Die Betroffenheit ist ihm deutlich anzumerken. Andreas Westermeyer, Landwirt in Verl und Vorsitzender des WLV-Kreisverbandes Gütersloh, redetin einer Videobotschaft Klartext. Sinngemäß: Wenn Landwirte so miteinander umgehen, wie wir das jetzt mehrfach erlebt haben, dann ist das nicht mehr die Landwirtschaft, die ich als Vorsitzender im Kreis vertreten möchte.
Nichts anderes also als die Ankündigung, bei der nächsten Wahl im Februar des kommenden Jahres nicht mehr anzutreten.
Diskussionskultur verloren
Ist das ernst gemeint? Grundsätzlich ja, sagt Westermeyer. Er will aber sein Ehrenamt nicht einfach hinwerfen. Eigentlich möchte er sich weiter engagieren, für die Bauernfamilien im Kreis und ganz allgemein.
Im persönlichen Gespräch erklärt der 55-Jährige, was ihn zu dieser Aussage getrieben hat und worum es ihm vor allem geht: Wir haben unsere Diskussionskultur verloren. Und das gilt insbesondere für das Feld der sogenannten sozialen Medien. In weiten Teilen sind das eigentlich asoziale Netzwerke, rekapituliert der Schweinemäster.
Die Zahl der WhatsApp-Gruppen ist mittlerweile kaum noch überschaubar und ständig werden neue gegründet. In diesen Zirkeln wird teilweise hemmungslos geschimpft, beleidigt und sogar gedroht. „Ich bin kurz davor, zu resignieren, vor den Methoden bestimmter Leute zu kapitulieren. Andere Menschen zu bedrängen, sie nicht mehr zur Ruhe kommen zu lassen, das geht nicht. Und genauso wenig kann ich akzeptieren, wenn gegenüber der Politik oder Andersdenkenden Drohungen ausgesprochen werden.“ Soweit Westermeyers klares Statement.
Ganz generell vermisst Westermeyer bei vielen Menschen – auch bei Landwirten – die Bereitschaft, auf Andersdenkende zuzugehen und sich mit deren Argumenten auseinanderzusetzen: „Kann der andere vielleicht auch ein Stück Recht haben, selbst wenn ich die gegenteilige Meinung vertrete? Viele Menschen scheinen sich diese Frage gar nicht mehr zu stellen.“
Worum geht es eigentlich?
Hintergrund der aktuellen Debatte sind Meinungsverschiedenheiten zwischen Bauern, die sich auf verschiedene Art und Weise für die Landwirtschaft einsetzen. Unter dem Dach des WLV, innerhalb der Gruppe „Land schafft Verbindung“ (LsV) oder auch ganz ohne Anbindung an Organisationen. Im Grunde verfolgen wohl alle dieselben Ziele, nämlich die Interessen der Bauernfamilien und ihrer Betriebe zu vertreten und gleichzeitig in der Öffentlichkeit für Verständnis zu werben.
Sehr unterschiedlich sind die Ansichten dazu, welche Methoden dafür am besten geeignet sind. Westermeyer stellt klar: „Ich gehe den Weg des Dialogs.“ In der Konsequenz heißt das auch: Wo gar keine Bereitschaft zum Dialog mehr erkennbar ist, da will er nicht mitmachen. Und schon gar nicht will er zusehen, wie sich Landwirte untereinander verbal so heftig attackieren, wie es offenbar in der jüngeren Vergangenheit häufiger vorgekommen ist. Mehrfach ging es dabei um die „Landvolk-Fahne“, die Pflug und Schwert auf schwarzem Grund zeigt. Ob es richtig und sinnvoll ist, dieses Symbol zu verwenden, darüber sind heiße Diskussionen entbrannt. Was genau alles im Internet oder in Chats und WhatsApp-Gruppen verbreitet wurde, lässt sich kaum zusammenstellen oder gar aufbereiten. Fest steht aber, dass die Grenzen des guten Geschmacks weit überschritten wurden und einer Person sogar ein „Besuch“ angekündigt wurde, was schon als Drohung zu verstehen war.
Klar Stellung beziehen
Was Andreas Westermeyer gleichermaßen wundert und wurmt, ist die Sprachlosigkeit der allermeisten Berufskollegen angesichts der zunehmenden Aggressivität. „Die große Masse schweigt dazu“, stellt er fest. Zwar hat er selbst etliche Anrufe oder Rückmeldungen bekommen, die ihn in seiner Haltung bestätigen. Aber erkennbaren Widerspruch direkt an die Adresse der besonders aggressiven Wortführer gab es wenig bis gar nicht. Kann man daraus etwa ableiten, dass das die Meinung der Mehrheit widerspiegelt? Nach fast sechs Jahren als Kreisverbandsvorsitzender glaubt Westermeyer das nicht. Er fordert ein, dass diejenigen, die Verantwortung für bestimmte Gruppen, Netzwerke oder Organisationen tragen, solche Auswüchse verhindern. Es fehlt an Stimmen, die in diesen Fällen zur Mäßigung aufrufen.
Einfach nicht geeignet
Ganz ähnlich sieht das Antonius Tillmann aus Warburg, Milchviehhalter und Vorsitzender des WLV-Bezirksverbandes Ostwestfalen-Lippe. Gerade die neuen Kommunikationsmittel, mit denen überall und vor allem sehr schnell Botschaften versandt werden können, haben nach seiner Überzeugung zu der Problematik beigetragen. Ein schneller Klick, und schon ist die Nachricht raus. Womöglich auch noch anonym, sodass man nicht mit seinem Namen dazu stehen muss. Diese Konstellation verführt dazu, im Vorfeld weniger über das nachzudenken, was man sagt bzw. schreibt. Oder, weniger diplomatisch gesagt, da fällt jede Hemmschwelle.
Hauptziel von Kommunikation soll doch sein, so sieht es Tillmann, Meinungen auszutauschen, Vertrauen zu schaffen und im Endeffekt auch Kompromisse vorzubereiten oder zu schließen. Er ist sich sicher: Der ruppige Stil mancher Berufskollegen ist nicht geeignet, mit Politikerinnen und Politikern zu reden und dabei Erfolge im Sinne des Berufsstandes zu erzielen. Im Gegenteil: Mit harschen Worten wird im übertragenen Sinne die Tür zugeschlagen. Da ist wenig Kompromiss- oder Veränderungsbereitschaft zu erkennen. Und wenn Landwirten dann Radikalisierung vorgehalten oder vorgeworfen wird, geht es erst einmal nicht um eine bestimmte politische Ecke, sondern um den Stil der Auseinandersetzung. Und genau diesen Stil, die manchmal ausfallende Sprache, will er nicht übernehmen. Respektvoller Umgang miteinander ist für ihn Pflicht. Es ist Zeit, verbal abzurüsten.
Dabei hat der Höxteraner Kreisvorsitzende auch den Auftritt einer Bauerngruppe in Koblenz beim jüngsten Treffen der Agrarminister im Hinterkopf. Politiker(innen) oder Verbandsvertreter als Henker der Landwirtschaft zu titulieren, sei indiskutabel, ist seine klare Haltung dazu.
Gleichwohl sollte man auf diese Gewaltrhetorik nicht selbst mit Beschimpfungen reagieren. Aggression ist vielleicht auch ein Zeichen von Hilflosigkeit, interpretiert er solche Aktionen. Haben die Wortführer dieser Gruppen schlicht das Gefühl, dass die eigenen Sorgen, Nöte oder Ängste von anderen gar nicht wahrgenommen werden?
Viel Kritik, wenig Sacharbeit
Tillmann fragt als Repräsentant des WLV aber auch nach der demokratischen Legitimation der besonders lautstarken Berufskollegen. Sie sind offenbar zum größeren Teil nicht Mitglied im Bauernverband. „Land schafft Verbindung“ hat noch keine verlässlichen, auf Wahlen gegründete Strukturen aufgebaut. Auf ein Mandat von LsV können sie sich also auch nicht berufen. Woher nehmen sich manche Landwirte nun das Recht, sich als Vertreter „der Bauern“ zu präsentieren?
Am liebsten wäre es manchen Berufskollegen, wenn alle Probleme mit einfachen Lösungen beseitigt werden könnten. Das ist aber nicht so, sagt Tillmann, der seinen Hof gerade zum Biobetrieb umstrickt. Und so finden wir auch in bäuerlichen Kreisen leider manchmal viel Kritik, aber wenig Sacharbeit.
„Wir Landwirte sind von der Zahl her keine große Gruppe mehr, die politisches Gewicht allein durch ihre Masse besitzt. Umso wichtiger ist es, klug zu agieren und so Verbündete für die eigenen Anliegen zu finden“, zieht der Ostwestfale ein Zwischenfazit. Deshalb will er auch keinen Keil zwischen WLV oder DBV und LsV treiben. „LsV hat uns gezeigt, wie moderne und schnelle Kommunikationsmittel sinnvoll und geschickt eingesetzt werden können. Die Mobilisierung der Landwirte ist gelungen und die Öffentlichkeit wurde für die Anliegen der Bauern sensibilisiert. Da hatte unser Verband noch etwas aufzuholen. Jetzt aber kommt es auf die Inhalte an, die rübergebracht werden. Und das geht nicht allein mit Schlepperdemos, so reizvoll sie sein mögen.“
Der WLV hat sich, betont Tillmann, den Dialog auf die Fahnen geschrieben. Das gilt nach außen wie nach innen. „In diesem Winter werden alle Ehrenämter bei uns neu besetzt. Wir wollen gerade jüngere Menschen motivieren, sich einzubringen, in unseren Gremien mitzuarbeiten. Stärker werden wir nicht dadurch, dass wir uns immer weiter aufspalten und in viele verschiedene Gruppen zerfallen. Und schon gar nicht, wenn wir Landwirtinnen und Landwirte uns gegenseitig attackieren. Das führt uns nicht weiter.“
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