Wochenblatt: Bis zu 10.000 Betriebe in Deutschland müssen ab Januar 2022 wahrscheinlich in die Regelbesteuerung wechseln, weil sie die Umsatzgrenze von 600.000 € pro Wirtschaftsjahr überschreiten. Wann tritt das neue Gesetz in Kraft? Warum beugt sich Berlin ausgerechnet jetzt dem Druck aus Brüssel?
Arno Ruffer: Die abschließenden Beratungen im Deutschen Bundestag und im Bundesrat sind dem Vernehmen nach in der 51. Kalenderwoche, die vom 14. bis 18. Dezember läuft, geplant. Das Gesetz tritt dann nach Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten und Verkündung im Bundesgesetzblatt – wahrscheinlich noch vor Jahresende 2020 – in Kraft. Dazu ist übrigens die Zustimmung der Europäischen Kommission nicht notwendig.
Berlin musste dem Druck aus Brüssel nachgeben, weil die EU-Kommission die Vereinbarkeit der derzeitigen Pauschalierung mit den Vorgaben des Unionsrechts bezweifelt. Die Kommission hat deswegen Klage gegen die Bundesrepublik beim Europäischen-Gerichtshof erhoben. Mit der Gesetzesänderung ist davon auszugehen, dass sich das Klageverfahren erledigen wird.
Insbesondere Schweinemäster und Sauenhalter, die bislang ihr Schlachtvieh bzw. die Ferkel mit 10,7 % Umsatzsteuer verkaufen, befürchten Einbußen, wenn sie in die Regelbesteuerung wechseln müssen. Was zählt alles zum betrieblichen Umsatz? Wie sieht es aus, wenn die Umsätze eines Betriebes in den fortlaufenden Wirtschaftsjahren – preisbedingt – erheblich schwanken?
Zum Umsatz zählen alle Nettoumsätze des landwirtschaftlichen Betriebes (also ohne 10,7%ige Umsatzsteuerpauschale) einschließlich aller außerlandwirtschaftlichen Umsätze, beispielsweise aus dem Betrieb einer PV-Anlage. Herauszurechnen sind nur die Ausgleichszahlungen nach der GAP-Reform sowie steuerfreie Vermietungs- und Verpachtungsumsätze, um die wichtigsten Kürzungen zu nennen.
Abgestellt wird auf den Jahresumsatz eines Kalenderjahres. Das kann dazu führen, dass ein ständiger Wechsel durch Unterschreiten oder Überschreiten der Grenzen zwischen der Pauschalierung und Regelbesteuerung mit umfangreichen Steuerkorrekturen erfolgt.
Viele Landwirte, die bislang pauschalieren, befürchten höhere Kosten für die Buchstelle bzw. den Steuerberater, wenn sie für ihre Umsätze die Regelsätze (19 % bzw. 7 %) ansetzen und vierteljährliche Voranmeldungen beim Finanzamt abgeben müssen …
Die laufende Buchführung für den Betrieb wird anspruchsvoller und damit aufwendiger. Es müssen zusätzlich für den landwirtschaftlichen Betrieb vierteljährliche Umsatzsteuervoranmeldungen und Jahreserklärungen abgegeben werden. Die Kehrseite der Medaille ist, dass aus der Rechnung der Landwirtschaftlichen Buchstelle bzw. des Steuerberaters die 19%ige Umsatzsteuer als Vorsteuer abgezogen werden kann. Das mindert den betrieblichen Aufwand.
Wie könnten Landwirte bereits jetzt auf die offensichtlich beschlossene Regelbesteuerung reagieren? Geplante Investitionen verschieben? Viehhalter überlegen, ihren Betrieb zu teilen. Droht deshalb Ärger mit dem Finanzamt?
Nur keine vorschnellen Schüsse! Die betroffenen Betriebe sollten mit der Buchstelle bzw. dem Steuerberater prüfen, ob eine Änderung der Betriebsorganisation durch eine Betriebsteilung oder Auslagerung der gewerblichen Einkünfte sinnvoll ist. Vieles spricht dafür, die betrieblichen Verträge anzupassen, das betrifft die Landpachtverträge gleichermaßen wie Gesellschaftsverträge, die der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) und Tierhaltungs-Kommanditgesellschaften (KG). Wir gehen davon aus, dass das Finanzamt auf rein steuerlich motivierte Umstrukturierungen ein kritisches Auge werfen wird.
Ob betriebliche Investitionen pauschal in das Jahr 2022 zu verlagern sind, muss man einzelbetrieblich prüfen. Zum Jahresende 2021 sollten allerdings landwirtschaftliche Erzeugnisse oder alte Maschinen von betroffenen Betrieben verkauft werden. Dann muss der Landwirt aus dem Verkauf keine Umsatzsteuer abführen.
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