Kreis Kleve

Wildgänse am Niederrhein

Jedes Jahr überwintern am Niederrhein bis zu 150 000 arktische Wildgänse. Naturschützer freuen sich, Landwirte ärgern sich über die Schäden.

Es ist ein einzigartiges Naturschauspiel, wenn ab Anfang Oktober die Wildgänse aus ihren Brutgebieten in Nordrussland am Niederrhein eintreffen. Es handelt sich um Schwärme von Blässgänsen.

Bis Mitte Dezember folgen ihnen Tausende Artgenossen sowie größere Trupps Saat­gänse und Weißwangengänse. „Bis zu 30 % des westeuropäischen Bestandes der Blässgänse überwintern am Niederrhein. Die Gänse sind sehr schlau und scheu“, erzählt Mona Kuhnigk. Die Landschaftsökologin ist Naturschutz­referentin bei der NABU-Naturschutzstation Niederrhein in Kleve.

Die Biostation betreut Flächen in den Naturschutzgebieten Düffel, Emmericher Ward sowie im Kranenburger Bruch. Alle gehören zum EU-Vogelschutzgebiet „Unterer Niederrhein“, das fast 26  000 ha von Duisburg bis Holland umfasst. „Auf den weiten, offenen Wiesen, die von Kleingewässern durchzogen sind, finden die Vögel Futter und Ruhe“, sagt Kuhnigk.

Mehr Sommergänse

Von 1950 bis 1985 haben sich die arktischen Gänse schrittweise von wenigen Tausend Vögeln auf heute rund 150  000 Exemplare erhöht. Seitdem pendelt der Bestand um diesen Wert – je nach Witterung und Bruterfolg.

Neben den arktischen Gänsen, die ab Mitte März wieder gen Norden fliegen, gibt es zunehmend „Sommergänse“ in der Region. Dazu zählen die Grau-, Kanada- und Nilgänse. „Jede Gans hat ihre Eigenheiten“, erzählt Kuhnigk.

Wichtig sei, dass die Tiere möglichst wenig gestört werden. „Bei jeder Ruhestörung, ob Spaziergänger mit freilaufenden Hunden, Drohne oder Heißluftballon, fliegt der Gänseschwarm hoch. Dabei verbrauchen die Tiere Energie und müssen mehr fressen“, erklärt die Ornithologin.

Deshalb sind die Station und das Naturschutzzentrum Kleve, die zweite Biostation im Kreis, auch in der Besucherlenkung von Touristen aktiv, die auf „Gänse-Safari“ gehen wollen. Etwas anders als die Naturschützer beurteilen die Landwirte am Niederrhein das Gänsethema (siehe Kasten).

Schutz der Wiesenvögel

Seit Jahren versucht der Naturschutz auch, die Lebensbedingungen vor allem der stark bedrohten Wiesenvögel in den Schutzgebieten zu verbessern. Die neben den Wildgänsen für den Niederrhein charakteristischen Wiesenwatvögel sind auf feuchte, artenreiche Wiesen und Weiden angewiesen.

Das Grünland im EU-Vogelschutzgebiet muss deshalb erhalten bleiben, also vor Umbruch zu Ackerland geschützt werden. Die Flächen, die dem Naturschutz zur Verfügung stehen, etwa 180 ha, werden von Pächtern wiesen­vogelgerecht bewirtschaftet.

Landwirte haben die Landesflächen für „kleines Geld“ gepachtet. Sie müssen dafür extensiv wirtschaften; Walzen und Schleppen nur bis 15. März, Mähen frühestens ab Mitte Juni, maximal zwei Rinder pro Hektar bei Beweidung im Frühjahr.

Ein nahezu alle Flächen erfassendes System aus Binnengräben sowie ausgebauten Wasserläufen ent­wässert die Landschaft. Im Winter anfallendes Oberflächenwasser wird effektiv abgeführt. In der Folge trocknen die landwirtschaftlichen Flächen frühzeitig ab.

„Wir müssen das Wasser wieder mehr in der Landschaft halten. Rückhaltemaßnahmen wie der Einbau von Stauen sind deshalb in einigen Kernzonen auf Flächen der öffentlichen Hand geplant. Denn der Wasserhaushalt ist das A und O im Wiesenvogelschutz,“ erklärt Mona Kuhnigk.

Die Pächter leisten aus Sicht der Biostation sehr gute Arbeit. So gibt es etwa die Margeritenwiesen, sehr artenreiche Wiesen, in der nicht nur viele blühende Pflanzen, sondern auch viele Insekten und Spinnen zu Hause sind. Sie sind die Nahrungsgrundlage für die Küken der Wiesenvögel.

2020 hat ein Landwirt in der Düffel in Eigenleistung gemeinsam mit Kuhnigk eine weitere kleine, flache Wasserfläche, eine Blänke, auf seiner Pachtfläche angelegt.

Rheinaue trocknet aus

Die Naturschützer verfolgen vor allem eine Entwicklung mit großer Sorge: Die zunehmende Trockenheit, die in der Düffel und in anderen Schutzgebieten mehrere Gründe hat.

Die fortschreitende Eintiefung der Rheinsohle, die Zunahme lang anhaltender Niedrigwasserphasen des Rheins sowie steigende Sommertemperaturen in Verbindung mit abnehmenden Niederschlagsmengen im Sommerhalbjahr lassen das „Feuchtgebiet internationaler Bedeutung Unterer Niederrhein“ zunehmend austrocknen.

Drei Trockenjahre in ­Folge, 2018, 2019 und 2020, haben die Grundwasserstände zusätzlich sinken lassen. „Trotz der Niederschläge ab Anfang Januar 2021 ist es in 1,80 m Tiefe immer noch viel zu trocken,“ sagt Kuhnigk.

Viele Bauern sind unzufrieden

Ulrich Heesen ist Bezirksvorsitzender des Rheinischen Landwirtschaftsverbandes (RLV) in Kranenburg. Nach seiner Ansicht reichen die Entschädigungen, die das Land NRW für die Fraßschäden auf dem Grünland und Wintergetreide zahlt, nicht aus. Heesen hat den Anbau von Winterweizen auf seinen fruchtbaren Böden (bis 80 Punkte) wegen der Gänse ganz aufgegeben.

Auch die Schäden auf dem Grünland hätten zuletzt stark zugenommen, weil die Gänse wegen der Trockenheit zunehmend das ganze Wurzelwerk der Pflanzen rausreißen. „Mit der Entschädigung, die ja den Futterausfall ausgleichen soll, bezahlen wir das Saatgut und die Kosten für die Neueinsaat.“


Heesens Hof liegt 150 m von der Grenze. In Holland würden die Gänse maßvoll bejagt, um die ­Bestände zu regulieren. Auch die Gelege der Wiesenbrüter würden im Nachbarland besser geschützt, behauptet der Landwirt. „In den dortigen Schutzgebieten gehen die Naturschützer auf die Bauern zu und machen ihnen attraktive Angebote. Uns behandelt die Bio­station dagegen wie Bittsteller. Das gesamte Schutzkonzept für die Gänse und die Wiesenbrüter gehört auf den Prüfstand.“

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