Wirtschaftliche Berg- und Talfahrten, gute und schlechte Jahre – für Landwirte ist dieses Auf und Ab fester Bestandteil ihres Berufs. Auch Peter Schulte* kennt Preisschwankungen nur zu gut. Der 56-Jährige bewirtschaftet in Westfalen-Lippe einen Betrieb mit 560 Sauen, den er vor 25 Jahren von seinem Vater übernommen hat.
Ein so tiefes Tal wie in den vergangenen anderthalb Jahren haben er und seine Berufskollegen jedoch noch nie erlebt (Mehr zu den Gründen erfahren Sie im Beitrag „Hintergründe der Krise“ auf Seite 15). Während der Ferkelpreis im März 2021 noch bei 83 € lag, beträgt er zurzeit gerade mal 18 €.
Die Folge: Bei jedem Tier, das seinen Stall verlässt, legt Peter Schulte 30 € drauf, statt etwas daran zu verdienen. „Zurzeit zahle ich 1600 € Eintritt, um in meinem eigenen Stall zu arbeiten“, rechnet der Landwirt vor. Und das nicht pro Monat und auch nicht pro Woche – sondern pro Tag.
Lebensversicherungen aufgelöst
Wer nicht aus der Branche kommt, für den sind diese Zahlen unvorstellbar. Für Peter Schulte und viele seiner Berufskollegen sind sie bittere Realität. Einige von ihnen verbrennen so Tag für Tag die Rücklagen, die für neue Investitionen eingeplant waren, um den aktuellen Anforderungen aus der Politik gerecht zu werden. Bis Februar 2024 müssen Ferkelerzeuger zum Beispiel ein konkretes Konzept zum Umbau ihres Deckzentrums vorlegen, um den Sauen in diesem Stallbereich Freilauf und deutlich mehr Platz zu gewähren.
Andere haben schon lange keine Reserven mehr, auf die sie zurückgreifen können. Manche Landwirtsfamilie hat mittlerweile Schulden von mehreren 10.000 € auf dem Giro-Konto angehäuft. Und sie haben keine Möglichkeit, dafür einen zinsgünstigen Kredit aufzunehmen. Denn auch die Banken wissen, dass sich die wirtschaftliche Lage ihrer Kunden so schnell nicht verbessern wird.
Daher bekommen die Landwirte nicht einmal die Chance, umzuschulden, um so zumindest die hohen Zinsen für einen Dispokredit zu umgehen. Sie stehen mit dem Rücken zur Wand. Die Verzweiflung wird mit jedem Tag der Krise größer. Von so manchem Betrieb ist zu hören, dass die Familien bereits Lebensversicherungen auflösen, um wenigstens für einige Monate wieder liquide zu sein.
Das lässt einen aufhorchen
Die wirtschaftliche Lage auf dem Sauenbetrieb von Peter Schulte ist also so katastrophal wie nie zu vor, eine Besserung bislang nicht in Sicht. Geht es mit den Preisen so weiter, wird auch er nicht mehr lange durchhalten, aus der Sauenhaltung aussteigen und sich eine andere Einkommensmöglichkeit suchen müssen. Seine Frau ist außerhalb des Betriebs in Teilzeit berufstätig. „Doch angesichts unserer enormen Fixkosten rettet das den Betrieb auch nicht mehr.“
Umso mehr lässt es einen aufhorchen, wenn der Landwirt sagt, die wirtschaftliche Situation sei derzeit nicht das Schlimmste. Nicht gesehen und nicht verstanden zu werden mit all seinen Sorgen, mit allem, was er für seine Tiere und für eine nachhaltige Landwirtschaft unternimmt, stattdessen immer noch eine Schippe drauflegen zu müssen, um immer wieder alle Vorgaben zu erfüllen, trotz geforderter millionenschwerer Investitionen keine Planungssicherheit zu haben und am Ende in der Gesellschaft trotzdem nur als Tierquäler dazustehen – das ist es, was ihn wirklich mürbe macht. „Das tut verdammt weh!“
Keine Luft mehr
Wie groß der Druck ist, der auf Peter Schulte lastet, zeigte sich vor einigen Monaten. Ohne große körperliche Belastung, schon allein beim Kontrollgang durch seinen Sauenstall, musste der Landwirt immer wieder Pause machen. Er war kurzatmig, hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Einen Termin beim Arzt holte er sich dennoch nicht. Die Tiere und der Betrieb gingen für den Landwirt immer vor. Seine Familie machte sich Sorgen um seine Gesundheit. Nach einigen Tagen kam ein Freund auf den Hof gefahren, der keine Widerworte gelten ließ: „Steig ein, ich bringe dich jetzt zum Arzt!“ Peter Schulte fuhr mit.
Alles ohne Befund
Die Ärzte checkten den Landwirt gründlich durch. Anfangs stand der Verdacht auf eine Lungenembolie im Raum. „Doch alle Untersuchungen blieben ohne Befund“, erinnert sich Peter Schulte. Die starken körperlichen Beschwerden hatten demnach psychische Ursachen. Als ein Arzt ihm Gesprächstherapie verordnete, ließ der Landwirt sich darauf ein. Schließlich merkte er selbst, dass ihm die Sorge um seinen Betrieb einfach nicht mehr losließ, dass er kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte.
Anders als erhofft, halfen die Sitzungen ihm jedoch nicht weiter. Aus Sicht von Peter Schulte gelang es dem Therapeuten nicht nachzuempfinden, was es bedeutet, Landwirt mit Leib und Seele zu sein. „Ich bekam beispielsweise den Tipp, nicht so viel zu arbeiten und mir mehr Zeit für mich selbst zu nehmen. Wie soll ich das machen? Um die Arbeit im Stall und im Büro zu schaffen, arbeite ich oft 16 Stunden am Tag.“
Nach ein paar Wochen beendete der Landwirt die Sitzungen. An seinen körperlichen Beschwerden hat sich nichts geändert. „Ich weiß aber jetzt, was die Ursache ist, und versuche, mich davon nicht mehr beunruhigen zu lassen“, beschreibt er seine persönliche Art, mit den Beschwerden umzugehen, die wohl nicht jeder Mediziner gutheißen würde.
„Ich musste weinen“
Wenn der Betrieb rote Zahlen schreibt und es an Wertschätzung fehlt – warum also nicht einen Schlussstrich ziehen? Aus wirtschaftlicher Sicht wäre das sicher sinnvoll, weiß Peter Schulte selbst. „Aber so einfach ist es eben nicht.“ Für ihn ist die Arbeit auf seinem Hof viel mehr als ein Job. Die tiefe Verbundenheit mit dem Betrieb, das Verantwortungsgefühl für das Wohl der Tiere – das alles ist für ihn schwer in Worte zu fassen. Vor einigen Wochen ging er einmal über den Hof und stellte sich vor, dass er die Tore schließen würde. „Bei dem Gedanken musste ich weinen.“
Hofübergabe als einzige Aussicht
Was ihn motiviert weiterzumachen, ist auch die Tatsache, dass eins seiner Kinder den Betrieb übernehmen möchte. Gleichzeitig stellt diese Situation eine zusätzliche Belastung dar. „Noch vor fünf Jahren war es ein Privileg, einen fähigen Hofnachfolger zu haben“, erinnert sich Peter Schulte. Heute weiß er nicht, ob er seinem Sohn überhaupt dazu raten kann, den Betrieb weiterzuführen – sofern es ihn in ein paar Jahren überhaupt noch geben wird.
Würde sein Sohn sich dagegen entscheiden, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, würde das die Situation für Peter Schulte schlagartig ändern. „Dann würde ich den Betrieb abwickeln“, ist er überzeugt. „Denn dann würde mir jede Perspektive fehlen“, sagt er und ergänzt: „Ich bin gerne bereit, hart zu arbeiten, aber nicht bis zum letzten Atemzug.“
Verdrängen und hoffen
Doch solang sein Sohn genauso für die Vorstellung brennt, den eigenen Betrieb zu bewirtschaften, wie er selbst es tut, wird Peter Schulte weitermachen. Wie schlecht es zurzeit tatsächlich um seinen Betrieb steht, versucht er dabei auszuklammern. „Manchmal muss man ein Stück weit Sachen verdrängen, in der Hoffnung, dass es am Ende doch wieder gut wird“, sagt er. Oder anders ausgedrückt: „Nach Regen folgt Sonnenschein. Ich hoffe einfach, dass das auch dieses Mal so sein wird.“
*Name von der Redaktion geändert.
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