Die Forderung nach einer verpflichtenden Herkunftskennzeichnung ist nicht neu. Neu scheint jedoch die Häufigkeit mit der verschiedene Akteure mehr Transparenz im Lebensmittelhandel einfordern. Während ihrer Proteste Ende Januar forderten die demonstrierenden Landwirte eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung für alle Lebensmittel und die darin verarbeiteten Rohstoffe. Verbraucherschützer stoßen seit Jahren ins selbe Horn und verlangen mehr Transparenz für die Kundinnen und Kunden. Noch relativ jung ist die Idee des „Deutschland-Bonus“. Der Deutsche Bauernverband (DBV) möchte mit Lebensmittelhandel und -industrie eine Kennzeichnung aus der Taufe heben. Diese soll deutsche Produkte mit hohen, in Deutschland geltenden Standards und einem gewissen Preisaufschlag verknüpfen. Wie passen solche Forderungen in die aktuelle Gesetzeslage?
Wer regelt was?
Grundsätzlich regelt die EU mit der Lebensmittelinformations-Verordnung (LIV) die Kennzeichnung von Lebensmitteln. Auch die Herkunftskennzeichnung ist in dieser Verordnung geregelt. Bei ihrer Umsetzung haben die EU-Mitgliedstaaten einen gewissen Spielraum. Die Liste unten zeigt, auf welchen Produkten die Herkunft verpflichtend gekennzeichnet sein muss. Man erkennt: Für die meisten frischen Produkte ist eine Angabe der Herkunft verpflichtend. Laut DBV-Situationsbericht generiert der Lebensmittelhandel in Deutschland jedoch satte 80 % seines Umsatzes mit verarbeiteten Produkten. Bis auf wenige Ausnahmen muss das Ursprungsland der Zutaten darauf nicht gekennzeichnet sein. Ein Beispiel: Der Schlachter muss beim verpackten Schweinenackensteak das Ursprungsland angeben. Würzt oder mariniert er das Nackensteak, bedarf es keiner Ursprungskennzeichnung mehr.
Erzeuger verärgert
Das ärgert Erzeuger, denn so kommen zum Beispiel Käfigeier aus Polen oder Früchte aus Fernost „unerkannt“ in deutsche Back- und Molkereiwaren. Bei Konsumeiern ist die Käfighaltung seit Einführung der Kennzeichnungspflicht praktisch nicht existent. Durch den Ei-Code erkennen Verbraucher unkompliziert das Ursprungsland und die Haltungsform. Bei verarbeiteten Eiern gibt es diese Möglichkeit nicht. Die EU-Kommission hat die Regelungen für verarbeitete Produkte am 1. April 2020 verschärft. Seitdem muss die Herkunft der primären Zutaten von verarbeiteten Lebensmitteln kenntlich gemacht werden. Allerdings nur dann, wenn diese von der Herkunftsangabe des eigentlichen Lebensmittels abweicht. Ein weiteres Beispiel: Enthält ein ausdrücklich „deutscher“ Joghurt Erdbeeren aus China, bedarf es der Kennzeichnung, dass primäre Zutaten des Joghurts aus „Nicht-EU-Ländern“ stammen. Bei einem Joghurt, der nicht explizit als deutsches Produkt vermarktet wird, müssen die chinesischen Erdbeeren nicht gekennzeichnet sein.
Das muss sein
Lebensmittel, bei denen die Angabe des Ursprungslandes verpflichtend ist:
- Eier und Fisch,
- frisches Obst und Gemüse,
- frisches Rindfleisch,
- verpacktes, unverarbeitetes Fleisch von Schwein, Schaf, Ziege und Geflügel,
- alle verarbeiteten und unverarbeiteten Bioprodukte.
Wer fordert was?
„Bauern brauchen Wertschätzung auch in Form von höheren Preisen. Ein Ansatz dazu ist die Einführung eines Deutschland-Bonus.“ Den forderte Bauernpräsident Joachim Rukwied am Rande der digitalen Grünen Woche in Berlin. Allerdings sollten Verbraucher nicht mehr für Produkte zahlen, weil Produkte „per se aus Deutschland kommen.“ Vielmehr möchte Rukwied die Standards sichtbar machen, unter denen Landwirte in Deutschland ohnehin schon produzieren. Denn die sind laut Bauernverband deutlich höher als in Drittstaaten und auch manchem EU-Mitgliedstaat.
Verbraucherschützer, wie Manuel Wiemann von Foodwatch, kämpfen schon lange für eine transparente Herkunftskennzeichnung: „Im Moment tappen Verbraucherinnen und Verbraucher im Dunkeln – denn bei den allermeisten verarbeiteten Produkten fehlt jegliche Angabe zur Herkunft der Zutaten.“ Er fordert, dass Hersteller für Zutaten aus der EU das Bundesland angeben müssen, bei anderen Zutaten das Herkunftsland.
Die Lebensmittelindustrie ist gegen eine universell verpflichtende Herkunftskennzeichnung. „Hinter jeder Kennzeichnung steht ein zusätzlicher, zum Teil erheblicher technischer und finanzieller Aufwand,“ meint Peter Loosen, Geschäftsführer des Lebensmittelverbandes Deutschland, und warnt vor steigenden Kosten entlang der Lebensmittelkette. Schwierig wird es dann, wenn große Verarbeiter austauschbare Zutaten aus mehreren Ländern beziehen. Die Molkerei Friesland Campina bekommt ihre Milch unter anderem aus Deutschland, den Niederlanden und Belgien. Eine getrennte Lagerung und Verarbeitung würden mehr Aufwand und steigende Kosten mit sich bringen. Loosen weist darauf hin, dass es bereits für einige Produktgruppen verpflichtende Herkunftskennzeichnungen gibt. Für neue Kennzeichnungspflichten müsse immer „geprüft werden, ob sie im Einklang mit EU-Recht stehen und was sie für den freien Warenverkehr bedeuten.“
Das Urteil Lactalis des EuGH
Nach einer Klage der französischen Molkereigruppe Lactalis, schränkte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Oktober 2020 die Möglichkeit nationaler Alleingänge bei der Herkunftskennzeichnung ein. Die französische Regierung wollte Molkereien verpflichten, Milchprodukte mit der Angabe des Ursprungslandes der Milch zu versehen. Die EU-Richter urteilten: Dies sei nur dann konform mit der EU-Gesetzgebung, wenn Qualität und Ursprung nachweislich in Verbindung stünden. Verfügen Mitgliedstaaten über eine verpflichtende Angabe des Ursprungslandes, sieht der EuGH die EU-weite Harmonisierung der Lebensmittelkennzeichnung gefährdet.
Europäische Lösung
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft will keinen deutschen Alleingang bei der Herkunftskennzeichnung. Denn die EU-Mitgliedstaaten sind gewarnt: Im vergangenen Jahr scheiterte die Einführung einer verpflichtenden Herkunftskennzeichnung von Milch in Frankreich an den Richtern des Europäischen Gerichtshofes (siehe Kasten oben). Substanzielle Änderungen von Kennzeichnungspflichten sind also nur auf europäischer Ebene möglich. Bundesministerin Julia Klöckner hat bereits unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft versucht, die EU-Kennzeichnungspflichten zu verschärfen. Damit scheiterte sie, da vor allem Italien und Griechenland nicht mitziehen wollen. Die EU-Kommission hat für das Frühjahr 2021 eine Folgenabschätzung einer Ausweitung der europäischen Kennzeichnungspflichten angekündigt.
Österreich prescht vor
Das Nachbarland Österreich schafft indes Fakten und arbeitet an einer nationalen, EU-rechtskonformen Initiative. Kern des Vorhabens ist eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung von Milch, Fleisch und Eiern in verarbeiteten Lebensmitteln in Kantinen und im Handel. Bislang sind die Lebensmittelhersteller vor allem bei frischen Produkten verpflichtet, die Herkunft der Zutaten kenntlich zu machen. Eine Ausweitung der Kennzeichnungspflichten muss EU-rechtskonform ausgestaltet werden, oder direkt auf EU-Ebene erfolgen. Durch den österreichischen Vorstoß kann man erkennen, dass auch andere EU-Mitgliedstaaten die Regeln verschärfen wollen.
Aus Verbrauchersicht kann ein „Mehr“ an Transparenz nur wünschenswert sein. Aber auch die Forderungen der Industrie nach einer möglichst praktikablen und kostengünstigen Ausgestaltung der Kennzeichnungsregeln sollten in der Debatte Gehör finden. Das Interview mit Dr. Gesa Busch von der Universität Göttingen zeigt, dass Konsumenten nicht automatisch mehr für Produkte einer bestimmten Herkunft zahlen. Laut Dr. Busch müssen sie „lernen“, Herkunft mit Qualität zu verknüpfen. Das kann nur durch erkennbaren Mehrwert gelingen. Welche Möglichkeiten bieten sich also in Deutschland? Die Umsetzung des „Deutschland-Bonus“ könnte grundsätzlich möglich sein, da Qualitätsmerkmale mit der Herkunft verknüpft würden. Ob es aber tatsächlich einen Pakt entlang der gesamten Lebensmittelkette für auskömmliche Preise für die Landwirte geben wird, ist unklar. Genau wie die Frage, ob der Deutschland-Bonus eine erhöhte Zahlungsbereitschaft bei den Verbrauchern erzeugt. Klar ist: Mit reinem Konsumnationalismus wäre keinem geholfen. Erst recht nicht den deutschen Landwirten, die seit einigen Jahren so stark vom Export profitieren.
Mehr zum Thema: