Wochenblatt: In den Koalitionsverhandlungen hakt es dem Vernehmen nach beim Thema Zukunft der Tierhaltung. Worauf sollten sich SPD, Grüne und FDP mindestens einigen?
Thomas Dosch: Die Zeichen müssen jetzt pro Landwirtschaft und pro Nutztierhaltung gestellt werden. Nutztierhaltung und Pflanzenbau sind Teil eines Nährstoffkreislaufes. Landwirtschaft hat bislang viel für den Wohlstand in unserem Land geleistet. Wenn mehr Umweltleistungen und Tierwohl gefordert werden, geht das nur, indem die Mehraufwände bezahlt werden – zum einen über höhere Lebensmittelpreise, zum anderen über die Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung.
Das Geld für Stallumbau oder gar Neubau kann im internationalen Wettbewerb nicht allein von der Lebensmittelkette gestemmt werden. Wie es dennoch gehen kann, das hat das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, geleitet von Bundeslandwirtschaftsminister a. D. Jochen Borchert, aufgezeigt. Die Vorschläge sind getragen von Kompromissen ganz unterschiedlicher Interessen und haben Hand und Fuß. Ich erwarte, dass die Ampel-Parteien diesen gesellschaftlich einmaligen Prozess und dessen Ergebnisse anerkennen.
Warum ist eine Einmischung des Staates wichtig? Es gibt viele Landwirte, die mit staatlichen Tierwohlprämien fremdeln. Schafft es der Markt nicht?
Solange Tierwohl und Umweltleistungen nicht mit dem Verkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse erwirtschaftet werden können, ist das eine Leistung, die separat bezahlt werden muss. Das gilt besonders für die Umstellung des Systems. Da braucht es einen Anschub, wie er auch in anderen Sektoren geleistet wurde und noch immer wird. Bestes Beispiel ist die Solar- und Windenergie.
Das Ziel einer sicheren Lebensmittelversorgung gebietet es, die Nutztierhaltung in unseren Regionen zu halten. Jetzt geht es darum, den gewünschten Umbau der Tierhaltung zu ermöglichen und zu finanzieren. Dieser fundamentale Wandel ist nicht über den Markt zu leisten, schon gar nicht in einem europäischen Binnenmarkt und einem brutalen Wettbewerb.
Es gibt verschiedene Finanzierungsarten, die auch schon über Studien durchgespielt wurden: Mehrwertsteuererhöhung, Verbrauchssteuer, Tierwohl-Soli. Welche Variante bevorzugen Sie?
Da bin ich offen. Die rechtlichen Möglichkeiten und alle Vor- und Nachteile wurden in einer Machbarkeitsstudie auf mehr als 276 Seiten beschrieben. Wer sie gelesen hat, der kann es wissen: Alle drei genannten Optionen sind grundsätzlich möglich.
Zentral ist jedoch, dass die Umsetzung auf Basis von Verträgen erfolgt, die die Landwirtschaft mit dem Staat abschließt. Hier werden die Tierwohlstandards vereinbart und eine Laufzeit, die nicht an Legislaturperioden gebunden ist. Und, sie sind freiwillig, da es sich um Leistungen handelt, die über gesetzliche Vorgaben hinausgehen.
Statt staatlicher Verträge liegt auch die Umsetzung über die private Wirtschaft auf dem Tisch. Im Gespräch ist, die ITW aufzuwerten und die Tierwohlprämien über eine Umlage wie beim EEG zu bezahlen. Halten Sie das für einen realistischen Weg?
Der Vorschlag wurde bereits zum Ende der letzten Legislaturperiode diskutiert. Ein Gutachten im Auftrag des BMEL macht deutlich: Ein privater Fonds ist nicht praktikabel. Bei einem privaten Fonds müsste neben der staatlichen Verwaltung eine eigene Verwaltungsstruktur geschaffen werden, die dann auch noch über den Mehrpreis von Fleisch und Wurst erwirtschaftet werden müsste, das wäre wahrlich nicht zweckmäßig. Man muss sich nur vor Augen führen, dass das Geld, anders als bei der Initiative Tierwohl, bei jedem Metzger und jeder Pommesbude eingesammelt werden müsste. Da kämen mehrere Hunderttausend zusammen, die eine Abgabe entrichten müssten. Und wenn jemand nicht zahlt, müsste, anders als bei einer staatlichen Lösung, dagegen zivilrechtlich geklagt werden.
Nein: Das funktioniert nicht. Die Borchert-Empfehlungen können nur auf Basis staatlicher, langfristiger und verlässlicher Verträge umgesetzt werden.
Aldi will sein Frischfleisch-Sortiment bis 2030 auf die höheren Tierwohl-Haltungsformen 3 und 4 umstellen. Wird der Discounter es schaffen, die Mengen dafür zusammenzubekommen?
Wenn die Borchert-Empfehlungen von der Politik umgesetzt und die notwendigen Voraussetzungen im Baurecht und Immissionsrecht geschaffen werden, ganz klar ein Ja. Wenn das dann noch dazu führt, dass in Deutschland bei Schweinen 5 x D umgesetzt wird, kommt das der Landwirtschaft in unseren Regionen zugute.
Werden die Betriebe, die in den letzten Jahren Vorreiter beim Tierwohl waren, aber bei den Außenklimareizen nicht ohne Weiteres nachrüsten können, die Verlierer beim Umbau der Tierhaltung?
Klar ist, es gibt Ställe, die können nicht einfach umgebaut werden. Das liegt oft an baulichen Grenzen und genehmigungsrechtlichen Hürden. Beim letzten Punkt muss sich die Politik endlich um ein Baurecht und Immissionsschutzrecht bemühen, das dem Umbau der Tierhaltung nicht im Weg steht. Insgesamt sind Kriterien für die Umsetzung der Umbauten zur Auflösung der Zielkonflikte (Emissions-, Bau- und Umweltrecht) in allen modernen Stallformen erforderlich.
Wir bei Tönnies unterstützen aber auch die Betriebe, die hier nicht mitgehen können, indem wir für alle Tierwohlstufen Absatzmärkte erschließen.
Viele Branchen wollen Geld, da ist die Landwirtschaft nicht die einzige. Welches Signal müssen die Koalitionäre von SPD, Grünen und FDP nun in Richtung Bevölkerung senden, um Steuermittel für die Tierhaltung loszueisen?
Laut Machbarkeitsgutachten und Folgenabschätzung zu den Borchert-Empfehlungen reden wir von Mehrkosten von rund 70 Cent für Lebensmittel pro Person und Woche, um den Umbau der Tierhaltung zu finanzieren. Das muss doch möglich sein.
Wenn sich eine Größe wie Tönnies aus der Fleischwirtschaft um staatliche Tierwohlfinanzierung bemüht, kommt der Gedanke, Sie wollten Ihr Geschäft staatlich absichern. Was entgegnen Sie?
Nein, es geht um die Versorgungssicherheit der Menschen in unserem Land. Und genau dafür brauchen wir Landwirtschaft und Nutztierhaltung in unseren Regionen. Sonst kommen unsere Lebensmittel schon bald aus dem Ausland.
Uns geht es vor allem um die Zukunft der vielen Tausend landwirtschaftlichen Familienbetriebe in Deutschland. Mehr Tierwohl kostet mehr Geld und das muss zusätzlich aufgebracht werden. Im harten internationalen Wettbewerb kann sich das kein Marktteilnehmer selbst aus den Rippen schneiden.
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