbst Rennpferde halten und trainieren. So verwundert es nicht, dass Lilli bereits vor Ausbildungsbeginn große Erfolge feiern durfte. 2017 und 2018 war sie Championess der Amateurrennreiterinnen. „Mein größter Erfolg war 2018 der Sieg in der Fegentri-Weltmeisterschaft“, strahlt die Auszubildende. Aufgrund ihrer sogar internationalen Erfolge, durfte sie sich bereits als 18-Jährige „Jockey“ nennen. Das darf nur, wer mehr als 50 Siege errungen hat. Auch in diesem von Corona geprägten Jahr hat Lilli Rennen bestritten und mehr als 45 000 € Preisgelder gewonnen. 5 % davon sowie 75 € Reitgeld je Start fließen in ihre Tasche. Ein willkommenes Zubrot zur Ausbildungsvergütung, die je nach Betrieb und Ausbildungsjahr etwa 700 € beträgt. Die 20-Jährige arbeitet hart für ihr Geld. Vormittags reitet sie im anderthalb Stunden Takt in insgesamt vier Lots. Unpünktlichkeit wird hier nicht gern gesehen. Nachmittags gehört das Füttern zu ihren Aufgaben. Außerdem muss sie an jedem zweiten Wochenende arbeiten. Dann füttert sie auch morgens und mistet aus. Hat sie mal frei, stehen häufig Rennen an. Und die würde sie nie zugunsten von mehr Freizeit sausen lassen.
Schule gehört dazu
Einmal wöchentlich drückt sie gemeinsam mit 20 anderen Pferdewirten der vier anderen Fachrichtungen die Schulbank. Lilli ist hier ein Exot: „In meinem Lehrjahr bin ich die Einzige im Schwerpunkt Rennreiten.“ Deutschlandweit gibt es nur 33 Auszubildende zum Pferdewirt Schwerpunkt Rennreiten. 27 von ihnen sind Frauen.
„Ich wollte schon immer professionell Rennen reiten und nun darf ich meinen Traum leben“, schwärmt sie. Dabei ist der Alltag körperlich anstrengend und auch nicht ungefährlich. Vor vier Monaten stürzte Lilli während eines Rennens. Ihr Pferd blieb unverletzt, aber sie drehte einen Salto, brach sich den Ellenbogen und musste operiert werden. Die Genesung dauert noch an, doch das hält sie nicht davon ab, wieder in den Sattel zu steigen und Rennen zu reiten.
Lilli weiß noch nicht, wo und wie sie ihren Job später ausüben will, aber eines steht für sie fest: „Ich will Jockey sein und mit Pferden arbeiten, denn das macht mich glücklich.“
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