Wochenblatt: Einen Richtungsstreit über die europäische Landwirtschaft hat der Überfall Russlands auf die Ukraine losgetreten. Die einen wollen an mehr Umwelt- und Klimaschutz festhalten, die anderen wollen mögliche Produktionsrückgänge vermeiden. Wie positioniert sich LsV NRW?
Tubes: Seit 2019 rücken wir auch die Ernährungs- und Versorgungssicherheit der deutschen Bevölkerung in den Fokus. Wir wollen weniger Importe und weniger Abhängigkeiten. Deshalb sind wir strikt gegen politisch verordnete Produktionsrückgänge. Das heißt aber nicht, dass wir gegen Umwelt- Klimaschutz sind, im Gegenteil! Das muss nur logisch zu begründen sein.
Kisfeld: Und daran hapert es oft, zum Beispiel beim sogenannten Insektenschutzpaket. Das ist kein Paket zum Schutz der Insekten, sondern zur Gängelung der Landwirte. Bei etwa 100 Säugetierarten und 250 Vogelarten schaffen wir es nicht, diese trotz intensiver Schutzgebiete zu schützen! Bei mehr als 33.000 Insektenarten in Deutschland kann man den Wissensstand erahnen. Trotzdem müssen fast ausschließlich die Landwirte aktuell Einschränkungen hinnehmen. Wo ist hier eine Verhältnismäßigkeit gegeben?
"Was wir hier nicht produzieren..."
Wochenblatt: Mit der Agrarreform 2023 stehen die Zeichen auf mehr Stilllegung, weniger intensive Bewirtschaftung…
Kisfeld: Die Einkommenssicherung für Landwirte geht mit der Agrarreform weiter massiv zurück. Und die geforderten 4 % Stilllegung passen allerspätestens seit dem Krieg in der Ukraine nicht in die Zeit. Deshalb dürften viele Landwirte ab dem kommenden Jahr keinen Prämienantrag mehr stellen. Das befreit sie auch von vielen Kontrollen. Die Konsequenz könnte aber weniger Anbauvielfalt sein – ein politischer Bärendienst für die Biodiversität und für den Artenschutz.
Wochenblatt: Über allem schwebt der europäische Green Deal. Die EU will bis 2050 klimaneutral sein und fordert daher weniger Pflanzenschutz, weniger Düngung, mehr Ökolandbau.
Tubes: Schon jetzt leiden mehr als 850 Mio. Menschen an Hunger, alle zehn Sekunden stirbt ein Kind unter fünf Jahren an den Folgen von Mangelernährung. Deshalb sind politische Vorgaben, die die Versorgungssicherheit gefährden, menschenverachtend! Alles, was wir hier nicht produzieren, muss im Ausland zugekauft werden – und das wiederum fehlt ärmeren Ländern auf dieser Welt, was dort Hunger und Konflikte verschärft. Ein Skandal!
Kisfeld: Pauschale Vorgaben wie beim Green Deal sind falsch. Sie schüren Angst bei den Landwirten, weil sie auf Kontrollen und Verbote hinauslaufen. Und was bringt die Vorgabe von 25 % Ökolandbau, wenn es keinen Markt dafür gibt? Wir Landwirte stellen uns jeder Herausforderung. Dünger und Pflanzenschutzmittel sind aktuell so teuer, dass kein Landwirt auch nur ein Gramm zu viel ausbringt.
Wochenblatt: Um sicher zu gehen, prüft die Regierung ein Melderegister für Pflanzenschutzmittel.
Kisfeld: Das aber sicher nicht den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln senkt, sondern nur für mehr Bürokratie und Überwachung der Landwirte sorgt.
Tubes: Dass nun eine Nichtregierungsorganisation wie der NABU Einblick in die Pflanzenschutzanwendungen einzelner Landwirte bekommt, macht mir Bauchschmerzen und zeigt, dass bei der Gesetzgebung einiges schiefgelaufen sein muss. Die staatlichen Behörden haben im Falle eines Vergehens schon jetzt alle Möglichkeiten Landwirte zu sanktionieren. Dafür braucht es kein Melderegister und am aller wenigsten den NABU.
"Wir machen uns für das Verursacherprinzip stark"
Wochenblatt: Bei der Düngung dürfte es ebenfalls weitere Einschränkungen geben, weil die EU-Kommission die deutsche Gebietsausweisung nicht akzeptiert und sich die roten Gebiete deutlich vergrößern könnten. Die Düngeverordnung war der Gründungsanstoß von LsV im Jahr 2019.
Kisfeld: Nach wie vor machen wir uns für das Verursacherprinzip stark. Viele Messstellen sind nicht geeignet und somit nicht repräsentativ. Das habe ich auf dem eigenen Betrieb erfahren. Von jedem einzelnen Betrieb gibt es aber einen Nährstoffvergleich bzw. eine Stoffstrombilanz. Somit lässt sich für jeden einzelnen Betrieb nachvollziehen, ob er passend gedüngt hat und sich somit an Recht und Gesetz gehalten hat. Auch rückblickend auf die vergangenen Jahre. Ziel muss doch sein, dass wer nachweislich alles in Ordnung hatte und hat, keine Düngeeinschränkungen zu erwarten hat – ganz egal, ob er in einem roten Gebiet liegt oder nicht. Und wer sein Düngebilanz nicht in Ordnung, bekommt Einschränkungen. Ganz einfach.
Tubes: Bei aller Kritik an der Politik möchte ich hier NRW-Umwelt- und Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser danken. Sie hat mit der Modellierung und Binnendifferenzierung getan, was sie konnte. Jetzt liegt es an Berlin und Brüssel.
Wochenblatt: In Berlin sind das Umwelt- und das Landwirtschaftsministerium nun unter Grüner Leitung. Glauben Sie, dass Sie mit Ihren agrarpolitischen Forderungen Gehör finden?
"Ideologie macht nicht satt"
Kisfeld: Durch den Krieg in der Ukraine musste die Ampelregierung in der Sicherheits- und Energiepolitik große Pillen schlucken und Dinge auf den Weg bringen, die sie gar nicht vorhatten. Deshalb befürchte ich, dass Herr Özdemir und Frau Lemke an ihrem eingeschlagenen Weg in der Agrar- und Umweltpolitik festhalten. Mein vierjähriger Sohn hat das Motto `Lernen durch Schmerz`. Vermutlich kommt es auch in der deutschen Agrarpolitik so.
Tubes: Die Grünen neigen dazu, wissenschaftliche Erkenntnisse zu negieren und stattdessen an Ideologien festzuhalten. Spätestens jetzt sollte aber klar sein: Ideologie macht nicht satt!
Wochenblatt: LsV ist mit Protesten gestartet. Aus den WhatsApp-Gruppen entstehen nun aber auch viele kreative Aktionen. Hätten Sie damit gerechnet?
Tubes: Sie meinen zum Beispiel die Lichterfahrt oder die Hilfsaktionen im Ahrtal. Das hat sich so entwickelt und zeigt, wie flexibel und solidarisch Landwirte sind. Somit ist LsV NRW nicht nur Protestbewegung, sondern tut auch etwas für die Image- und Öffentlichkeitsarbeit der Landwirtschaft.
Dafür steht „LsV NRW“
Das Kürzel „LsV“ stand auch in NRW ursprünglich einmal für „Land schafft Verbindung“, nach Streit um Name und Logo steht es in NRW nun für „Land sichert Versorgung“. Der Verein ist eingetragen unter „LsV NRW e.V.“ Er ist keiner der beiden bundesweit aktiven Organisationen „Land schafft Verbindung – Original“ oder „Landschaft schafft Verbindung – Deutschland“ angegliedert. LsV NRW hat derzeit etwa 35 Mitglieder. Das entspricht etwa einem Vertreter pro Landkreis. Der Jahresbeitrag beträgt 60 €. Künftig sollen auch Fördermitgliedschaften möglich sein. Tubes und Kisfeld betonen ausdrücklich, dass sie keine Alternative zu den Landesbauernverbänden WLV und RLV sein wollen. Sie sehen sich vielmehr als Ergänzung und legen Wert auf Austausch und Zusammenarbeit.
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