CHRISTIAN EHRHARD - Chefredakteur der Zeitschrift „Kommunal“, Berlin
"Natürlich ist ein Koalitionsvertrag immer auch ein Wunschzettel: Dass sich die Ampel traut, gerade beim Thema Fördermittel so konkret zu werden, muss man aber schon als großen Wurf bezeichnen. Geld weg von den Großstädten in infrastrukturschwache Regionen mit dem Ziel, die Eigenbeteiligung bei Förderprojekten abzuschaffen ist richtig und wichtig. Denn viele Gemeinden sind bisher ,zu arm für Fördergelder', genau die sollen solche Programme aber erreichen.
Auch in der Gesundheitspolitik wird das Papier etwa bei Versorgungszentren im ländlichen Raum sehr konkret. Bei Themen wie Nahversorgung und gleichwertige Lebensverhältnisse hingegen bleibt das Papier komplett im vagen. Was schon ulkig wirken Formulierungen wie: ,Wir wollen die Metropolregionen und ländliche Regionen strategisch zum gegenseitigen Vorteil miteinander verknüpfen.' Damit ist ländlichen Regionen nicht geholfen, das ist ,Pudding an die Wand nageln'."
DR. JULIANE RUMPF - Ministerin a.D., Vorsitzende der Agrarsozialen Gesellschaft, Göttingen
Im Koalitionsvertrag der Ampelparteien nehmen die Themen Digitalisierung, Innovation und Klimaschutz einen sehr breiten Raum ein. Weitere aktuelle Themen für die ländlichen Räume wie Verbesserung von Mobilität, Gesundheitsversorgung der Bevölkerung und Daseinsvorsorge werden im Koalitionsvertrag ebenfalls benannt, Ziele und Lösungsansätze beschrieben. Für alle Bereiche soll es neue, verstärkte oder an der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse neu ausgerichtete Förderprogramme geben, was zu begrüßen ist. Wenn auch die anspruchsvolle Bearbeitung und Umsetzung abzuwarten bleibt.
Positiv zu bewerten ist die angekündigte Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungs-prozesse u.a. beim Ausbau erneuerbarer Energien oder der Umsetzung von Infrastruktur-vorhaben. Hiervon sind der ländliche Raum und die Landwirtschaft stark betroffen.
Positiv sind auch die Ansätze zur Behebung des Fachkräftemangels u.a. durch eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und eine erleichterte Arbeitskräfteeinwanderung. Dass die an den gleichwertigen Lebensverhältnissen neu auszurichtenden Förderprogramme künftig an messbaren Zielen ausgerichtet und regelmäßig einem Controlling unterzogen werden sollen, ist ebenfalls zu begrüßen.Viele der im Koalitionsvertrag genannten Ziele sind nachvollziehbar, die konkreten Maßnahmen zur Zielerreichung und deren Finanzierung bleiben dagegen noch unklar.
FREDERIK FISCHER - Leiter des Projektes „KoDorf“ in Erndtebrück (Kreis Siegen-Wittgenstein) und Wiesenburg (Landkreis Potsdam)
Der Koalitionsvertrag liest sich überzeugend. Insbesondere zwei Punkte versetzen mich in regelrechte Jubelstimmung: Die versprochene Vereinfachung des Fördermittelsystems. Dieser Schritt ist überfällig und wird sein Jahren gefordert. Ebenfalls viel verspreche ich mir vom „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ darstellen.
Der Umbruch ist längst zum Dauerzustand geworden. Die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und klimatischen Veränderungen müssen daher besser moderiert, gestaltet und vermittelt werden. Das Zukunftszentrum könnte hier einen wichtigen Beitrag leisten und aus die zahlreichen Herausforderungen unserer Zeit in ein zukunftszugewandtes Narrativ einbetten.
BERNHARD BARKMANN - Agrarblogger und Landwirt in Messingen / Emsland
Was für eine Überraschung! Cem Özdemir von den Grünen wird unser neuer Landwirtschaftsminister. Ein profilierter Politiker, der bisher nicht durch landwirtschaftliche Expertise aufgefallen ist. Das sehe ich eher als Chance.Özdemir muss sich erst noch in das riesige Feld der Landwirtschaftspolitik einarbeiten und ist dabei (hoffentlich) weniger ideologisch voreingenommen wie andere Kandidaten, die hoch gehandelt wurden.
Der Koalitionsvertrag verbirgt ambitionierte Ziele wie 30% Öko bis 2030 oder den Umbau zu mehr Tierwohl in der Tierhaltung. Um diese Ziele umzusetzen, ist es nötig, die Höfe finanziell zu stärken. Das funktioniert nicht durch billige Lösungen wie die Umverteilung von Ausgleichszahlungen, sondern durch Stärkung der Marktstellung und durch neue Fördermaßnahmen, die nachhaltig, sprich langfristig gesichert sein müssen.
In der kommenden Legislatur werden im Landwirtschaftssektor wichtige Entscheidungen getroffen, um so wichtiger ist es, dass sich die Branche konstruktiv an dieser Weichenstellung beteiligt. Mit einem Minister Özdemir kann ich mir das gut vorstellen.
Diese vier Stimmen vom Land zum Koalitionsvertrag waren zuerst zu lesen im LANDBRIEF, dem neuen, 2021 gegründeten Medium des Landwirtschaftsverlages: Digital, wöchentlich und unverklärt berichten wir darin über das Landleben, das aus der Großstadt betrachtet wahlweise idyllisch oder öde ist. Wir meinen: Die spannende Wahrheit liegt dazwischen. Wir schauen mit Herz und Verstand auf Themen, die Zündstoff fürs Land bergen: gut recherchiert, unabhängig, verständlich.
Mehr Informationen hier: www.landbrief.de
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